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<b>((37))</b> Zudem gab es auch andere Ähnlichkeiten. Laut Schematheorie finden Akkommodationen statt, wenn ein erwartetes Ergebnis, ein Ziel, nicht erreicht wird. Das ist analog mit der Idee des negativen Feedbacks, die in homöostatischen Mechanismen verkörpert ist. Ein Thermostat zum Beispiel bewirkt nur dann eine Tätigkeit (Heizen oder Kühlen), wenn die wahrgenommene Temperatur nicht mehr mit dem festgelegten Sollwert (Referenz) Ubereinstimmt. William Powers, ein Pionier der Anwendung kybernetischer Prinzipien in der Verhaltenspsychologie, hat diese Idee im Titel seines Buches | <b>((37))</b> Zudem gab es auch andere Ähnlichkeiten. Laut Schematheorie finden Akkommodationen statt, wenn ein erwartetes Ergebnis, ein Ziel, nicht erreicht wird. Das ist analog mit der Idee des negativen Feedbacks, die in homöostatischen Mechanismen verkörpert ist. Ein Thermostat zum Beispiel bewirkt nur dann eine Tätigkeit (Heizen oder Kühlen), wenn die wahrgenommene Temperatur nicht mehr mit dem festgelegten Sollwert (Referenz) Ubereinstimmt. William Powers, ein Pionier der Anwendung kybernetischer Prinzipien in der Verhaltenspsychologie, hat diese Idee im Titel seines Buches | ||
− | formuliert: Behavior; The Control | + | formuliert: Behavior; The Control of Perception - Verhalten als Steuerung der Wahrnehmung (1973). Auch er sah, daß dieses Prinzip erhebliche epistemologische Konsequenzen mit sich bringt. Wenn der ‘intelligente’ Organismus nicht auf Stimuli der Umwelt, sondern lediglich auf Unterschiede zwischen Wahrnehmungen und vorbestimmten Sollwerten reagiert, um sein internes Gleichgewicht zu erhalten, dann gewinnt der Organismus kein objektives Wissen von der Außenwelt. Er kann bestenfalls lernen, sein Gleichgewicht angesichts der Perturbationen, die er wahrnimmt, einigermaßen aufrecht zu erhalten.<br> |
<b>((38))</b> Mit der Kybernetik stimmt der radikale Konstruktivismus auch in der Einstellung gegenüber Sprache und Verständigung überein. Die auf Arbeiten von Claude Shannon beruhende Kommunikationstheorie (1948) hat eine technische Analyse des Vorgangs geliefert und einen weitverbreiteten Glauben abgebaut. | <b>((38))</b> Mit der Kybernetik stimmt der radikale Konstruktivismus auch in der Einstellung gegenüber Sprache und Verständigung überein. Die auf Arbeiten von Claude Shannon beruhende Kommunikationstheorie (1948) hat eine technische Analyse des Vorgangs geliefert und einen weitverbreiteten Glauben abgebaut. |
Revision as of 19:31, 25 October 2019
in: Ethik und Sozialwissenschaften 9 (1998), Heft 4, hrsg. v. Frank Benseler, Bettina Blanck, Rainer Greshoff, Reinhard Keil-Slawik, Werner Loh. © Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen 1998
Contents
- 1 Zusammenfassung
- 2 Summary
- 3 Die Radikal-Konstruktivistische Wissenstheorie (Ernst von Glasersfeld)[1]
- 4 Kritik
- 4.1 Marco C. Bettoni: Dialog über Wissenstheorie
- 4.2 Michael Drieschner: Was ist die Wirklichkeit denn nun wirklich?
- 4.3 Michael Drieschner – Was ist die Wirklichkeit nun wirklich?
- 4.4 Elke Heise und Peter Gerjets: Welche Konsequenzen hat die radikal-konstruktivistische Wissenstheorie?
- 4.5 Michael Hoffmann: Verzicht auf Wahrheit, Existenz von Tatsachen und die Frage nach der „Radikalität“ der „Radikal-Konstruktivistischen Wissenstheorie“
- 4.6 Ronald Kurt: Das Prinzip Beliebigkeit
- 4.7 Theodor Leiber: Bemerkungen zum Radikalen Konstruktivismus von Ernst von Glasersfeld
- 4.8 Werner Meinefeld: Gegen eine Halbierung des Piagetschen Konstruktivismus
- 4.9 Peter Meyer: Wissen, Wahrheit, Wirklichkeit: „Individuelle“ oder „soziale“ Konstruktion?
- 4.10 Josef Mitterer: Der Radikale Konstruktivismus: „What difference does it make?“
- 4.11 Richard Schantz: Die Erkenntnistheorie des Radikalen Konstruktivismus – eine Kritik aus realistischer Sicht
- 4.12 Rudolf Taschner: Der Blick in Gottes Karten
- 4.13 Rolf Todesco: Genetische Wissenschaftsgeschichte, Kollaboratives Lernen und Hyperkommunikation
- 4.14 Gerhard Vollmer: Wo bleiben die Argumente?
- 4.15 Jutta Weber: Angepaßte Monologe? Über die Konsequenzen >radikaler< De-Ontologisierung und konventioneller Performanz
- 5 Replik: Jahrmarkt der Gegensätze (Ernst von Glasersfeld)
- 6 Anmerkungen
Zusammenfassung
Die epistemologische Stellungnahme, die ich in meinen Büchern ausgeführt habe, wird hier kurz zusammengefaßt. Die Herkunft der
konstruktivistischen Wissenstheorie aus vier Quellen die Tradition des Skeptizismus, Piagets Genetische Epistemologie, Ideen der Kybernetik und operationale Analyse der sprachlichen Kommunikation wird erläutert und die konstruktivistische Orientierung im grundlegender Begriffe wird an Hand von einigen Beispielen gezeigt.
Summary
The paper is a brief exposition of the epistemological position I have presented in a number of books. The four sources of the constructivist theory of knowing are explained: The tradition of scepticism, Piagel's Genetic Episiemology, cybernetical ideas, and the operational analysis of linguistic communication. The constructivist method of conceptual analysis is demonstrated with some basic examples.
Die Radikal-Konstruktivistische Wissenstheorie (Ernst von Glasersfeld)[1]
((1)) Das Wort 'Erkenntnis' deutet daraufhin, daß etwas, das bereits vorhanden ist, wahrgenommen wurde und von nun an als bekannt, gewußt und darum als unabänderlich betrachtet wird. In der herkömmlichen Erkenntnistheorie der abendländischen Welt ging es dabei immer um die Erkenntnis einer Welt an sich, das heißt einer Welt, so wie sie ist, bevor der Erkennende sie berührt und durch seine Erkundung gestört oder verändert hat. Das Wissen, das solche Erkenntnis hervorbringt, soll von den Eigenschaften und Vorurteilen des Subjekts unabhängig und darum im ursprünglichen Sinne des Wortes 'objektiv' sein. Der radikale Konsruktivismus bricht mit dieser Auffassung und schlägt vor, den traditionellen Begriff des Erkennens aufzugeben. Wissen soll nicht als Widerspiegelung oder 'Repräsentation' einer vom Erlebenden und abhängigen, bereits rational strukturierten Welt betrachtet werden, sondern unter allen Umständen als interne Konstruktion eines aktiven, denkenden Subjekts.
((2)) Es ist klar, daß die Annahme dieses Vorschlags einen tiefgreifenden Umbau herkömmlicher Begriffe und gewohnter Gedankengänge erfordern würde, und daß darum nicht nur eine solide Begründung, sondern auch eine plausible Darstellung der zu erwartenden Vorteile nötig ist.
((3)) Ich habe versucht, diesen Ansprüchen in meinem Buch Radikaler Konstruktivismus: Ideen, Ergebnisse, Probleme (1996) einigermaßen gerecht zu werden. im Umfang eines Artikels kann ich bestenfalls einige der Hauptpunkte darstellen und die wichtigsten Aspekte der konstruktivistischen Denkweise skizzieren. In den folgenden Seiten will ich die vier Quellgebiete anführen, aus denen mein Denken erwuchs, und zum Abschluß einige der Anwendungen erwähnen, die mich überzeugt haben, daß die gewonnene Orientierung tatsächlich brauchbar ist.
Epistemologischer Untergrund
((4)) Wer eine Theorie oder ein erklärendes Modell bauen will, muß Voraussetzungen machen, und diese Voraussetzungen liegen und bleiben außerhalb des Erklärungsbereichs, des theoretischen Baus. Man kann die Geschichte der Wissenschaft als eine schrittweise Einführung neuer, bewußter Voraussetzungen betrachten, die anstelle der vorherigen unbewußten eingesetzt wurden.
((5)) Als die ersten Menschen in den Himmel schauten, taten sie es nicht als Wissenschaftler. In ihrem Denken gab es keine Konventionen der Beobachtung, kein Weltall, und sie empfanden sich nicht als unabhängige Beschauer. Sie lebten und schauten ohne Voraussetzungen. Erst als sie anfingen Erlebtes im Rückblick reflektierend zu betrachten, begannen sie, Unterschiede und Gleichheiten festzustellen, So kamen sie darauf, gleichförmige Erlebnisse als eigenständige, körperliche 'Dinge' zu isolieren, Beziehungen zwischen ihnen zu denken und Bewegungen zu vermerken. Sie sahen Sonne und Mond an bestimmten Punkten des Horizonts aufgehen und steigen, und dann an entgegengesetzten Punkten sinken und untergehen. Alle 'Himmelskörper' schienen eine ähnliche Runde zu machen - die Sonne bei Tag, der Mond und die Sterne bei Nacht. So lag die Annahme nahe, daß sie einen Kreis beschrieben und daß die wahrnehmenden Zuschauer auf dem festen Boden der Erde im Mittelpunkt einer Himmelskugel standen. Das schien so selbstverständlich, daß es keiner ausdrücklichen Erwähnung bedurfte.
((6)) In der Tat dauerte es viele Jahrtausende, bis diese Annahme als fraglich betrachtet und durch das heliozentrische Weltbild ersetzt werden konnte. Und nach knapp vierhundert Jahren wurde dann auch der Sonne ihre zentrale Stellung im Weltraum abgesprochen.
((7)) Das ist nur ein Beispiel aus einer langen Folge aufgegebener Voraussetzungen. Doch erst in unserem Jahrhundert, das nun zu Ende geht, haben Wissenschaftler einzusehen begonnen, daß ihre Erklärungen der Welt stets auf Begriffen beruhen, die der menschliche Beobachter formt und seinen Erlebnissen aufprägt.
((8)) Albert Einstein hat das in einer frappanten Metapher ausgedrückt:
Physikalische Begriffe sind freie Schöpfungen des Geistes und ergeben sich nicht etwa, wie man sehr leicht zu glauben geneigt ist, zwangsläufig aus den Verhältnissen in der Außenwelt. Bei unseren Bemühungen, die Wirklichkeit zu begreifen, machen wir es manchmal wie ein Mann, der versucht, hinter den Mechanismus einer geschlossenen Taschenuhr zu kommen. Er sieht das Zifferblatt, sieht, wie sich die Zeiger bewegen, und hört sogar das Ticken, doch er hat keine Möglichkeit, das Gehäuse aufzumachen. Wenn er scharfsinnig ist, denkt er sich vielleicht einen Mechanismus aus, dem er alles das zuschreiben kann, was er sieht, doch ist er sich wohl niemals sicher, daß seine Idee die einzige ist, mit der sich seine Beobachtungen erklären lassen. Er ist niemals in der Lage, seine Ideen an Hand des wirklichen Mechanismus nachzuprüfen. (Einstein & Infeld, 1950)
((9)) Die Idee, daß menschliche Beobachter die Begriffe, mit denen sie Erlebnisse und Erfahrungen erfassen, nicht entdecken, sondern erfinden, ist keineswegs neu. Protagoras, im 5. vorchristlichen Jahrhundert, erklärte bereits, „der Mensch sei das Maß aller Dinge"- Fünfzehnhundert Jahre später formulierte der irische Mystiker Briugena den Gedanken ausführlicher:
Denn ebenso wie der weise Künstler seine Kunst von sich und in sich selbst schafft, so bringt der Verstand seine Vernunft von sich und in sich selbst hervor, in welcher er alle die Dinge, die er machen will, voraussieht und verursacht. (Periphyseon, Bd.2, 577a-b)
((10)) Eine derartige Auffassung konnte sich nicht entwickeln, solange die Menschen ausschließlich im gegenwärtigen Erleben lebten und das Bemühen, im Strom des Sehens, Hörens und Fühlens nicht völlig unterzugehen, für abstraktere Betrachtungen keinen Spielraum ließ. Erst als das Aufreten von Unstimmigkeiten oder Widersprüchen in den Versuchen, das Erleben zu steuern, Zweifel an der Verläßlichkeit der Sinne hervorrief, ist vermutlich die Frage aufgetaucht, ob hinter der Erfahrung eine 'Realität' läge und welcherart die Verbindung zwischen ihr und der Wahrnehmung sein könnte. Darum nehme ich an, daß es skeptische Erwägungen waren, die den ersten Anlaß zu epistemologischen Überlegungen gaben.
((11)) Wir wissen nicht wann das geschehen ist, doch es war jedenfalls lange vor Protagoras. Hunden Jahre vor ihm, hatte Xenophanes das schreckliche logische Problem bereits klar dargelegt. Selbst wenn es jemandem gelänge, schrieb er, sich die Welt so vorzustellen, wie sie wirklich ist, so könnte er doch nicht wissen, daß es ihm gelungen ist (vgl. Diels, 1957, Xenophanes Fragment 34).
((12)) Die Schlagkraft dieser Aussage beruht auf der Einsicht, daß die Richtigkeit oder 'Wahrheit' eines Weltbildes nur durch einen Vergleich mit der Welt an sich bestätigt werden könnte und daß dieser Vergleich für uns ausgeschlossen ist. Wir können unser Weltbild nur mit anderen Vorstellungen vergleichen, die wie die erste auf unserem Erleben beruhen und somit durch unsere Art und Weise des Wahrnehmens und Begreifens gebildet wurden. Alles Wissen unterliegt dieser Bedingung, denn was immer wir auch tun, wir können aus unseren Formen des Erlebens und Denkens nicht aussteigen.
((13)) Die Frage, wie unsere Wahrnehmungen und unsere Begriffe mit einer von uns unabhängigen Welt zusammenhängen, ist darum rational unbeantwortbar. Wir können freilich versuchen, die unergründliche Lücke durch metaphysische Postulate zu schließen - wie etwa Descartes, als er vorschlug, Gott könne nicht so boshaft gewesen sein, uns mit trügerischen Sinnen auszustatten. Doch metaphysische Annahmen sind Sache des Glaubens und nicht der vernunftnäßigen Überzeugung. Auch Argumente der Plausibilität oder Wahrscheinlichkeit sind im Bezug auf metaphysische Annahmen wirkungslos, denn es gibt keinen Grund, weswegen das, was uns plausibel oder wahrscheinlich dünkt, einer objektiven Realität angemessen sein sollte.
((14)) Das logisch unanfechtbare Prinzip der Skeptiker, nämlich daß wir eine Welt jenseits unserer Sinne und Begriffe nicht 'erkennen' können, war ein peinliches Hindernis in der Suche nach einem 'wahren' Weltbild. Doch gerade die Verneinung trug dazu bei, solche Erkenntnis anziehender zu machen und den Wert des praktischen Wissens, das wir tagtäglich benützen, herabzusetzen.
((15)) Diese Entwertung der Praxis ist meiner Ansicht nach auch der Grund, weswegen Einsichten der Empiristen Locke, Berkeley und Hume von den meisten nachfolgenden Philosophen mißachtet und übergangen wurden. Alle drei haben wichtige Aspekte eben jenes Wissens beleuchtet, das der handelnde Mensch auf Grund der Erfahrung autbaut und täglich benützt.
((16)) John Locke führte die Entstehung unserer Ideen auf zwei Quellen zurück: Einerseits die Sinne, andererseits die aktive Reflexion des Subjekts über seine eigenen mentalen Operationen (Locke, 1690, Book 11, Chapter I , 4). Von den ersten sagte er, es sei nur „unsere Einbildung, daß diese Ideen etwas abbilden, das in den Dingen an sich tatsächlich existiert" (ibid. Chapter 8, 25). Von der zweiten Gruppe, also von den Ideen, die der Reflexion entspringen, gab er eine Liste (Masse, Fom, Zahl, räumliche Lage, Bewegung, Ruhe) und behauptete, daß sie im eigentlichen Sinn reale, ursprüngliche oder primäre Eigenschaften genannt werden können, weil sie den Dingen an sich angehören, gleichgültig ob wir die Dinge wahrnehmen oder nicht (ibid. 23).
((17)) Fünfzehn Jahre später zeigte George Berkeley, daß die selben Argumente, die Locke benützt hatte, um die sinnlichen Eindrücke als illusorisch aufzuweisen, ebenso die Realität der primären Eigenschaften untergruben. Und in seinem philosophischen Tagebuch fügte Berkeley ein weiteres Argument hinzu, das mir noch gewichtiger erscheint:
Ausdehnung, Bewegung und Zeit schließen jeweils die Idee der Aufeinanderfolge ein. Die Zahl besteht in Aufeinanderfolge und dinghafte Wahrnehmung auch; denn gleichzeitig wahrgenommene Dinge werden im Geiste durcheinander geworfen und vermischt. Zeit und Bewegung können ohne Aufeinanderfolge nicht verstanden werden, und auch die Ausdehnung kann nur so vorgestellt werden, daß sie aus Teilen besteht, voneinander geschieden und hintereinander wahrgenommen. (Berkeley, 1706-08, § 460)
((18)) Diese Bedingung der Aufeinanderfolge ist besonders wichtig, denn sie bringt die grundlegende Tatsache ans Licht, daß eine Folge nur gewußt werden kann, wenn wir ein Ding nach dem anderen erleben. Mit dieser Feststellung lieferte Berkeley bereits eine Grundlage für das dann von David Hume formulierte allgemeine Prinzip, daß alle Beziehungen, die den Zusammenhang in unserem Denken bilden, „durch die Verbindung oder Assoziation von Ideen" entstehen (Hume, 1742, Essay III). Hume führte aus:
Wenn wir sagen, daß ein Ding mit einem anderen verbunden ist, meinen wir nur, daß wir in unserem Denken eine Verbindung gebildet haben, und das bewirkt die Schlußfolgerung, daß jedes der beiden Dinge der Beweis für die Existenz des anderen sei. (Hume, 1742, Essay vrr, Part 1)
((19)) Als grundlegende mentale Verbindungen bezeichnete Hume drei: Ähnlichkeit, unmittelbare Nachbarschaft in Zeit oder Raum, und Ursache-Wirkung. Zweifellos war ihm klar, daß diese Kategorien weiter analysiert und unterteilt werden konnten. Er schrieb:
Dürfen wir nicht erwarten, daß die Philosophiet sofern sie gewissenhaft betrieben und von öffentlichem Interesse gefördert wird, diese Untersuchungen fortsetzen und somit zumindest in gewissem Grad die versteckten Quellen und Prinzipien entdecken wird, die den Operationen des menschlichen Geistes zugrundeliegen? (Hume, 1742, Essay I)
((20)) Es hat lange gedauert, bis empirische Untersuchungen dieser Art wieder aufgenommen wurden. Kant gestand, daß Humes Schriften ihn aus „dogmatischem Schlummer" erweckt hatten, und obgleich er ein gewaltiges theoretisches Gerüst zur Erkundung des rationalen Verstandes lieferte, befaßte er sich doch kaum mit den tatsächlichen Mechanismen der mentalen Operationen. Und nach Kant, im 19. Jahrhundert, verschob sich das Interesse der Philosophen hauptsächlich in die Metaphysik. Wer sich auf die britischen Empiristen berief, tat dies im Zusammenhang mit der Sinneswahrnehmung. Die Tatsache, daß alle drei die unerläßliche Rolle der mentalen Operationen betont hatten, wurde so vollkommen vergessen, daß schließlich eine Bewegung wie der amerikanische Behaviorismus, die alles Geistige als Aberglauben verwarf, sich als Fortsetzung des Empirismus wähnen konnte. So wird auch heute noch in vielen Lehrbüchern der Psychologie der Eindruck erweckt, empirische Forschung sei der goldene Weg zur Erkenntnis der realen, objektiven Welt.
((21)) Als Einstein schrieb, der scharfsinnige Forscher könne niemals wissen, daß der Mechanismus, den er sich ausgedacht hatte, die einzige (und somit „wahre") Erklärung seiner Beobachtungen sei, bestätigte er einen radikalen Umschwung in Bezug auf den Zweck und die Praxis der Forschung. Der Glaube, daß die wissenschaftliche Wahrheit uns ein mehr oder weniger getreues Bild geben könnte, wie eine von uns unabhängige Welt tatsächlich funktioniert, war nicht mehr aufrecht zu erhalten. Forschung bezog sich nunmehr auf die Welt, die wir erleben, und Aufgabe des Wissenschaftlers war es, Modelle zu erfinden, die sich mit den jeweiligen Beobachtungen als vereinbar erwiesen.
((22)) Dieser Umschwung in der Wissenschaftsphilosophie war eine längst fällige Reaktion auf die Lehre der Skepsis. Da der Zweifel nicht rational entkräftet werden konnte, hatten die meisten Denker sich in die Metaphysik geflüchtet. Für die Wissenschaft jedoch war dieser Ausweg ebenso unbefriedigend wie Platons Vorschlag, die eigentliche Quelle wahren Wissens in der ererbten Seele zu suchen, statt in der Erfahrung. Wissenschaftliches Wissen bedurfte einer neuen Definition. Es mußte nicht nur in der Lebenswelt brauchbar sein, es mußte auch in ihr gefunden werden. Was nun nötig war, war ein weitgehender Umbau der begrifflichen Grundlagen.
Der Begriff der Anpassung
((23)) Erst mit dem Erscheinen der Darwinschen Evolutionstheorie wurde ein Begriff zugänglich, der es ermöglichte, dem Wissen eine andere Rolle zuzuschreiben. Es war der Begriff der 'Anpassung', und kurz vor der Jahrhundertwende führten William James, Georg Simmel, Ernst Mach, Alexander Bogdanov, Hans Vaihinger und andere ihn in den Bereich der Kognition ein.
((24)) Einsteins metaphorische Anekdote hilft uns, diese Übertragung zu erhellen. Der wissenschaftliche Beobachter der geheimnisvollen Uhr wird für scharfsinnig und erfolgreich gelten, wenn es ihm gelingt, seinen hypothetischen Mechanismus so zu konstruieren, daß er zu sämtlichen beobachtbaren Einzelheiten paßt. Das heißt, das Modell[2] muß die bisher festgestellten Verhaltensphänomene der Uhr verläßlich wiedergeben. Ernst Mach hat das Wesen der kognitiven Anpassung kurz und genau formuliert: „Anpassung der Gedanken an die Tatsachen und an einander" (Mach, 1917, p. 164)[3]
((25)) Die doppelspurige Anpassung bildet auch die Grundlage von Piagets 'Genetischer Epistemologie'. In dieser Kognitionstheorie hat Wissen nicht den herkömmlichen Zweck, eine vom Wissenden unabhängige Welt zu repräsentieren, sondern dient dem Organismus dazu, so zu Handeln und zu denken, daß er mit der Lebenswelt nicht in Konflikt kommt.[4]
Die Suche nach den Mechanismen der biologischen Anpassung und die Analyse des wissenschaftlichen Denkens als ihrer höchsten Form, sowie deren episteologische Interpretation war von Anfang an mein warf, sich als Fortsetzung des Empirismus wähnen konnte. (Piaget* in Gruber & Vonèche, 1977, p.xii)
((26)) Im Bereich der Kognition ist der Begriff der Anpassung wohl analog der Darwinschen Idee der physiologischen Anpassung biologischer Organismen, doch er ist nicht mehr direkt mit Überleben oder Aussterben verknüpft. Diese Verknüpfung hat schon in der Biologie zu Mißverständnissen geführt. Viekle Texte erwähnen 'Umweltdruck', als sei dies eine Ursache, die in Organismen oder Arten Eigenschaften und Handlungsweisen erzeugt, die sich als angepaßt erweisen. Das ist irreführend, denn in der Evolutionstheorie ist es keineswegs die Umwelt, die den Beweggrund zu einer aktiven Anpassung liefert. Die natürliche Auslese schafft weder Eigenschaften noch Verhalten, sie funktioniert lediglich negativ, indem sie jene Individuen aussterben läßt, die unter den gegenwärtigen Bedingungen unfähig sind, zu überleben und sich fortzupflanzen. Anpassung ist nicht eine Tätigkeit der Organismen, sondern eine Beschreibung ihres Zustands. Diejenigen, die überleben, müssen die dazu nötigen Eigenschaften und Verhalten bereits besitzen, wenn der Druck der Umwelt einsetzt. Diese Eigenschaften sind durchwegs das Ergebnis von zufälligen Mutationen oder Fehlern im Vererbungsmechanismus und als solche niemals Reaktionen auf Umstände oder Änderungen der Umwelt.[5] Kurz, alles, was überlebt. war schon im Vorhinein an die Bedingungen und Beschränkungen angepaßt, durch die die natürliche Auslese nun das Nichtangepaßte vernichtet.
((27)) Auf der kognitiven Ebene geht es nicht direkt um Überleben, sondern um 'Aquilibration', das heißt um inneres Gleichgewicht, und die Auslese ist darum weniger drastisch. Ziel der Anpassung ist hier das Vermeiden von Hindernissen und das Ausgleichen von Störungen. Wie Mach andeutete, können kognitive Strukturen auf zwei Weisen gestört werden: Sie können von Tatsachen widerlegt werden oder mit einander in Konflikt geraten. Die begrifflichen Hindernisse und Störungen sind selten tödlich. Die 'Viabilität' von Begriffen und größeren Begriffsstrukturen, wie etwa Hypothesen oder Theorien, kann normalerweise ohne Lebensgefahr erkundet werden. Gemäß der unterschiedlichen Störungen, gibt es im kognitiven Bereich mehrere Ebenen der Viabilität. Auf der ersten Ebene ist das viabel, was in der jeweiligen Problemsituation zu einer Lösung führt (Machs „Anpassung an die Tatsachen"). Auf der zweiten Ebene ist die Viabilität eine Frage der begrifflichen Vereinbarkeit, das heißt Abwesenheit von Widersprüchen im Bezug auf die anderen Denk- und Handlungsweisen, die das denkende Subjekt in seiner bisherigen Erfahrung als viabel angenommen hat (Machs „Anpassung an einander"). Auf der dritten und höchsten Ebene beruht Viabilität auf dem Einklang der eigenen begrifflichen Strukturen mit jenen, von denen man vermutet, daß andere sie als viabel berachten.
((28)) Auf allen drei Ebenen ist das, was ich 'Viabilität' nenne, der Zustand der Anpassung. Schranken oder Grenzen der Bewegungsfreiheit und bedeutet in keiner Weise eine Angleichung. Diese Beziehung des Hineinpassens läßt sich vielleicht am besten durch die Metapher klar machen, die einige Biologen formuliert haben: Der Vorgang der Auslese, die nur Angepaßtes überleben läßt, ist mit der Funktion eines Siebs vergleichbar, das alles durchfallen läßt, was irgendwie durch die Maschen schlüpft. Was durchfällt 'paßt', besitzt aber keine Eigenschaften des Siebs - es ist nur so beschaffen, daß es durch die Beschränkungen des Siebs nicht beinträchtigt wird.
Piagets Schematbeorie
((29)) Die wichtigste Anwendung des Anpassungsbegriffs in Piagets Theorie war seine Einführung des Handlungsschemas, das die Prinzipien der Assimilation und der Akkommodation mit sich brachte. Als Biologe war er mit der Bedeutung von Reflexen vertraut und beobachtete die reflexiven Verhalten in seinen eigenen Kindern. In der einschlägigen Literatur heißt es zumeist, daß Reflexe aus zwei Teilen bestehen: Eine auslösende Situation und eine fest mit ihr assoziierte Handlung. Piaget wurde sich klar darüber, daß derartige Verbindungen durch Mutationen entstanden sind und im Erbgut der Arten allgemein wurden, weil die Wirkung der automatisch hervorgerufenen Handlung den Individuen, die eben diese Mutationen besaßen, einen Vorteil im Überleben bot. Er sah den Reflex also nicht als zweiteilig, sondern als aus drei Teilen bestehend.
((30)) Außerdem hatte Piaget auch bemerkt, daß die Reflexe des Säuglings keineswegs so fest und unabänderlich sind, wie die Lehrbücher behaupten. Einerseits verschwinden sie früher oder später im Laufe der individuellen Entwicklung und andererseits ist die Situation, die sie auslöst, vom Gesichtspunkt des Beobachters aus nicht immer genau die gleiche. Das, worauf es ankommt, ist, wie der Organismus die gegebene Situation wahrnimmt. Solange sie mit dem Erkennungsmuster vereinbar ist, das der Organismus ererbt oder sich gebildet hat, löst sie die assoziierte Handlung aus. Das ist die ontogenetisch erste Manifestation dessen, was Piaget 'Assimilation' genannt hat.
((31)) In der entwicklungspsychologischen Literatur wird der Begriff der Assimilation fälschlich oft so erklärt, als handele es sich dabei um die Abänderung eines Inputs von der Außenwelt. Eine angemessene Beschreibung sollte jedoch darlegen, daß es der Beobachter ist, der von Assimilation spricht, wenn der Organismus in seiner Wahrnehmung gewisse Einzelheiten übergeht, die dem Beobachter offensichtlich sind. Für das Kleinkind, wie zumeist auch für das erwachsene Individuum, ist eine Situation stets das, was das Subjekt selber wahrnimmt.
((32)) Diese oberflächliche - wenn man will lückenhafte - Wahrnehmung ist der Schlüssel zur begrifflichen Verallgemeinerung und zur Klassenbildung. Sie ist auch ein wichtiger Punkt im Verständnis dessen, was Mach mit den „Tatsachen“ meinte, an die das Denken sich anpassen muß. „Keine Tatsache der Erfahrung wiederholt sich vollkommen genau“, schrieb er, und wenige Zeilen darauf erklärte er:
Wissenschaft ist nicht möglich ohne eine gewisse, wenn auch nicht vollkommene Stabilität der Tatsachen und eine dieser entsprechende, durch Anpassung sich ergebende Stabilität der Gedanken. (Mach, 1917, p.283-84)
((33)) In Piagets konstruktivistischer Theorie ist es das Prinzip der Assimilation, das die Stabilität hervorbringt.
((34)) Das in den Reflexen vorgeformte dreiteilige Muster, so schloß Piaget, konnte von dem sich entwickelnden Kind selbst aufgebaut werden, wann immer eine angenehme oder irgendwie interessante Erfahrung auf eine Handlung folgt. Er sah darin die allgemeine Struktur des sensomotorischen Handelns und gründete darauf den Begriff des Handlungsschemas. Dieser Begriff erlaubte es ihm dann, eine umfassende Theorie des praktischen Lernens zu entwickeln.
((35)) Der springende Punkt in dieser Theorie ist das Prinzip der ‘Akkommodation’. Wenn ein Subjekt eine wahrgenommene Situation als Auslöser einer bestimmten Handlung assimiliert, schafft dies die Erwartung, daß die Handlung das gewohnte Ergebnis zeitigen wird. Wenn dann dieses Ergebnis nicht eintritt, entsteht eine Perturbation, d.h. eine Störung des inneren Gleichgewichts. Es kann dies eine Enttäuschung sein, oder eine positive Überraschung (wenn das unerwartete Ergebnis ein angenehmes ist). In beiden Fällen kann die Perturbation zu einer Überprüfung der Auslösersituation führen - gewissermaßen um herauszufinden, warum das Schema nicht wie erwartet funktioniert hat. Wenn nun ein vorher mißachtetes Element der Situation für den Fehlschlag verantwortlich gemacht werden kann, so besteht die Möglichkeit, das Erkennungsmuster dementsprechend abzuändern. War das unerwartete Ergebnis angenehm, so wird dies zur Bildung eines neuen Schemas neben dem alten führen. In beiden Fällen nennt Piaget es eine Akkommodation. (Eine Akkommodation kann selbstverständlich auch stattfinden, wenn die Überprüfung einen Haken im Ablauf der Handlung zutage bringt). Kurz, man kann die allgemeine Regel formulieren, daß Akkommodationen und somit Lernen dann zustande kommen, wenn ein gewohntes Schema ein unerwartetes Resultat hervorbringt.
Kybernetik: Selbstorganisation und Verständigung
((36)) Mitte der Sechzigeijahre, zwanzig Jahre nachdem Norbert Wiener sein erstes Buch über Kybernetik (1965) veröffentlicht hatte, bemerkte Piaget, daß es zwischen dieser neuen Disziplin und seinen eigenen Ideen Parallelen gab. Das grundlegende konstruktivistische Prinzip, daß der menschliche Verstand die Wirklichkeit organisiert, indem er sich selbst organisiert (Piaget, 1937, p.311), verkörperte zweifellos die kybernetische Idee der Selbstorganisation.
((37)) Zudem gab es auch andere Ähnlichkeiten. Laut Schematheorie finden Akkommodationen statt, wenn ein erwartetes Ergebnis, ein Ziel, nicht erreicht wird. Das ist analog mit der Idee des negativen Feedbacks, die in homöostatischen Mechanismen verkörpert ist. Ein Thermostat zum Beispiel bewirkt nur dann eine Tätigkeit (Heizen oder Kühlen), wenn die wahrgenommene Temperatur nicht mehr mit dem festgelegten Sollwert (Referenz) Ubereinstimmt. William Powers, ein Pionier der Anwendung kybernetischer Prinzipien in der Verhaltenspsychologie, hat diese Idee im Titel seines Buches
formuliert: Behavior; The Control of Perception - Verhalten als Steuerung der Wahrnehmung (1973). Auch er sah, daß dieses Prinzip erhebliche epistemologische Konsequenzen mit sich bringt. Wenn der ‘intelligente’ Organismus nicht auf Stimuli der Umwelt, sondern lediglich auf Unterschiede zwischen Wahrnehmungen und vorbestimmten Sollwerten reagiert, um sein internes Gleichgewicht zu erhalten, dann gewinnt der Organismus kein objektives Wissen von der Außenwelt. Er kann bestenfalls lernen, sein Gleichgewicht angesichts der Perturbationen, die er wahrnimmt, einigermaßen aufrecht zu erhalten.
((38)) Mit der Kybernetik stimmt der radikale Konstruktivismus auch in der Einstellung gegenüber Sprache und Verständigung überein. Die auf Arbeiten von Claude Shannon beruhende Kommunikationstheorie (1948) hat eine technische Analyse des Vorgangs geliefert und einen weitverbreiteten Glauben abgebaut.
Signale, Wörter oder Symbole befördern ihre Bedeutung nicht von einem Kommunikanten zum anderen. Die Signalzeichen, die von dem jeweiligen Sender zu einem Empfänger kommen, erhalten ihre Bedeutung nur durch einen Interpretationsprozeß an beiden Enden des Kommunikationskanals. Der Sender setzt die Nachricht in einen bereits festgelegten Kode um (encoding), zum Beispiel in den Morse-Kode der Telegraphie. Es handelt sich da um eine zweispaltige Liste, in der jeder Buchstabe des Alphabets mit einem Signal Zeichen in Form einer Kombination von Punkten und Strichen gepaart ist. Die Empfänger am anderen Ende des Kanals können den empfangenen Signalen nur dann Bedeutungen zuschreiben, wenn sie im Besitz der Kode-Liste sind. Die Liste selbst kann nicht übertragen werden und muß darum auf andere Weise an die zukünftigen Empfänger verteilt werden. Diese Bedingung muß in allen Kommunikationssystemen erfüllt werden, bevor eine Verständigung stattfinden kann.
((39)) Insofern die natürlichen Sprachen der Verständigung dienen sollen, stellt sich die Frage, wie es dazu kommt, daß die Sprachbenutzer einander verstehen. Freilich gibt es Wörterbücher und Lexika, in denen Wortbedeutungen erklärt werden, aber diese Erklärungen bestehen jeweils aus anderen Wörtern und sind deswegen nur denjenigen nützlich, die bereits einen gewissen Wortschatz haben. Kinder eignen sich ihren grundlegenden Wortschatz in der eigenen Sprache nicht durch das Studium von Wörterbüchern an, sondern auf Grund ihrer Erfahrungen im täglichen Leben. Obschon fortlaufend Untersuchungen gemacht und Theorien entworfen werden, wie die Regeln des Satzbaues gelernt werden könnten, hat kaum jemand sich dafür interessiert, wie Wortbedeutungen entstehen. Schuld daran ist die althergebrachte Überzeugung, daß Wörter - zumindest jene, die Kinder lernen - sich auf Gegenstände der realen Welt beziehen, die für alle Sprecher gleich und darum unproblematisch sind.
((40)) Wenn die epistemologischen Argumente, die ich bereits vorgebracht habe, sinnvoll sind, liegt die Frage der ersten, unerläßlichen Wortbedeutungen jedoch völlig anders. Der Boden, aus dem sie wachsen, kann nur die Erfahrungswelt des Kindes sein. In dieser verschwommenen formlosen Landschaft müssen zunächst wiederholbare Muster gebildet werden, und erst wenn visuelle Komplexe streng von Klangbildern unterschieden sind, kann eines der zweiten Gruppe einem der ersten zugeordnet werden. Selbst wenn die fürsorgliche Mutter eine Tasse vom Tisch hebt und zur einjährigen Tochter sagt: „Schau, Marie, das ist eine Tasse, eine Tasse.“, muß Marie zuerst den Gegenstand in ihrem Gesichtsfeld isolieren und den Wortlaut von anderen gleichzeitigen Geräuschen trennen, bevor sie zwischen beiden eine semantische Verbindung hersteilen kann. Was das Kind da isoliert und trennt, sind nicht Dinge an sich, sondern unter allen Umständen Teile seiner eigenen Erlebenswelt, die im Laufe weiterer Erfahrungen durchwegs mehr oder weniger geändert werden müssen, um mit dem Sprachgebrauch der Erwachsenen einigermaßen übereinzustimmen.
((41)) Michael Tomasello hat auf Grund von ausgedehnten, extrem sorgfältigen Entwicklungsstudien die oft verworrenen Pfade dargelegt, auf denen das Kind seine relative Anpassung an den allgemeinen Sprachgebrauch erreicht (Tomasello, 1992). Daß diese Anpassung eine allmähliche ist, sollte niemanden überraschen. Auch in fortgeschrittenem Alter entdecken wir alle von Zeit zu Zeit, daß wir das eine oder andere Wort unserer Sprache bisher stets in einer Weise verwendet haben, die von jener anderer Sprecher abweicht. Wir haben es vorher nicht bemerkt, weil die Situationen, in denen wir das Wort benutzten oder hörten, unsere Idiosynkrasie nicht zum Vorschein brachten.
((42)) Die Sozialpsychologen haben also völlig recht, wenn sie sagen, daß die Bedeutungen von Wörtern in der Gesellschaft ‘ausgehandelt’ werden. Wichtig ist jedoch die Einsicht, daß das letzte Ergebnis dieses fortlaufenden Handels Vereinbarkeit ist, d.h. Kompatibilität im Sinne der Anpassung, und niemals eine absolute Gleichheit. Denn selbst wenn ein Lehrer oder ein Wörterbuch uns den Gebrauch eines Wortes erklärt, so beruht die Bedeutung, die wir uns aufbauen, doch auf der Interpretation unseres eigenen Erlebens. Diese Bedeutung wird dann zweifellos im Laufe sprachlicher Unterhandlungen geschliffen, verfeinert und weiter angepaßt, doch das Material aus dem sie besteht ist und bleibt das Material
der subjektiven Erfahrung.
Begriffsanalyse: Mehrheit und Identität
((43)) Auf dem Niveau der Begriffe, die nicht direkt aus Elementen der Wahrnehmung gewonnen werden können, beruht der Aufbau auf der Reflexion über mentale Operationen. Das klarste Beispiel, das ich bisher gefunden habe, ist die Konstruktion der Mehrzahl. Für Erwachsene ist es selbstverständlich, daß man angesichts einer Tasse den Singular des Wortes verwendet, und wenn es sich um mehrere handelt, den Plural. Die Unterscheidung der beiden Situationen wird zumeist als einfache Sache der Wahrnehmung betrachtet, das heißt als offensichtlich und ganz unproblematisch. Untersucht man jedoch genauer, wie ein Kind den richtigen Gebrauch von Ein- und Mehrzahl lernen kann, dann findet man, daß das Gewahrwerden einer Mehrheit mehr verlangt, als bloße Wahrnehmungen. Hat das Kind gelernt, eine bestimmte Kombination sensomotorischer Elemente als „Tasse“ zu bezeichnen, so kann es angesichts mehrerer dieser Gegenstände sagen: „Tasse, Tasse, Tasse, ...“[6]. Vielleicht sagt jemand: „Ja, das sind Tassen,“ und das Kind nimmt den phonetischen Unterschied des Wortes wahr. Vielleicht hat es die abweichende Pluralform auch schon im Gespräch Erwachsener bemerkt. - Aber was sagt ihm, wann die eine und wann die andere Form am Platz ist? Die Antwort liegt nicht in den wahrgenommenen Dingen, sondern im Bereich der Operationen, die der Wahmehmende ausführt. Um eine Mehrheit zu konstruieren, muß man merken, daß man ein und dieselbe Erkennungsprozedur, die einem den Gegenstand „Tasse“ liefert, mindestens zweimal ausgeführt hat. Die Pluralform des Wortes bedingt diese Wiederholung, denn sie bezieht sich nicht auf Elemente der sinnlichen Wahrnehmung, sondern auf die Art und Weise, wie man Wahrgenommenes verbindet.
((44)) Alles Wissen stammt laut Piaget aus Handlungen. Auf der sensomotorischen Ebene sind es physische Aktionen, auf der begrifflichen mentale Operationen, die das Rohmaterial für Reflexion liefern. Was hier als Reflexion bezeichnet wird, schließt jedoch nicht unbedingt Bewußtsein ein.
... Handeln allein schafft ein selbständiges Wissen von erheblicher Macht, denn obgleich es lediglich „Wissen-wie“ ist und seiner selbst nicht bewußt im Sinne eines begrifflichen Verstehens, bildet es doch die Quelle dieses zweiten, wenn das stets nachhinkende Bewußtsein dann einsetzt. Doch das anfängliche Wissen ist äußerst wirksam, auch wenn es von sich selbst noch nichts weiß. (Piaget, 1974, p.275)
Piaget belegt dies mit einem treffenden Beispiel:
Im Lauf der Geschichte haben Denker gedankliche Strukturen benützt, ohne sie bewußt erfaßt zu haben. Ein klassisches Beispiel: Aristoteles hat die Logik der Beziehungen benützt, aber in der Konstruktion seiner eigenen Logik völlig ignoriert. (Piaget & Garcia, 1983, p.37)
((45)) Ein integraler Teil des konstruktivistischen Denkens ist die Entwicklung von Modellen, die mentalen Operationen entsprechen, die uns in unserer täglichen Erfahrung Begriffsstrukturen liefern, deren Ableitung uns zumeist unbewußt bleibt Eine der wichtigsten unter diesen ist die Überzeugung der sogenannten ‘Objektpennanenz’, die wir bereits früh in unserer kognitiven Laufbahn aufgebaut haben. Die Herkunft der Idee, daß die meisten Gegenstände, mit denen wir unsere Erlebens weit möblieren, existentielle Dauerhaftigkeit haben, wird zumindest oberflächlich dadurch verschleiert, daß die Ausdrücke „das gleiche“ und „dasselbe“ in der Umgangssprache austauschbar benützt werden. So kann zum Beispiel eine Frau ihrer Freundin entrüstet von einer Party berichten: „Stell Dir vor, die Irmgard kam in demselben Kleid wie ich!“; und der Sohn kann der Familie auf einer Ferienfahrt erklären: „Das ist das gleiche Auto, das uns schon vor dem Mittagessen vorgefahren ist.“ - Im ersten Fall sind es zwei Kleider, die sich in Bezug auf die Eigenschaften, die da maßgebend sind, nicht unterscheiden; im zweiten Fall hingegen handelt es sich um ein und dasselbe Auto. Anders ausgedrückt: Im ersten Fall wird auf Grund eines Vergleichs die Zugehörigkeit zweier
Gegenstände zu einer bestimmten Klasse behauptet, im zweiten wird dem Gegenstand zweier zeitlich getrennter Erlebnisse individuelle Identität zugeschrieben.
((46)) Beide Operationsweisen sind wichtige Elemente im Aufbau der Begriffswelt. Indem wir Klassen bilden, ersparen wir es uns, jeden Gegenstand, den wirerleben, als Neuerscheinung zu untersuchen. Die Zuschreibung individueller Identität jedoch hat weiteneichende Anwendungen. Ohne sie könnten wir nicht von ‘Änderung’ sprechen, hätten also keinen Grund, nach Ursachen zu forschen und wären nie auf die Idee von der Erhaltung der Energie gekommen. Noch grundlegender scheint es mir, daß die Struktur der Objektpennanenz auch den Ursprung unserer Raum- und Zeitbegriffe beleuchtet. Um diese Behauptung zu erklären, möchte ich die Begriffsstruktur der Identität graphisch darstellen. Die Methode dieser Darstellung verdanke ich meinem jüngst verstorbenen Freund Silvio Ceccato, der bereits in den Fünfziger] ahren Sequenzen von ‘Momentaufnahmen’ in der semantischen Analyse verwendete.
((47)) In diesem Diagramm bedeutet „f“ jeweils einen einzelnen Erlebensmoment (auf Englisch ist frame ein einzelnes Bild in einem Filmstreifen) und „X“ bedeutet ein als Gegenstand kategorisiertes Erlebnis. Die Momente sind statisch, und nur ein aktiver Verstand kann durch Reflexion in der Folge der Momente Beziehungen schaffen. Werden X( und X2 nun als Erlebnisse ein und desselben Gegenstandes betrachtet, so ergibt sich die Frage, wo dieser Gegenstand sich von f2 bis fn außerhalb des Aufmerksamkeitsbereichs befunden hat. Somit wird jenseits der Erlebnisfolge ein Bereich geschaffen, in dem permanente Objekte warten können, bis sie im Aufmerksamkeitsfeld des Erlebenden wieder auftauchen. Diesen Bereich habe ich ‘Protoraum’ genannt, denn er erhält die Struktur und Meßbarkeit des eigentlichen Raums erst, wenn das denkende Subjekt nicht nur eine Reihe von Objekten dort aufbewahrt, sondern auch die Beziehungen, die es im Erleben der Objekte zwischen ihnen aufgebaut hat.
((48)) Da die individuelle Identität, die Gegenständen zugeschrieben wird, Intervalle überspannt, die für den Erlebenden durch eine Folge anderer Erlebnissen gefüllt sind, müssen diese Identitäten sozusagen dehnbar gedacht werden. Das heißt, sie müssen die jeweiligen Intervalle überdauern. Diese Ausdehnung von Identitäten jenseits der Erlebenswelt schafft eine Dimension, die ich ‘Protozeit’ nenne und die dann durch die Projektion von tatsächlichen Erlebnisfolgen zum eigentlichen Begriff der Zeit wird. Die Projektion von Jahreszeiten, Tag und Nacht, und schließlich der regelmäßigen mechanischen Vorgänge von Uhren, verleihen dieser Dimension der Dauer Meßbarkeit.
((49)) Angesichts der vielen Diskussionen und empirischen Untersuchungen, die Piagets Idee der Objektpermanenz hervorgerufen hat, ist es wichtig darauf hinzuweisen, daß dieses Element der kognitiven Entwicklung einem Subjekt nur dann zugeschrieben werden sollte, wenn es gezeigt hat, daß es sich das Objekt vorstdien kann, auch wenn es im gegenwärtigen Wahmehmungsbereich nicht vorhanden ist. Dieses Vorstel- lungsvermögen habe ich im Englischen re~presentation genannt. Der ungewohnte Bindestrich soll andeuten, daß es sich hier um die Rekonstruktion eines Erlebnisses handelt und nicht um die Spiegelung eines Stücks realer Welt. Dieser Unterschied wird besonders relevant, wenn man in philosophischen Texten oder Berichten der Artificial Intelligence auf das Wort „Repräsentation“ stößt, das fast immer realistische Voraussetzungen impliziert.
((50)) Die Rolle dieser Vorstellungen hat Piaget sehr gut beschrieben:
Durch die Tatsache, daß es in das System der Vorstellungen und der abstrakten oder indirekten Beziehungen eingeht, erlangt das Objekt einen endgültigen Grad der Freiheit im Bewußtsein des Subjekts: Es wird jetzt trotz aller Verlagerungen und zeitweiligem Verschwinden aus dem Wahmehmungsfeld als sich selbst identisch bleibend begriffen.[7] (Piaget, 1937, p.75)
((51)) Die Fähigkeit, sich ein abwesendes Objekt vorzustellen, ist eine Weiterentwicklung der Fähigkeit, ein Objekt als ein bereits erlebtes zu erkennen. Die beiden entstehen nicht mit-, sondern nacheinander. Daß die Folge keineswegs automatisch ist, scheint mir am besten dadurch belegt, daß wir eine ganze Menge von Leuten als Bekannte erkennen, wenn wir mit ihnen Zusammentreffen, aber unfähig sind, sie zu beschreiben, wenn wir sie nicht im Gesichtsfeld haben. (Das, was ich oben ‘Erkennungsmuster’ nannte, ist also bestenfalls eine Vorstufe und wird erst durch wiederholte Reflexion zu jener selbständigen Vorstellung, die zur Objektpermanenz nötig ist.)
((52)) Um auch die anderen Begriffe, die bereits Berkeley als mentale Konstrukte bezeichnete, auf meine Weise zu analysieren, möchte ich die Struktur der ‘Änderung’ graphisch darstellen. Auch dieser Begriff entspringt einer Folge von Erlebensmomenten, denn auf Grund einer einzigen Beobachtung kann man keine Änderung konzipieren. Man braucht mindestens zwei, zwischen denen man einen Unterschied feststellt. Nehmen wir an, ich sehe, daß der Apfel, den meine Frau mir vor zwei Tagen auf den Schreibtisch gelegt hat, nun angefault ist. Das Diagramm dieser Änderung sieht so aus:
((53)) Um zu sagen, daß der Apfel „X“ sich verändert hat, muß ich annehmen, daß er in beiden Beobachtungen derselbe war; wäre er es nicht, so müßte ich ‘Austausch’ denken, nicht ‘Veränderung’. Ist der Apfel an eine andere Stelle des Schreibtischs gerollt, so setzte ich statt der Eigenschaften im Diagramm die zwei verschiedenen Ortsbestimmungen ein, und dann zeigt es die ‘Ortsveränderung’ an.
((54)) Wenn ein Objekt im Laufe mehrerer Erlebnisse in gewisser Hinsicht unverändert bleibt, so kann ich die Fortdauer seines Zustands durch zwei einander folgende, aber ansonsten gleiche Momentaufnahmen anzeigen und so den Begriff der Dauer nahelegen. Verbinde ich das Element der Fortdauer an einem Ort mit der Beobachtung des identischen Individuums an einem anderen, so erhalte ich den Begriff der räumlichen ‘Ausdehnung’.
((55)) Daß die in diesen Diagrammen angedeuteten mentalen Operationen zumeist nicht bewußt registriert werden, läßt sich mit Hilfe von zwei ganz banalen Aussagen zeigen. Einmal sage ich zu einem Besucher: „Der Zug geht direkt von hier nach Boston“, ein andermal,.Diese Straße geht nach Boston.“ Normalerweise wird weder mir noch ihm dabei bewußt, daß der Zug nur jeweils an einem Ort sein kann, während die Straße als an beiden Orten zugleich gedacht wird
((56)) Ich hoffe, diese Beispiele genügen, um zu zeigen, daß diese Art der Zerlegung in der Herstellung von Modellen der Begriffskonstruktion und somit der Wortbedeutungen überaus brauchbar ist.
Zusammenfassung und Gebrauchsanweisung
((57)) Im konstruktivistischen Denken wird der Begriff der ontischen Wahrheit aufgegeben. Da die Argumente der Skeptiker die naturgetreue Spiegelung oder Repräsentation einer Realität logisch ausschließen, gründet sich dieses Denken auf Piagets Einsicht, daß die kognitive Aktivität nicht die Aufgabe hat, die Welt zu ‘erkennen’, sondern darin liegt, das physische und mentale Gleichgewicht des Organismus durch Anpassung zu erhalten. Diese Anpassung fuhrt nicht zur Kenntnis objektiver Sachverhalte, sondern zur Entwicklung von Handlungs- und Denkweisen, die sich in der Erlebenswelt als viabel erweisen. Das Repertoire von Handlungen und Operationen ist das Wissen, das kognitive Subjekte im Rahmen ihrer Erlebensbereiche konstruieren.
((58)) Auf Grund dieser epistemologischen Voraussetzungen lassen sich einige Schlußfolgerungen ziehen:
- Der Konstruktivismus leugnet keineswegs eine ontologische Realität, doch er behauptet, daß wir sie nicht rational erfassen können.
- ‘Wirklichkeit’ ist die Welt, die wir erleben, und aus ihr allein leiten wir, auf die uns eigene Weise, Ideen und Dinge ab, sowie die Begriffe der Beziehungen, mit denen wir Verbindungen hersteilen und Theorien aufbauen, die es uns erlauben, mehr oder weniger viable Erklärungen und Vorhersagen in unserer Lebenswelt zu formulieren.
- Der Begriff der Viabilität ersetzt jenen der ontischen Wahrheit; das heißt, die Bestätigung des Wissens wird nicht in einem unmöglichen Vergleich mit der Realität gesucht, sondern in seiner Brauchbarkeit angesichts der Hindernisse, denen wir beim Verfolgen unserer Ziele begegnen. Daraus folgt, daß die Lösung eines Problems nie als die einzig mögliche betrachtet werden darf; es mag die einzige sein, die wir zur Zeit kennen, aber das rechtfertigt niemals den Glauben, unsere Lösung gewähre uns Einsicht in die Struktur einer von uns unabhängig existierenden Welt.
- Dieser letzte Punkt betrifft notwendigerweise auch den Konstruktivismus selbst. Wie alle Theorien, beruht er auf Voraussetzungen, doch er hütet sich, diese Voraussetzungen, seien sie bewußt oder unbewußt, als ontologische Gegebenheiten zu betrachten. Sie werden als Annahmen gedacht, um Modelle zu bauen, die sich in der Welt des Erlebens bewähren sollen.
((59)) Die konstruktivistische Orientation hat zu einer Reihe von Anwendungen geführt. Einige Ergebnisse der Begriffsanalyse habe ich hier erwähnt. Konstruktivistische Ansätze sind heute ein Gemeinplatz in der Didaktik und der Familientherapie und die jeweilige Literatur bietet unzählige Ausführungen. Der Leser dieses Artikels wird selbst beurteilen müssen, inwieweit sie mit den hier beschriebenen Grundsätzen übereinstimmen.
((60)) Für mich liegt das wichtigste Anwendungsgebiet des Konstruktivismus im täglichen Leben. Mit dem Verzicht auf objektive Wahrheit verliert alles Rechthaberische seinen Sinn. Wenn man keinen Grund mehr hat zu behaupten, man wisse wie dies oder jenes ist, versteht man leichter, daß andere ihre Wirklichkeit nicht so sehen müssen, wie man die eigene sieht. Man kann zwar darüber diskutieren, ob die eine oder andere Handlungs- oder Denkweise voraussichtlich zu dem gemeinsam erwünschten Ziel fuhren wird oder nicht, aber man bleibt sich der Tatsache gewahr, daß die Frage letztlich nur in der
Praxis entschieden werden kann.
((61)) Das Zusammenleben mit anderen wird erheblich leichter und reibungsloser, wenn man sich vor Augen hält, daß die Vorstellung, die man von ihnen hat, ausnahmslos aus eigenen Erfahrungen stammt, die man mit ihr oder ihm gemacht hat, und darum letzten Endes eine Frage der subjektiven Interpretation ist. So manche Unstimmigkeit läßt sich auflösen, wenn man sich vor Augen hält, daß alles, was gesagt, gesehen oder gefühlt wird, auf mehr als eine Weise interpretiert werden kann, und man darum zu anderen nicht sagt: „Du bist ...“, sondern „Ich sehe Dich so...“.
((62)) Einige Kritiker haben behauptet, der Konstruktivismus sei gefährlich, weil er Verirrungen, wie zum Beispiel dem Nazismus, nichts entgegensetzen könne (vgl. Matthews,
1993). Darauf erwidere ich, daß keine rationale Wissenstheorie im Laufe der Menschheitsgeschichte ethische Grundsätze bilden oder begründen konnte und dadurch Verbrechen an Volksgruppen und Einzelnen verhindert hat.
((63)) In diesem Zusammenhang möchte ich jedoch zu bedenken geben, daß der Konstruktivismus aus rein epistemologischen Gründen Toleranz verlangt und zudem zur Entwicklung von Verhaltensregeln zwei Argumente liefert, die mit Kants kategorischem Imperativ vereinbar sind: Erstens stellt er fest, daß alle Individuen für ihr Handeln und Denken verantwortlich sind, und zweitens zeigt er, indem er jede Berufung auf eine absolute Wahrheit grundsätzlich widerlegt, daß die Viabilität von Gesetzen und Beschränkungen der individuellen Freiheit in der Gesellschaft ausgehandelt werden muß.
((64)) Zum Abschluß möchte ich etwas noch einmal hervorheben, was von Kritikern bisher zumeist übergangen wurde: Der radikale Konstruktivismus darf nicht als Beschreibung einer realen Welt betrachtet werden. Er macht keinerlei ontologische Behauptungen, sondern schlägt lediglich ein Denkmodell vor, das anschaulich machen kann, wie wir zu Vorstellungen und Wissen von der Erfahrungswelt kommen, in der wir leben. Diese Denkweise macht keinen Anspruch auf ‘Wahrheit’ im philosophischen Sinn, denn ihr Wert kann sich nur in der Praxis denkender Individuen erweisen.
Anmerkungen
Literatur
Berkeley, G. (1706-1708). Commonplace Book. London: Faber & Faber, 1930 (später veröffentlicht als Philosophical commentaries in A. A. Luce & T. E. Jessop, Hg., 1950, Bd. I.).
Bruner, J. (1986). Actual minds, possible worlds. Cambridge, Massachusetts: Harvard University Press.
Diels, H. (1957). Die Fragmente der Vorsokratiker. Hamburg: Rowohlt.
Einstein, A. & Infeld, L. (1950). Die Evolution der Physik. Wien: Paul Zsolnay.
Eriugena, J. S. (9. Jrh.). Periphyseon, Übersetzung von Sheldon-Williams, zitiert in R. Kearney (Hg.) (1985) The Irish Mind, Dublin: Wolfhound Press.
Glasersfeld, E. von (1996). Radikaler Konstruktivismus: Ideen, Ergebnisse, Probleme. Frankfurt: Suhrkamp.
Gruber, H. E. & Vonèche, J. J. (Hg.) (1977). The essential Piaget. London: Routledge & Kegan Paul.
Haller, R.& Stadler, F. (Hg.) (1988). Ernst Mach: Werk und Wirkung. Wien: Hölder-Pichler-Tempsky.
Hume, D. (1742). Philosophical essays concerning human understanding. London: Millar (in 1758, nach der 4.Auflage, wurde das Werk An enquiry concerning human understanding betitelt).
Kearney, R. (Hg.) (1985). The Irish Mind. Dublin: Wolfhound Press.
Mach, E. (1917). Erkenntnis und Irrtum. Leipzig: J.A.Barth (3rd edition).
Matthews, M. R, (1993). Constructivism and Science education: Some epistemological problems. Journal of Science Education and Technology. 2 (1), 359-370.
Locke, J. (1690). An Essay Concerning Human Understanding (A.C. Fraser, Hg. New York: Dover, 1959).
Piaget, J. (1937). La construction du réel chez l'enfant. Neuchatel: Delachaux et Niestlé.
Piaget, J. (1974). La prise de conscience. Paris: Presses Universitaires de France.
Piaget, J. & Garcia, R. (1983). Psychogenèse et histoire des Sciences. Paris: Flammarion.
Powers, W. T. (1973). Behavior: The Control of Perception. Chicago: Aldine.
Shannon, C. E. (1948). The mathematical theory of communication. Bell Systems Technical Journal, 27, 379-423 & 623-656.
Tomasello, M. (1992). First verbs. Cambridge, UK: Cambridge University Press.
Wiener, N. (1965). Cybernetics. Cambridge, Massachusetts: M.I.T.Press (first published 1948).
Kritik
Marco C. Bettoni: Dialog über Wissenstheorie
Michael Drieschner: Was ist die Wirklichkeit denn nun wirklich?
Michael Drieschner – Was ist die Wirklichkeit nun wirklich?
((1)) Ich möchte hier nur auf einen, allerdings fundamentalen Gesichtpunkt eingehen, den der Wirklichkeit. Meine Position, die von Ernst von Glasersfelds etwas abweicht, fasse ich so zusammen: Wir konstruieren unsere Wirklichkeit nach Viabilitäten selbst; aber die so konstruierte Wirklichkeit ist dann auch die Wirklichkeit, es gibt keine andere “hinter” ihr.
((2)) Sehr plausibel ist mir, wie Glasersfeld in seinem Radikal-Konstruktivistischen Ansatz zeigt, daß wir uns die Wirklichkeit um uns herum selbst konstruieren, und zwar nach unseren Bedürfnissen für das Überleben - im weitesten Sinn. Wir wären nicht in der Lage, eine etwa angenommene an sich vorhandene Welt als solche unmittelbar aufzunehmen. Schon sehr viel weniger plausibel ist mir der Skeptizismus, den Glasersfeld mit diesem Radikal-Konstruktivistischen Ansatz verbindet. Und noch viel weniger plausibel ist mir alles das, was Glasersfeld zu einer “ontologischen Realität” ((58)) oder “Wahrheit und ‘Wahrheit im philosophischen Sinn’” ((64)) sagt.
((3)) Wir konstruieren, mit Hilfe unseres Nervensystems und dem damit zusammenhängenden eigenen Leib die Wirklichkeit so, daß sie uns “viables” Verhalten ermöglicht: Wir konstruieren sie so, daß wir z.B. beim Gehen nicht anstoßen. Unsere Fähigkeiten auf diesem Gebiet sind so gut ausgeprägt, daß wir uns auf diese Weise eine sehr komplexe Wirklichkeit konstruieren, die nicht nur Gegenstände enthält, um die wir herumgehen müssen, sondern - wie es Glasersfeld beschreibt - ein System von kognitiven Theorien, bis hin zu einem höchst komplexen sozialen System. Dieses System kann sich bewähren, und es wird sich wegen seiner Konstruktion aufgrund von Viabilitäten im allgemeinen auch bewähren; wo es sich nicht bewährt - wo vermeintliche Viabilitäten sich als falsch erweisen -, können wir es korrigieren. Die so von mir konstruierte Realität ist aber - Glasersfeld scheint das zu bezweifeln - die Realität. Es ist nicht zu sehen, was eine andere, meinetwegen “ontologische” Realität, wie Glasersfeld sie einführt, daneben noch soll. Diese weitere Realität käme in die Nähe von Kants “Ding an sich”: Nach Kant können wir die Welt nur so erkennen, wie sie uns erscheint; wir könnten über Erscheinungen manches sagen, “niemals aber das Mindeste von dem Dinge an sich selbst, das diesen Erscheinungen zum Grunde liegen mag” (KrV 46, zitiert nach Glasersfeld 1987). Kant beschreibt die Welt der Erscheinung so ausführlich und überzeugend, daß man ihm schließlich gar nicht mehr recht abnimmt, daß dahinter ein unerkennbares Ding an sich sein muß - etwas, worüber man ohnehin nichts sagen kann.
((4)) Wenn wir "radikal” genug damit Ernst machen, daß wir so die Wirklichkeit konstruieren, dann sind wir auch wieder legitimiert, von einer objektiven Beschreibung der Welt zu sprechen, wie sie ein Beobachter dieser Welt geben würde. Wie würde man denn im Radikal-Konstruktivistischen Bild die von der Naturwissenschaft beschriebene objektive Welt ansiedeln? - In der Sicht des radikalen Konstruktivismus kann das ja auch nur eine Konstruktion sein, vielleicht etwas raffinierter als die von mir allein erzeugte, von hohem sozialen Konsens getragen, aber eben doch auch Konstruktion. In dieser Konstruktion käme nun u. a. eine Beschreibung von Nervensystemen vor, z. B. Ernst von Glasersfeld, wie er sich seine Umwelt entsprechend seiner neurophysiologischen Ausstattung und nach Maßgabe seiner Viabilitäten konstruiert; so, wie er es eben wirklich macht. Diese Beschreibung ist legitim als Teil meiner Konstruktion der Welt (über die ich mich mit anderen verständigen kann). - Dann bekommt sogar die “Korrespondenztheorie der Wahrheit” einen guten Sinn: Wenn G.s Konstruktion, wie er sie mir mitteilt, mit meiner Konstruktion an der betreffenden Stelle übereinstimmt, dann ist G.s Mitteilung (soweit ich es beurteilen kann) wahr. Dies trifft dann auch auf die Radikal-Konstruktivistische Sicht selber zu: Was E. v. Glasersfeld in seinen Schriften behauptet und m. E. ganz plausibel darstellt, ist Teil unserer gemeinsamen Konstruktion von Wirklichkeit, über deren Wahrheit wir uns verständigen können. - Wenn er aber am Schluß seines Aufsatzes schreibt: “Diese Denkweise hat keinen Anspruch auf ‘Wahrheit’ im philosophischen Sinn", dann entzieht er sich damit m. E. auf unfaire Weise der Härte der Diskussion. Denn in Wirklichkeit behauptet er ja zweifellos im Ernst das, was er behauptet; er beansprucht also, daß seine Behauptungen wahr seien - was sonst sollte Wahrheit bedeuten, in welchem “philosophischen Sinn” auch immer. Und die Wahrheit besteht hier darin, daß die Konstruktion, die er leistet, Teil der Wirklichkeit ist - nämlich der Wirklichkeit, die u.a. ich mir konstruiere, dabei aber getragen vom Netz der sozialen Zustimmung der scientific community, die ihrerseits, zweifellos, Teil der von mir konstruierten Wirklichkeit ist.
((5)) In diesem Zusammenhang sehe ich jedenfalls keinen Grund für eine besondere Skepsis. Denn wenn ich weiß, daß meine Wirklichkeit, die um mich herum ist, von mir in der von Glasersfeld beschriebenen Weise konstruiert ist, kann ich umso besser beurteilen, inwiefern sie verläßlich ist und inwiefern vielleicht nicht. Wenn ich ohnehin zur Skepsis neige, dann gibt mir diese Einsicht vielleicht einen Zugang zur besseren Prüfung der Wahrheit meiner Beschreibung; und wenn ich ohnehin nicht von Skeptizismus geplagt bin, dann gibt mir diese Einsicht auch keinen neuen Grund, mich von Stund an demselben hinzugeben.
Literatur
Glasersfeld E. v. (1987), Wissen ohne Erkenntnis. In: Pasternack G. (Hg,), Philosophie und Wissenschaften: Das Problem des Apriorismus. Frankfurt etc. (Lang)
Elke Heise und Peter Gerjets: Welche Konsequenzen hat die radikal-konstruktivistische Wissenstheorie?
Michael Hoffmann: Verzicht auf Wahrheit, Existenz von Tatsachen und die Frage nach der „Radikalität“ der „Radikal-Konstruktivistischen Wissenstheorie“
Ronald Kurt: Das Prinzip Beliebigkeit
Theodor Leiber: Bemerkungen zum Radikalen Konstruktivismus von Ernst von Glasersfeld
Werner Meinefeld: Gegen eine Halbierung des Piagetschen Konstruktivismus
Peter Meyer: Wissen, Wahrheit, Wirklichkeit: „Individuelle“ oder „soziale“ Konstruktion?
Josef Mitterer: Der Radikale Konstruktivismus: „What difference does it make?“
Richard Schantz: Die Erkenntnistheorie des Radikalen Konstruktivismus – eine Kritik aus realistischer Sicht
Rudolf Taschner: Der Blick in Gottes Karten
Rolf Todesco: Genetische Wissenschaftsgeschichte, Kollaboratives Lernen und Hyperkommunikation
Gerhard Vollmer: Wo bleiben die Argumente?
Jutta Weber: Angepaßte Monologe? Über die Konsequenzen >radikaler< De-Ontologisierung und konventioneller Performanz
Replik: Jahrmarkt der Gegensätze (Ernst von Glasersfeld)
((1)) Daß 37 gewiegte Denker es der Mühe wert fanden, auf meinen Artikel zu reagieren, ist für mich außerordentlich erfreulich und ich bin allen, den zustimmenden wie den ablehnenden, aufrichtig für ihr Interesse und den offensichtlichen Zeitaufwand dankbar. Daß gegensätzliche Urteile übeT den radikalen Konstruktivismus (RK) gefällt wurden, ist anregend aber nicht verwunderlich.
Es gibt in den Wissenschaften kaum eine Frage, Uber die kompetente Forscher nicht verschiedener Meinung gewesen wären. Wenn nun zwei solcher Leute zu entgegengesetzten Urteilen über ein und dieselbe Sache kommen, muß mindestens einer von ihnen unrecht haben; keiner von ihnen jedoch scheint über das nötige Wissen zu verfugen. Denn wenn des einen Denken sicher und evident wäre, dann wäre er in der Lage, im anderen von der Wahrheit zu überzeugen.(Descartes, ca. 1629)
((2)) Jede Wissenstheorie versucht, eine Reihe grundlegender Fragen zu beantworten, und so waren in diesem Meinungsaustausch einander widersprechende Urteile vorauszusehen. Hier zunächst eine kurze Gegenüberstellung einiger Gegensätze:
Allerdings bleibt der Gegner eher im Schatten, weil unklar bleibt, wer mit „der herkömmlichen Erkenntnistheorie“ gemeint ist und nicht benannt wird, wer denn heute noch eine solch naive Vorstellung ernsthaft vertritt. (Faulstich (4))
Für den konstruktivistischen Aspekt im Erkennen lassen sich gute Gründe an führen - eine radikalkonstmktivistische erkenntnis- und, wissenschaftstheoretische Werke läßt sich damit aber nicht legitimieren.(Meinefeld (9))
Man wäre sicherlich erstaunt, wie hoch etwa unter Physikern der Prozentsatz jener ist die immer noch am Phantasma der „einen Wahrheit" fcsthalten.(Grössing (2))
Eine konstruktivistische Wissenstheorie kann wesentlich dazu beitragen, die sich ebenfalls rapid wandelnden Einsichten über Wissen, Wissenschaft und Wissensgesellschaft beträchtlich voranzutreiben. (M.Roth (2))
So bleibt vG's Konstruktivismus im Rahmen klassischer ontologischer Fragestellungen und löst sich weit weniger von der Tradition, als der IbnniiMS ‘radikal* suggeriert. (Laus (3))
Die radikal-konstruktivistische Wissesstheorie kann weder für die Wissenschaft noch für den Alltag ein brauchbares Modell sein. (Kurt (8))
Anlaß zu Diskussionen konnte auch der Tenor seiner Piaget-Intetpietation liefern, wo man die Meinung vertreten kann, daß eine weniger'radikale' Fassung... der Piagetschen Epistemologie eher gerecht wird. (Seiler (1))
Der RK von EvG ist eine der revolutionärsten und erfrischendsten Wissenstheorien, denen ich je begegnet bin. (Gooihuis (1))
Die strukturalistische Auffassung von Theorien und ihrer Funktion im Fbrschungsprozeß scheint uns durchgängiggut verträglich mit vG's Position zi sein. (Hetse/Geijcts (6))
vG's „radical“ theory of knowledge certainly points in the right direction, but seems to me to lack the full radicalness that I detect, explidtly oriropliritly, in Piaget's woik. (Furth (17))
- wenn es so etwas geben sollte -, so bleibt doch das Verhältnis der v. Glasersfeldschen „Wissenstheorie" und ihren möglichen „Anwendungen“ in lebensweltlichen Kontexten ganz unklar. (Hoffmann (4))
So stellt meiner Meinung nach (RK) nur einen Idealtypus des Lernens vor, der sich auch unbestritten vielfach bcwShrt und wichtige For- sehungsansdtze u. -etgebnisse geliefert lut(PöWng (4))
((3)) Dieses Konzert von gegensätzlichen Urteilen bestärkt
mich einerseits in meinem Glauben an Pluralismus, andererseits in der von mir früh gemachten Beobachtung, daß das
Verstehen von Sprache schon auf der Ebene der Wortbedeutungen eine durchaus subjektive Angelegenheit ist. Niemand
kann weit aus seiner oder ihrer grundlegenden intellektuellen
Einstellung heraus und interpretiert und beurteilt Gelesenes
auf Grund der eigenen mühsam erarbeiteten Wirklichkeit Wo
es sieb um Wörter handelt, die man mit Grundbegriffen des
eigenen Weltbildes verbunden hat, ist es schwer, einzusehen,
daß andere die gleichen Wörter mit Begriffen verbinden, die
sich nicht unbedingt mit den eigenen vereinbaren lassen. Trotz
ausdrücklichen Definitionen und kontextuellen Implikationen
legt man sie in der gewohnten Weise aus und registriert die
nun unvermeidlichen Widersprüche als Unstimmigkeiten des
Texte. Das gilt für mich und meine Replik nicht minder als für
die Kritiker.
((4)) Ich will jedoch nicht sagen, daß die meisten der in den
Kritiken angeführten Mängel des Radikalen Konstruktivismus
(RK) von dieser Art der Assimilation herriihren. Einige weisen auf Lücken hin, die in einem relativ kurzen Aufsatz unvermeidlich waren; andere auf das Fehlen von Ausführungen,
die ich hätte geben sollen. Für das freundliche Zugeständnis,
daß man in einem Artikel nicht alles darlegen kann, was die
vollständige Präsentation einer Denkweise verlangen würde,
bin ich dankbar. Über die Auswahl der Punkte, die ich vorbrachte, kann man selbstverständlich verschiedener Meinung
sein. Einiges möchte ich nun in dieser Replik soweit ich kann
nachholen. Gleichzeitig will ich versuchen, Mißdeutungen aus
dem Weg zu räumen, die ein aufmerksames, nicht durch vorgefaßte Ablehnung gefärbtes Lesen des Hauptartikels vielleicht
hätte vermeiden können.
((5)) Auf alle in den Kritiken aufgeworfenen Punkte einzugehen, war innerhalb der strikten Zeit- und Raumbegrenzung
offensichtlich nicht möglich, und darum wollte ich zunächst
meine Antwort thematisch gliedern. Bald wurde mir aber klar,
daß die Kritiken duTchwegs vielseitig waren und ich in jedem Thema von einem zum anderen Kritiker hätte springen müssen. Damm habe ich mich schließlich entschieden, die Kritiken alphabetisch vorzunehmen und hier und dort auf bereits
beantwortete Fragen zu verweisen. Ich hoffe, der Leser wird
die folgenden Seiten dennoch einigermaßen lesbar finden.
((6)) Hinweise auf numerierte Absätze in den Kritiken habe
ich durch Doppelklammem oder durch Namen und Paragra-
phennummer in einfachen Klammem gekennzeichnet; Hinweise auf den Hauptartikel, durch „EvG“; und Hinweise auf
andere Stellen in der Replik, durch .Antwort auf, abgekürzt
,A.a." und den jeweiligen Namen.
((7)) BETTONI: Geschätzter Freund, so ich des Ikarus' Flügel hätte, wäre ich bereite bei Dir, um Dir den Dienst zu danken, den Du mir mit Deinen Erklärungen im Gespräch mit
Rolf und Robert, den wackeren Peripatetikem, erwiesen hast.
Da Du in Deiner Heimatstadt wohl des öfteren mit ihren berühmten Spießbürgern zu unterhandeln hast, verstehst Du es
besser als ich, verzweigte, holperige Gedanken wege in glatte
Pfade zu verwandeln. Daß selbst Dir bei meinem Geschreibsel fragen auftauchen, wird keinen wundem, der je versucht
hat, aus meiner oft unbeholfenen Ausdmcksweise klaren Sinn
zu schaffen.
((8)) Deine Frage ((12)), wie weit Begriffskonstruktion analysiert werden müßte, um ihre Mechanisierung in Artefakten
zu gewährleisten, will ich zu beantworten versuchen. Wenig
Hoffnung, jedoch dünkt mich, wird meine Antwort eröffnen.
(Beim Zeus, ich wiird’ es lieber mündlich tun, im Schatten
der Platanen am Ufer des Ilissos! Doch der Flug von jenseits
Atlantis, wo ich derzeit mein Leben friste, ist unerschwinglich. Drum muß ich mich notgedrungen mühsamer Schrift bedienen, obgleich mir einige der Kritiken offenbart haben, wie
verfänglich Geschriebenes ist, da alles Lebendige mit der Tinte
vertrocknet.)
((9)) Doch wohlan - auch Troja wurde nicht in einem Tag besiegt! Wie unser nun in der Geisterwelt weilende Freund Silvio
es sah, ist auch für mich das eigentlich schöpferische Prinzip
in der Begriffsbildung das, was wir gemeinhin Aufmerksamkeit nennen - doch nicht, wie sie zumeist vorgestellt wird, als
Scheinwerfer, der eine Landschaft beleuchtet, sondern als pulsierender Strahl, der einzelne Elemente im formlosen Meer der
Erfahrungsmöglichkeiten aufieuchten läßt und durch die eigene
Bewegung verbindet. Trefflich hat der Königsberger Weise
dieses Meer „das Mannigfaltige“ genannt, eben weil die Aufmerksamkeit in jedem Augenblick auch andere Elemente aufieuchten lassen könnte. Das Geheimnis, teurer Freund, liegt in
der Wahl und der Verwirklichung der ausgewählten Elemente. Die Nelken, die ein wohlerzogener Gast jüngst meiner Gefährtin schickte, sehen wir rot - doch was sollte Rot sein, bevor wir schauen? Die elektrochemischen Impulse, von denen
die Erforscher unserer Gehirne sprechen, sind gewiß nicht rot,
noch sind es die Photonen oder die unsichtbaren Wellen, die
Physiker je nach den Umständen zur Erklärung der Lichtphänomene heranziehen, Farben und Töne, so meine ich wie
viele vor mir, entstehen in uns; und die Bewegung unserer
Aufmerksamkeit schafft Umrisse, Formen und Beziehungen.
((10)) Homer hätte gesagt, es seien Athena, Aphrodite und Ares, die jeweils unsere Aufmerksamkeit leiten, doch diese
Vertreter göttlicher Vorsehung lassen sich auch heute kaum
mechanisieren. Mir liegt seit jeher daran, die Götter aus dem
Spiel zu lassen und alles Ontische als unergründlich zu betrachten. Drum nenne ich die Instanz, welche die Ergebnisse
der Aufmerksamkeit zu unserer Wirklichkeit macht, Bewußtsein. Freilich ist mir klar, daß das nicht minder geheimnisvoll
ist, als die Absichten der Unsterblichen, doch es klingt mir
neutraler. Die Wissenschaft, dünkt mir, versucht allenthalben
Mysterien auf Verständliches zuriickzuführen, doch ganz ohne
Mysterium kommt sie nirgends aus. Ich sehe nicht, warum es
mit unserem Wissen anders sein sollte. Doch der Versuch, das
Geheimnisvolle auf ein Minimum zu reduzieren, scheint mir
in allen Sparten der Mühe wert. Darum sehe ich, geschätzter
Marco, den Versuchen, die Du und Deine Freunde unternehmen, das Wissen in Artefakten zu mechanisieren, mit Wohlwollen und Erwartung entgegen.
((11)) BIRBAUMER antworte ich zunächst, daß der Schritt
vom Empirismus zum Konstruktivismus für mich keine „Wendung“ ((1)) war, da ich seit der frühen Lektüre von Locke,
Berkeley und Hume, die ja als Gründer der empiristischen
Denkweise gelten, an deren ursprünglichen Auffassung festhielt, daß die Welt der Erfahrung zu untersuchen sei, nicht die
metaphysische „Realität“. Und was das Rechthaberische betrifft, so erwähnte ich es im Zusammenhang mit dem „täglichen Leben“ (EvG 60). Wissenschaftler werden und sollen
auch weiterhin darüber streiten, wessen Theorie mehr Viabi-
lität aufweist; doch das ist ein Streit, der durch Versuche beigelegt werden kann. Im täglichen Leben hingegen geht der
Streit meistens um vorgefaßte Meinungen, die als objektive
Beschreibung der Realität hingestellt werden.
((12)) „Natürlich ist richtig, daß unser Gehirn die Wett nach
seinen Arbeitsprinzipien repräsentiert und somit diese Arbeitsprinzipien und nicht die objektive Welt die Grundlage unserer Erkenntnis sind“, schreibt BIRBAUMER (2). Doch dann
mahnt er, wir sollten „die nachprüfbare Realität des Gehirns
und seiner Dynamik nicht aus den Augen verlieren“ ((4)).
Wessen Augen sind da gemeint? Hat das Gehirn eigene Augen, aus denen es verlieren kann, was es nach seinen Arbeitsprinzipien „repräsentiert“? Ich würde sagen, daß nur ein Beobachter etwas als Repräsentation von etwas anderem bezeichnen kann - und nur sinnvoll, wenn er das Repräsentierte mit
dem vergleichen kann, was es repräsentieren soll. Deswegen
glaube ich, daß wir weder die Realität des Gehirns noch die
reale Welt repräsentieren können. Hingegen können und sollen wir die Behauptungen, die wir machen, so oft wie möglich
in der von uns konstruierten Welt unserer Erfahrung nachprüfen, denn dort ist die Viabilität unserer Begriffe sowie unserer
Vorstellungen von der Dynamik der Dinge lebenswichtig.
((13)) Eine kleine Korrektur kann ich mir nicht verbeißen.
Was Pavlov, Thomdike, Hebb und Powers betrifft, so tut BIRBAUMER ihnen schlimmes Unrecht, wenn er sie mit Skinner
in einen Behavioristentopf wirft ((3)). Obschon die vier, wie
übrigens auch Lashley, Köhler und Wertheimer, Verhalten studierten, hätte keiner von ihnen die Behauptung unterschrieben, daß „Menschliches Verhalten die Funktion von Faktoren
ist, die in der Umwelt liegen“ (Skinner, 1977, S.l), oder daß
„die Funktionen von Persönlichkeit, mentalen Zuständen, Gefühlen, Charakterzügen, Plänen, Zwecken und Absichten
durch operant conditioning übernommen werden sollen“
(Skinner, 1971, S. 13,16). Powers wurde heftig von Behavio-
risten und sogar von Skinner selbst angegriffen (Science,
21.Sept.,1973, und 29.Nov.,1974). Da BIRBAUMER dann
Hebb zitiert, möchte ich einen Ausspruch dieses Autors wiedergeben, der es zumindest fraglich macht, ob man ihn mit
dem Behaviorismus h la Skinner gleichsetzen darf. Hebb
schrieb: „Auf einer bestimmten Ebene der physiologischen
Analyse gibt es keine Realität außer dem Feuern einzelner
Neuronen“ (Hebb, 1958, S.461).
((14)) DRIESCHNER findet es „sehr plausibel,... daß wir
uns die Wirklichkeit um uns herum selbst konstruieren, und
zwar nach unseren Bedürfnissen für das Überleben - im weitesten Sinn" ((2)). Die so konstruierte Wirklichkeit sei die einzige, „es gibt keine ‘andere’ hinter ihr“ ((1)). „Die so von mir
konstruierte Realität ist aber - G. scheint das zu bezweifeln -
die Realität Es ist nicht zu sehen, was eine andere, meinetwegen ‘ontologische’ Realität, wie G. sie einführt, daneben noch
soll“ ((3)).
((15)) Mit Recht setzt DRIESCHNER diese Realität gleich
mit Kants „Ding an sich“ und sagt dann, Kant habe die Welt
der Erscheinung so überzeugend beschrieben, „daß man ihm
schließlich gar nicht mehr recht abnimmt, daß dahinter ein
unerkennbares Ding an sich sein muß - etwas, worüber man
ohnehin nichts sagen kann“ ((3)).
((16)) Auch Kant hat die Unterscheidung der Wörter „Realität“ und „Wirklichkeit“ nicht konsequent durchgeführt und
sich dadurch das Problem mit dem „Ding an sich“ geschaffen.
So schreibt er zum Beispiel im Streit der Facultäten (1798)
„Die Dinge also, worauf sich diese Vorstellungen und Begriffe beziehen, können nicht das sein, was unser Verstand vorstellt; denn der Verstand kann nur Vorstellungen und seine
Gegenstände, nicht aber wirkliche Dinge schaffen" (S.71). Statt
„wirkliche Dinge“ hätte er hier „reale Dinge“ schreiben sollen, denn in der Kritik der reinen Vernunft (1787) hatte er das
„Ding an sich“ bereits als „heuristische Fiktion“ bezeichnet
(S.799). Die fiktiven Vorstellungen jedoch stammen unter allen Umständen aus der Wirklichkeit unseres Denkens. Ihr heuristischer Wen liegt in der Praxis der Verständigung, denn sie
erlauben uns, Dinge als gegeben anzunehmen; wobei es jedoch wichtig ist, sich klarzumachen, daß die Dinge, die wir in
unseren Interaktionen mit anderen Menschen als gegeben annehmen, in der Vorstellung der Beteiligten nur in den jeweils
relevanten Aspekten vereinbar, aber keineswegs in allen Beziehungen gleich sein müssen.
((17)) ECKES’ Einleitungsparagraphen von ((1-3)) erwek-
ken in mir den Eindruck, er lebe in einer Gegend, in der es
längst keine naiven Realisten mehr gibt. Er ist nicht der einzige in diesem Schlaraffenland (siehe FAULSTICH (4), WEBER (5), HOFFMANN (2), sowie A.a. LEIBER). Offenbar
haben diese glücklichen Autoren nichts mit der Sorte von
Lehrern, Ärzten und Universitätsprofessoren zu tun, die meine Umwelt bevölkert
((18)) ECKES bezeichnet die Auffassung eines vom Subjekt
unabhängigen Wissens als „eine obsolete bzw. aus heutiger
Sicht indiskutable erkenntnistheoretische Position“ ((2)), die
von Psychologen wie Bruner, Postman, Festinger und anderen längst überwunden worden ist. Dennoch spricht er von
Dingen, die objektiv sein sollen, z.B. „natürliche Zeichen
systemextemer Zustände" ((6)), und beteuert später, „die Welt
... ist erkennbar, wenn auch nur partiell..." ((11)). Die Kogni-
tionswissenschaft, auf Grund der „Kovarianztheorie" ((6)), und
die „konnektionis tischen Modellierungen“ ((13)) hätten das
längst erwiesen. Das scheint mir zuviel gesagt. Seine Schluß-
bemerkung jedoch hat mich beschämt: Er zitiert George Kelly
- und das ist zweifellos ein naher Verwandter, den ich hätte
erwähnen sollen.
((19)) FAULSTICH konstatiert, „daß die Übersetzung alter
Fragen in neue Begriffe veränderte Sichtweisen und auch Einsichten ermöglicht“ ((2)). Er zählt die vier Gebiete auf, die
ich in meinem Artikel als Quellen meines konstruktivistischen
Denkens angab, und fragt dann, „ob hinter diesem Eklektizismus tatsächlich eine Theoriekonvergenz konstruiert werden
kann“ ((3)). Daß es darum ginge, eine Konvergenz der Theorien des Skeptizismus, der Evolutionslehre, Piagets Kognitionsmodells und der Kybernetik zu konstruieren, ist mir nie in
den Sinn gekommen und erscheint mir nun, da es erwähnt
wurde, recht sinnlos. Das hindert mich aber nicht, auch weiterhin Begriffe, wie Faulstich sagt, aus diesen Sparten in mein
Vorhaben zu übersetzen und dadurch manche neue Einsicht
zu gewinnen. Daß ich z.B. das Verhältnis von „natürlicher
Auslese“ und „Anpassung“ oder das Schema der Feedback-
Mechanismen verwende, heißt doch nicht, daß ich auch das
gesamte begriffliche Mobiliar der jeweiligen Theorie in meine Denkweise einbauen muß.
((20)) FAULSTICH arbeitet laut Autorenangabe auf dem Gebiet der Bildung und Erziehung, und da müßte m.E. auch er
hier und dort die Beobachtung machen können, daß der naive
Realismus, obschon er von einigen Vorsokratikem aufgegeben wurde ((4)), darum noch lange nicht ausgestorben ist (A.a.
ECKES).
((21)) Da der RK ein Versuch ist, den Aufbau von Wissen
ohne Bezug auf das Sein zu modellieren (was im Hauptartikel
mehrmals deutlich gesagt, aber von Lesern ignoriert wurde)
scheinen mir Hinweise auf Hegel und „die Frage nach dem
Verhältnis von Sein und Geist“ fehl am Platz ((5)) (siehe auch
A.a. LÜTTERFELDS).
((22)) Daß es FAULSTICH „nicht nachvollziehbar“ ist, wie
„unerwartete Resultate“ Anstoß zum Lernen geben können
((7)), macht mich staunen - offenbar hat er sich nie gefragt,
wie er das Gehen, Schlittschuhlaufen oder Rechnen (ganz zu
schweigen von seinem erlesenen Deutsch) erlernt hat.
((23)) FLACKE danke ich für Aufmerksamkeit und Verständnis im Lesen des Hauptartikeis. Die Punkte, an denen er sich
stößt, sind mir darum wichtig. Da ist zunächst die „Begründung“, weswegen ich einen „Umbau herkömmlicher Begriffe
und gewohnter Gedankengänge“ (EvG 2) für nötig halte. Das
Wort „Rechtfertigung“ wäre vielleicht treffender gewesen,
denn, wie FLACKE vermutet ((5)), handelt es sich um eine
interne Angelegenheit, nicht um die Entdeckung ontologischer
Ausgangspunkte. Was Mach anbelangt ((7)), so lese ich aus dem zitierten Satz (EvG 32), daß Tatsachen der Erfahrung
angehören und eben, weil sie sich in der Erfahrung nie genau
wiederholen, durch Assimilation Zustandekommen.
((24)) FLACKEs Bemerkung, daß ftir mich „die Vernunft die
einzige richtige Quelle des Wissens ist“ ((10)), unterschreibe
ich, vorausgesetzt, es ist klar, daß „Wissen“ sich ftir mich auf
rationales Wissen bezieht An anderen Stellen meiner Replik
mache ich deutlich, daß mir die Idee, mystische Eingebung,
Intuition und Empathie könnten eine Realität uns näher bringen, keineswegs unsympathisch ist (A.a. BETTONI, LÜTTERFELDS, MEYER).
((25)) Was den sozialen Konstruktivismus betrifft, halte ich die
Analyse von sozialen Interaktionen, Beziehungen und Einflüssen für äußerst notwendig und sehe nicht ein, warum sie aus
einer dem RK feindlichen Stellung gemacht werden müßte.
Allerdings erscheint mir z.B. Gergens Behauptung, daß „Individuen das Resultat von Beziehungen sind ... und daß Beziehungen grundlegender sind als Individuen“ (FLACKE (12)) einen elementaren Widerspruch zu enthalten. Was ich von
Gesellschaft und sozialen Beziehungen weiß, beruht auf Erfahrungen, die ich selber machen und in Begriffe fassen mußte. Auch die Soziologie beruht letzten Endes auf den individuellen Vorstellungen von Soziologen. Daß diese Begriffe und
Vorstellungen intersubjektiv ausgehandelt und verfeinert werden, dürfte nicht verschleiern, daß ihre eigentliche Quelle in
der Erfahrung einzelner Individuen liegt Darum dünkt es mich
unsinnig, soziologische Forschung mit der zumindest pseudo-
ontologischen Behauptung zu beginnen, die Gesellschaft (und/
oder die Sprache) sei primär. leb glaube im Gegenteil, diese
Sparte der Forschung würde fruchtbarer, wenn sie die konstruktive Rolle des kognitiven Individuums stets in Sicht behielte.
((26)) FURTH I would like to thank for the admonition to
become more radical ((17)). As I leamed during my years in
Ireland, it is never too late to go a little further.
((27)) However, much as I have tried, I am unable to see,
what in my article could have led FURTH to say that my fo-
cus is „on the perception of ‘something that is already there*“
((1)). As I repeatedly stated elsewhere, I hold it with Berkeley
when he explained that expressions such as „to be“ or „to exist“ can have no meaning outside our experiential world. What
I do accept, is & negative definition of ontology; that is to say,
I grant the possibility of an extemal world that can thwart our
desires and upset our schemes of action. We register the per-
turbation, but this in no way implies that we „perceive“ or
„observe“ the structure or properties of a „pre-given reality“
((6)). That I have not forgotten the Statement that „action, not
perception, is the key concept of an adequate theory ofkrtowl-
edge“ ((8)) seems to me to be inherent in a number of things I
say. But FURTH is probably right: I should have explicitly
made it dear that I consider „perception“ not a passive re-
ceiving of data but an active construction on the pari of the
perceiver. The Statement at the end of my first paragraph (EvG
1) was obviously not sufficient.
((28)) I would say that also Piaget’s notions of „occasion“
and „opportunity“ ((4)) presuppose something that affords such
possibilities, and this seems to go together very well with my
notion of „viability“. As I have understood it, „assimilation”
((5)) entails the disregarding of differences (relative to a pre-
vious constnict). Consequently it allows repetition - and rep-
etition leads to regularities and rules which form the scaffold-
ing for the construction of gut experiential reality.
((29)) I agree that a theory of knowing must fit into a „societal
frame“ ((15)), but I believe that knowledge is constmcted by
individuals. Much of this construction takes place within the
constraints of a social group (see the third level of viability
(EvG 27)), but the theory must also account for the ränge of
knowledge that we can and often do derive quite by ourselves
from interactions with the constructs that fumish our own,
subjective experiential world.
((30)) I see no incompatibility with Furth’s notion of „desire“.
As Ihave frequently said, our models of living organisms (not
only human) explicitly or impticitly involve at least primitive
values - and any scale of values is likely to generate desires.
((31)) Given that some thirty other critics consider my con-
structivism totally tnisguided, I am grateful for Furth’s Statement ((17)) that it „points in the right direction“.
((32)) GOORHUIS hat mir mit seiner Kritik große Freude
bereitet Seine positive Reaktion, sagt er, rühre nicht von der
„Überzeugung, daß in dieser Theorie irgendeine Wahrheit
steckt sondern (sei) aus rein pragmatischen Gründen entstanden“ ((2)). Damit hat er die Zielsetzung des RK richtig erkannt und darum ist es nun ein Vergnügen, die „Begrenzungen“, die er sieht, aus meiner Perspektive zu untersuchen.
((33)) Zunächst möchte ich da sagen, daß die Viabilität eines
Konzepts stets von dem Subjekt angenommen wird, das das
Konzept geschaffen hat ((5)). Doch Viabilität hat mehrere
Stufen. Daß der Weg durch eine geschlossene Türe nicht via-
bel ist merkt man zu allererst dadurch, daß man anstößt was
man dann sehr schnell vorherzurehen lernt. Woran man stößt
kann man aber nur in Begriffen denken, die man vom Anstoßen hier und dort an andere Gegenstände abstrahiert hat (siehe „Tatsachen“ in der A.a. FLACKE). Was „real“ daran ist
weiß man nicht und kann man darum nicht sagen, denn es läßt
sich mir in Wörtern beschreiben, die mit den unterschiedlichen Arten des Anstoßens (tastender, visueller oder auditiver
Art) assoziiert worden sind.
((34)) Auf der zweiten Stufe erweisen Begriffe sich als nicht
so viabel, wie man sie möchte, wenn sie Widersprüche mit
anderen Begriffen hervorrufen; auf der dritten, wenn sie in
Interaktionen mit anderen Beteiligten nicht so funktionieren,
wie man erwartet hat ((6)). Dabei ist freilich daran zu erinnern, daß „die anderen“ zwar von einem selbst konstruiert
werden, aber keineswegs frei wie man will. Denn bei der Konstruktion von anderen erweisen diese sich mindestens ebenso
widerständig, wie die Gegenstände, die man „Türe" oder
„Wand“ nennt. Inwieweit diese Hindernisse einer Realität zu-
zuschreiben sind oder der fehlerhaften eigenen Konstruktion,
bleibt m.E. unergründlich.
((35)) Wie sehr ein Subjekt sich anstrengt, Perturbationen zu
sanieren und sein inneres Gleichgewicht zu erhalten, und wie es dies macht ((8-11)), ist selbstverständlich eine individuelle
Angelegenheit, doch im Hauptaitikel lag mir daran, zumindest eine allgemeine Richtung aufzuzeigen.
((36)) Zur Autonomie und der „inneren Befreiung“ östlicher
Philosophien kann ich hinzufügen, daß Powers in seiner
Kontrolltheorie (EvG 37) als einer der ersten erklärt hat, ein
lernendes Feedbacksystem kann eine Perturbatio» auch dadurch neutralisieren, daß es den betreffenden Sollwert ändert
Wtr kennen das alle recht gut denn wenn das Erreichen eines
Ziels, das wir gewählt haben, allzuviel Anstrengung erfordert
sind wir zuweilen bereit, es aufzugeben.
((37)) GRÖSSING schreibt im Bezug auf Kognition, daß „die
‘inneren’ Prozesse ein ‘Echo’ von Prozessen beinhalten, die
sich in der Außenwelt abspielen“ ((4)). Echo heißt Widerhall,
und auf Grund unseres viabten Wellenmodells bedeutet das,
daß ein Schall auf ein Hindernis stößt und von ihm zurückgeworfen wird. Wir hören das Echo, schließen auf ein Hindernis, haben aber keine Ahnung, was es ist außer der Annahme, daß es laut unserer Theorie Schall zurückwerfen kann.
Kurz, wir wissen um ein Hindernis, kennen es ab« nicht (Der
unvergeßliche Deutschlehrer in meiner Schweizer Mittelschule
der Zwischenkriegszeit war ein Freund von Thomas Mann
und teilte mit diesem die Passion für präzisen Sprachgebrauch.
Unzählige Male warnte er uns, den romantisch vernebelnden
Ausdruck „wissen um etwas“ nie und nimmer zu benützen.
Die schöne Echo-Metapher schafft nun einen Kontext in dem
die verpönte Ausdrucksweise mir durchaus sinnvoll erscheint)
((38)) Die „gegenseitige Abstimmung zwischen inneren und
äußeren Prozessen“ ist also nicht eine notwendige Voraussetzung für die Entwicklung unserer „Kognitionsapparate“. Diese Einsicht war m.E. Piaget durchwegs geläufig, denn in dem
grundlegenden Buch La construction du riet chez l'enfant
(1937) - lange vor Biologie und Erkenntnis (1974) - hat er
gezeigt daß in seiner Theorie Objekte, Raum, Kausalbeziehungen, Zeit und die Realität als Ganzes von einem kognitiven Organismus aus sich heraus konstruiert werden können.
Die .Außenwelt“ in GRÖSSINGs Piaget-Zitat ((3)) kann man
sich also recht gut als Konstruktion aus „Echos“ denken. Als
Nichtphysiker scheint mir das auch für das Sammeln „numerischer Daten“ ((2)) zu gelten: perse, d.h als Zahlen, sind sie
„kontextfrei“, doch was der Physiker zählt oder mißt sind
wiederum Echos und Echo-Sequenzen.
((39)) Mit GRÖSSINGs Charakterisierung der „großen Erzählungen“ ((6-8)) bin ich einverstanden. Ich sehe den RK
nicht als solche, denn er macht keinerlei Anspruch auf Ausschließlichkeit (siehe auch KÖNIG (7)) und bemüht sich vielmehr, die Untragbarkeit dieses Anspruchs seitens der großen
Erzählungen aufzuweisen.
((40)) HEISE/GERJETS trennen in ihrer Kritik zwei Interpretationen des RK: Erstens als „Theorie des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses“, zweitens als „Theorie des menschlichen Wissens und somit als kognitionspsychologische Theorie“ ((1)). Im Hinblick auf die erste Auslegung ziehen die Autoren eine „strukturalistische Theorienkonzeption" zum Vergleich heran, die sie als Weiterentwicklung des Empirismus
betrachten ((2-6)), und kommen zu dem Schluß: ,J):e strukturalistische Auffassung von Theorie» oad ihrer Funktion ins
Porscfauagsprozess scheint usss durchgängig gut verträglich
mit vG’s Position za sein“ ((6)).
((41)) Die kognitionspsychologische Interpretation wirf mit
des Anschauungen emscHägiger gegenwärtiger Autoren in Bezug auf „mentale Repräsentationen“ vafüefaea ((7-10)) und die
beide® Kritiker finde», daB die diesbezügliche Auffassung des
RK den traditionellen Vorstellungen nur dann widerspricht,
„wem dies® in naiv-realistischer Waise »satale Reprisenteti©-
nen als mehr oder weniger konekte Abbilder einer objektiv
gegebenen Realität »seihen“ was aber Im allgemeines» nicht
der Fall sei ((10)). Mir Uimgl Äs etwas zu optimistisch. Anderson iw Beispiel, der einzig® der von den beides Kritikern zitierte Autor, der mir bekannt ist, hat s© wenig Sympathie für den
Konstruktivismus, daB er in seinem Bush über Lernen (1995)
weder Hagel noch di© Forscher erwähnt, dä© sich in den Vereinigtes Staaten in dfer IDidaktfik der MiÄemaÄeinen Mamas gemacht haben. Der Grand liegt meines Erachtens darin, daß die
Anhänger des „Information Processing" und der „Cognitive
Science“ zuweilcu zwar die Kowtrote des- beobachteten Versuchspersonen als subjektiv und relativ betrachten, für ihre eigene Theorie aber doch objektive Wahrheit beanspruchen
möchten. Der RK erlaubt dass nicht, denn er sieht sich selbst
nicht als Beschreibung einer Realität, soadem bestenfalls als
ein Modell, das sich im Gebrauch nützlich erweist.
((42)) Das ist nun auch der Grand, weswegen nsir die Trennung von wissenschaftlichem und alltäglichem menschlichem
Wissen ((1)) nicht behaglich ist Insofern Wissenschaftler
wahlnehmen und denken, operieren sie von meinem Gesichtspunkt»! kognitiv. Was ich z.B. In Anlehnung an Piaget Über
Assimilation, Akkommodation, Reffexios und Viabilität aus-
fiihrte (EvG 23-35), scheint für Denken überhaupt zu gelten
und darum auch für das Denken von Wissenschaftlern, Ich
sehe nicht, wie Wissenschaft ohne Begriffe von MdtrasW, individueller Identität, ObjeMkoastaiiz, Veränderung und Extension (EvG 45-55) überhaupt beginnen Maate und darum
glaube ich, da® sie ebenso auf diesen kognitives Operationen
benäht wie die Wiridichkeitskonstnaktiogien von Hadera und
Laien. Wissenschaftler miss« zwar ia ihren Begriffsverbsn-
dungen etwas vorsichtig« und systematischer Vorgehen, als
man das Ija alltäglichen Besten tat, doch die Welse, wie sie
Begriffe und Begriffsverbindungen schaffen, scheint mir im
Prinzip die gleiche zu sein.
((43)) Wem Heise und Gerjjets abschließend schreib»:, JSie
Argumente vG’s erscheinen uns überzeugend, renne® jedoch
offene Türen ein“ ((13)), so werde® die vorliegenden Kritiken ihnen vor Auges führe®, daB es noch eine gmm Menge
verriegelter Türen gibt.
((44)) BBIffitMS hat recht, wenn er schreibt, wichtiger als der
Wettbewerb mit anderen Erkenntnistheorien sei es für den RK,
sich in der Praxis der Disziplinen durchzusetzen, in denen er
relevant wäre ((2)). Die beiden Streitgebiete sind aber nicht
so leicht za temssen, wie es auf den ersten Blick scheine® mag.
In der Didaktik der Mathematik spiele® konstruktivistische
Ideen seit fast zwanzig Jahres eine Rolle, werden aber nach
wie vor heftig angegriffen - nicht weil sie sich etwa als erfolglos erwiesen, sondern well sie herkömmliche theoretische Anschauungen gefährden. Die bissigsten Angriffe kemusen
meistens von Vertretern eines Empirismus, in dem di® empirische Grundidee des Erfahrungsbezugs mit naivem Realismus
verwechselt wirf. So wird man iramer wieder zw „philosophischen“ Diskussion gezwungen ((11-15)). Ein gutes Beispiel ist
die Physik, wo sämtliche Koryphäe® hier und dort konstruktivistische Bekenntnisse msetei, während die Lehrer ihre Wissenschaft als den goldenen Weg zw Realität »preisen. Die
Schwierigkeiten - HERZOG nennt sie „Gefahren“ ((3-10)) -,
die sich der Verbreitung ued dem Verständnis des RK entge-
geastellen, beschreibt er ausgezeichnet, doch Gebiete zsa finden, wo sie ohne philosophische Argumente frontal begegnet
und überwunden werden könnten, ist nicht leicht. Darum wiederhol® ich so oft, daß die koestsuktivastisete Denkweise vor
allem im eigenen täglichen Leben auszuprobiereis ist.
((45)) HOFFMANN beginnt seine überaus feinkörnige De-
koissirtiktioffi des Hauptartikels mit der Feststellung, daß meine „Entgegensetzung“ von RK und traditioneller Erkenntnistheorie „allzu schematisch“ sei ((2)). Bereits Platara sei von
einer „rational strukturierten Welt" ausgegangen, habe aber
keineswegs Iskeaatels als „Widerspiegelung“ begriffen. Buch-
stäblich ist das sicher richtig. Doch daß der Erkennende sich
laut Platon tafhsam an die ewigen Formen erinnern muß, die
Gott ursprünglich in die uaslerMielte Seele eingebaut hat,
scheint mir nicht allzu weit von Widerspiegelung präexistess-
ter Strukturen entfernt Auch die Behauptung, „Kants ‘Konstruktivismus’ ... kann durchaus als ‘herkömmlicHt* gelten“
kann ich nicht mit meiner Bedeutung von „herkömmlich“ vereinbaren (siehe A.a. ECKES).
((46)) Ganz unklar, schreibt HOFFMANN, sei ihm „das Verhältnis (meiner) Wissenstheorie und ihren möglichen "Anwendungen’ in lebensweltlichen Kontexten“ geblieben ((4)). Im
Rahmen dies«' Replik kass ich das nicht klarer machen, als
durch die wiederholte Feststellung, daß z.B. im Fofscläuugs-
lafeoratorium, in der Schute, in der Psychotherapie, vor allem
aber im täglichen Zusammenleben mit anderen vieles leichter
und fruchtbarer wird, wenn die Beteiligten ihr Wisse® Ms weitgehend individuelle Konstruktion ra betrachten beginnen.
((47)) Mas kam nicht oft genug daras? entwert werden, daß
Logik „exteusioBsorksstierte“ (d.h. siel» auf Erfahrungen beziehende) Behaapfiioge» „weder ausscUfeBem noch bestätigen“ kaaa (siehe A.a. MITTERER). Dennoch ist es im allgemeinen Sprachgebrauch zulässig, m sagen, daß „logisch ausgeschlossen“ sei, was sich ms den angenommenen Primassen
nicht ableiter» läßt. Und da die Skeptiker die Efkliranig des
Xenophanes, daß die Realität unnahbar sei, als Prämisse an-
aatimem, konnten sie deren naturgetreue Spiegelung „logisch
ausschließen“ ((6)).
((48)) Da hier im Zusammenhang mit der Realität auch Feime
erwähnt wird ((9)), kauf! ich darauf hinweisen, daß man bei
diesem Autor lesen kann: „Die Abduktion verläßt sich auf di©
Hoffnung, daß zwischen der Vernunft des Denkenden und der
Natur genügend Affinität besteht, so daB das Raten eicht hoffnungslos ist“ (1931-1935, Bd.l, §121; siehe Definition von
.Abduktion“ in A.a. TASCHNER).
((49)) HOFFMANN hat vollkommen recht, wenn er abschließend verlangt, RK solle „sich angesichts der richtig erkannten Probleme des Erkennens um einen Rationalitälsbegriff...
bemühen, der zumindest die Abgrenzung von Irrationalität erlaubt“ ((10)). Meine Bemühungen in dieser Richtung haben
mich bisher nicht über die Auffassung hinausgebracht, daß
Rationalität sich bestenfalls von innen abgrenzen läßt, weil
eben die Sphäre des Irrationalen unendlich ist (A.a. SEILER).
((50)) JANICH: Die Methode des Aufbauens, mit der JANICH und der „Methodische Konstruktivismus/Kulturalis-
mus“ sich so eingehend befassen, betrifft, soweit ich verstehe, den Aufbau der Erlebenswelt. Janich schreibt am Anfang
seiner Kritik, es falle ihm leicht, dem RK in seinen Grundanliegen zuzustimmen. Dieses Grundanliegen ist es, zu zeigen,
daß „alle Varianten realistischer, ontologischer oder Abbildtheoretischer Art sinnlos und/oder unhaltbar“ sind ((1)).
((51)) Die „Defizite“ des RK in Bezug auf Sprachphilosophie, Pragmatik und Kultur, die JANICH dann im Vergleich
zu seinen eigenen Anschauungen feststellt, rühren seiner Ansicht nach von meinem „grundsätzlichen Anschluß... an naturwissenschaftliche Ergebnisse“ (insbesondere jene von
Mach, Piaget, Darwin und Wiener) ((2)).
((52)) Die in meinem Artikel angedeutete „Bedeutungstheorie“
dient mir vor allem dazu, die weitverbreitete Ansicht zu widerlegen, daß Sprache Begriffe und somit Wissen von Sprechern
zu Hörern transportieren kann, und darum keineswegs eine
umfassende Sprachtheorie sein will. Das schien mir schon daraus klar zu werden, daß ich den Bedeutungsaufbau hauptsächlich im Kind beschreibe und hinzufüge, daß die Segmentierung
der Erlebens weit, auf der Wortbedeutungen beruhen, ,4m Laufe
weiterer Erfahrung durchwegs mehr oder weniger geändert
werden muß, um mit dem Sprachgebrauch der Erwachsenen einigermaßen übereinzustimmen“ (EvG 40). Nimmt man das
zusammen mit meiner Verwendung des Viabilitätsbegriffs, so
ergibt sich, meine ich, genau das, was JANICH .Einbettung
von Spracherwerb und Sprachausübung in eine konstruktivistisch rekonstruierte Praxis einer menschlichen Gemeinschaft“
nennt ((3)).
((53)) Daß Piaget den Unterschied zwischen „Widerfahrnissen“ und absichtlichen, zielstrebigen Handlungen im Dienst
einer „sozial hinreichend kompetenten Teilnahme am Alltagsleben“ glatt vergessen habe ((4)), ist eine Behauptung, die ich
mir nur durch die Annahme erklären kann, daß JANICH erstens den bei Piaget wichtigen Unterschied zwischen senso-
motorischen Handlungen und mentalen Operationen nicht
wahrgenommen und zweitens Piaget’s ttudes sociologiques
(1965) nicht gelesen hat. An mehreren Stellen dieser Sammlung von Essays behandelt Piaget den maßgebenden Einfluß
sozialer Interaktion und Kollaboration auf die Konstruktion
von Aktionsschemas und Operationen in der Entwicklung des
Einzelnen.
((54)) Auch glaube ich, daß es selbst unter den verachteten
„Naturalisten“ wenige gibt, die „nicht zwischen einem Termitenhügel und einem gotischen Dom unterscheiden können“
((4)), denn daß der eine als Wohnung benützt wird, der andere hingegen zum Beten und ähnlichen geheimnisvollen Tätigkeiten, läßt sich kaum übersehen. Offensichtlich haben beide sich im Lauf der Zeit vom Gesichtspunkt der Benutzer aus als
viabel erwiesen.
((55)) In seinem letzten Absatz schreibt JANICH, ich hätte es
unterlassen, die in meinem »Ansatz investierte Übernahme naturwissenschaftlicher Denkweisen und Resultate selber konstruktivistisch in Frage zu stellen und zu rekonstruieren“. Da
ich m meinem Artikel als Beispiel Konstruktionsmodelle für
Mehrzahl, Objektpermanenz, Wandel aller Alt» Zustand, Bewegung und Ausdehnung vorgeschlagen habe (EvG 46-55) -
Begriffe, ohne die auch Naturwissenschaftler nicht viel machen können - sollte klar sein, daß ich das Denken in der Wissenschaft als Konstruktion und die Ergebnisse prinzipiell als
mehr oder weniger viable Modelle betrachte, ohne sie notwendigerweise im Einzelnen zu „rekonstruieren“. Wenn die
Arbeiten der Erlanger und Maiburger Methodologen den Konstruktivismus durch solche Rekonstruktionen radikaler machen, so kann mich das nur freuen, denn ich glaube nicht, daß
es Ceccatos und meinen Begriffsanalysen die eigene, grundlegende Radikalität nimmt.
((56)) KÖNIG ((6)) zitiert Böhmes Ausdruck „Widerstän-
digkeit der Wirklichkeit“ und dessen markerschütterndes Beispiel eines nicht „brauchbaren“ Frühstücks. Freilich würde
auch ein Blinder daraufkommen, daß es nicht viabel ist, auf
ein Stück Ziegelstein zu beißen, und daß es peinliche „physiologische Konsequenzen" hätte. Hoffentlich ist das ein Stück
der Wirklichkeit, die er sich bereits konstruiert hat Doch selbst
das Zersplittern seiner Zürne wäre zwar schmerzhaft, aber
wissenstheoretisch doch nur eine Erfahrung, die prinzipiell
nicht mehr über Realität besagt, als das Ticken der Uhr in
Einsteins Gleichnis (EvG 8). Der Wider- oder Gegenstand,
den der Blinde zu spüren bekommt und dann hoffentlich dank
eines bereits angefertigten Konstrukts als Stein „erkennt" (d.h.
assimiliert), läßt sich nur in Begriffen denken, die durch Abstraktion aus vielen vorhergehenden Widerstandserlebnissen
gebildet wurden (siehe such A.a. GRÖSSING).
((57)) Daß man aus dem RK keine .Anweisungen für das praktische Handeln“ gewinnen kann ((10)), scheint mir z.B. dadurch widerlegt, daß es in der Didaktik bereits mehrere Bücher gibt, die über seine Anwendung im Mathematik- und Phy-
sikunteiricht berichten.
((58)) KONRAD stellt eine, soweit ich es beurteilen kann,
verläßliche Zusammenfassung anderer mehr oder weniger konstruktivistischer Denkscbulen meinem Konstruktivismus gegenüber und überläßt es dem Leser, eine Wahl zu treffen. Ihre
eigene Stellung charakterisiert sie durch ein Zitat von Popper»
demnach der Fortschritt der Erkenntnis „in der Verbesserung
des vorhandenen Wissens (besteht) in der Hoffnung der Wahrheit näher zu kommen“ ((4)). Da dieses Näherkommen nur
ermessen werden könnte, wenn man Zugang zu jener Realität
hätte, in der Dinge-an-sich „existieren“, halte ich die erwähnte Hoffnung für einen metaphysischen Wunschtraum. Popper
behauptete, daß der Verzicht auf diese Hoffnung zur Stagnation der Wissenschaft führt (Popper 1963, S. 114). Ich bin offensichtlich nicht dieser Meinung.
((59)) Nur an wenigen Stellen weist KONRAD ausdrücklich
auf begriffliche und sprachliche Unterschiede zwischen meiner Auffassung und jener anderer hin. Um dem Leser Vergleiche möglich 20 machen, wäre das wohl nötig. Nun schreibt
sie aber z.B.ä propos F.Wallner, dieser unterscheide zwischen
„Realismus“ und „Wirklichkeit“, während ich „Illusion“ und
„Wirklichkeit“ sowie zwischen „subjektivem" und „objektivem“ Urteil differenziere ((6)). Da wäre es wichtig zu «Hären, dafi ich das deutsch© Wort „Realität“ benütze, uns die
unmögliche Vorstellung von einer ontischen Welt von der alltäglichen da- erlebten „Wirklichkeit“ zu antersciseidea (sieh©
BvG 10,13,17,57) »ad dana die Gegenüberstellung von Illusion und Wirklichkeit md jene vom subjektivem Bad objektivem Urteil in der Erlebens weit mache.
((60)) Welchen Konstraktivisaias Leser und Lesenesseu aas
der hier gebotenes Zusammenstellung als den brauchbarsten
betrachten wollen, hingt von ihnen selber ab. Mein Vorschlag
beansprucht nicht, „wahr“ zu sein, sondern will lediglich in
der Praxis des Lebens und Denkens ausprobiert werden.
((61)) KEÜGEE kann ich aun erwidern: Hätte ich meinen
Artikel als „PR-Aktion“ für mein Buch geschrieben ((!)), so
wäre es eine peinlich© Fehlrechnung gewesen, Etwa eia Drittel der Kritiker haben es oder »deres von mir bereite gelesen,
und unter dea restlichen zwei Dritteln ist kaum einer, der mit
dem Artikel nicht mehr als genug hat Tatsächlich wandte ich
eingeladeu, mich mit einer Zasammiafassung meiner Ideen
der Diskussion auszusetzen, wofür ich der Redaktion der EuS
ausgesiebte der reichhaltigen Kritikea überaus dankbar bin.
((62)) Daß „konstruktivistische Ansitz©“ schon seit längerer
Zeit in unterschiedlichen Disziplin« diskutiert werden, ist
mir zumindest teilweise bekannt. Es ist mir ein Ansporn, den
RK immer klarer und unmlßvrastliidlicfaer zu erkläre®, denn
was da diskutiert wird, hat oft mit den eigentlichen Idee®
reck wenig za tu®. Im Hauptartikel wollte ich die radikale
Wtessrnstheofie so gut ich konnte als Ganzes auspacfas», damit der aufmerksame Leser feststellen kann, wie weit RK
sich von anderen Konstruktivismen entfernt Die Distanz voa
den „sozialen" Versionen ist besonders groß, da der RK eine
Theorie des individuellen Wissens ist und somit auch die Gesellschaft und alles was mit ihr in Eusamtnenhaag gebracht
werfen kann als Konstruktion des einzelnen Subjekts befrachtet» muß (A.a. PLACKE). Ich wiederihsole: & geht am Wissen, nicht uni Sein.
((63)) KULLerklirt, die Ansicht, „woaacti es in der herkömm-
lichen Erkenntnistheorie stets ran die Erkenntnis einer ‘Welt
an sich’ gegangen sei,... ist seit Kant obsolet“ ((2)). Er bemerkt jedoch, daß Kants „Kopemikanische Wende“ in der PW-
losophiegeschichte „mancherlei Verwässerung“ erfahren hat
und es darum ein klein« Verdienst ist, ihr wieder m ihrem
Recht zu verhelfen. Im Nachhinein ist mir klar, da£ ich Kant
in meinen» kurzen Abriß der epistemologischen Vorgeschichte härte erwähnen sollen. In meinem Buch ist er ausführlich
gewürdigt, doch beim Schreiben des Hauptertikels lag mir vor
allem daran, meines» eigene® Weg zum RK plausibel zu machen. Dieser Weg war selbstverständlich idiosynkratisch und
mußte zudem drastisch abgekürzt werden. Außer Leitatz ((5))
bitte ich auch Vtco, Schopenhauer, Nietzsche, Vaihinger,
James, Bogdanov, Collingwood, Etewey und einige andere,
von denen ich gelernt habe, erwähne» können.
((64)) Hingegen stimm© ich gmz ui&d gar nicht mit der Feststellung überein, meine Darstellung stütze sich auf Ergebnisse der Wissiasofeail, weil ich ausführlich auf Plaget eingehe
((4)). Wie das Zitat (EvG 25) nabelegt, war es die epistemolo-
gische Interpretation der Anpassung und des wissenschaftlichen Denkens, sie Plaget sein Leben lang beschäftigte». DaB
Pliilosoplien itm dwefewegs ignoriert haben, ist m.E. eine unverzeihliche Uiterlassuiägssüfide.
((65)) Daß mein Konstruktivismus - oder andere „aufgeklärte“ Denkweisen - Fundamentalisten bekehren könnten, glaube auch ich meist ({13)). Doch die Lehipraxis hat mir einige
Male bestätigt, daß ein bißeben Konstruktivismus manche Studenten und Studentinnen vor dem Abrutschen in fundamentalistische Wahnideen bewahren kann.
((66)) KURTs Konmentar zeigt: Wen® man von der Überzeugung aasgeht, eise Wisseastheorie ohne ontologische Be-
gründungen sei prinzipiell ausgeschlossen, dann muß mau den
RK ®J$ üMiimig betrachten. Nicht so selbstverständlich ist es,
daß dem RK dann ganz unzutreffende Absichten und Behauptungen zugeschrieben werden. KURT bestätigt, daß es mir
nicht „um di© soziohistcrische Entwicklung eines Denkst»-
ddls“ geht, schießt ater dasai, daB ich zeige® will, meine
Theorie „sei immer schon da gewesen“ ((3)). Das wollte sch
nicht sagen. Wenn ich schrieb, „daß menschliche Beobachter
die Begriffe mit denea sie Erlebnisse und Erfahrungen erfaasen, nicht entdecken, sondern erfinden, hi keineswegs ecu“
(EvG 9), heißt das nicht mehr, als daß dieser eine Schritt bereits von den sehr unterschiedlichen Denkern, die ich zitiere,
versucht wurde.
((67)) Auch Husserls Phänomenologie verzichte, so schreibt
KUXT, „auf die Annahme der Erkeaffibwkeit ‘einer realen
Welt’“ und setee an ihre Stelle die „Lebenawelt... Und diese
Welt Alb wir nicht. Wir finden sie vor“ ((6)). Wie tun wir
das? Sickert sie so, wie sie ist, in ans hinein? Oder koisstnm@-
r©a wir sie auf Grund vo® Erfahrungen, di© wir in unseren
eigenen Begriffen begreifen?
((68)) KURTs Behauptung, ich wolle „die ganz© Menschheit
umfassen“ ((3)), gründet sich anscheinend auf msias Bemerkungen über den Anfang der Geistesgeschichte und läßt sich
kaum damit vereinbaren, da® ich den RK als Vorschlag bezeichne (EvG 2) «ad meinen Artikel mit der Warnung schließe, der RK mache kein« Anspruch auf „Wahrheit“ im philosophischem Sinn und sein Wert könne sich stur in der Praxis
denkender Individuen erweisen (EvG 64). Da er Bewohner
des Himalaja erwähnt, kioa ich hinzufügen, daß RK sich gar
nicht so sehr vom gewisse« Fonnsia der tibetanisch/buddhistischen Philosophie unterscheidet.
{(69)) LAUS zitiert eine Ontologie-Definition von Luhmann
((2)) und behauptet dann, daß ich Ontologie betreibe, weil ich
„die Frage diskutiere, ob oder wie die Erkenntnis einer Realität an sich möglich sei“ ((3-4)). Zwar habe ich wiederholt geschrieben, daß wir m.E. von der ontischen Welt nichts wissen
können, doch wenn das „Ontologie betreiben“ ist, dann kann
niam mich auch einem Spiritisten nennen, weil ich manchmal
erkläre, daß ich von Geistern keine Ahnung habe.
((70)) LAUS schreibt aber auch, daß die Realität „als Resultat einer Operation eines Beobachters“ gedacht und somit vom
Sein abgelöst werden kann ((5)). Das hat mein Freund Silvio
Ceccato, der Erfinder der consapevolezza operativa schon vor
50 Jahren gesagt, als er die Begriffssemantik gründete (siehe
A.a. BETFONI); und ich möchte darauf hin weisen, daß mein
Diagramm in (EvG 46) eine ziemlich deutliche Darstellung
der mentalen Operationen ist, die das „Sein“ hervorbringen.
((71)) LEIBER bemerkt gleich, daß ich meiner Auffassung
entgegengesetzte „Grundhaltungen... pauschalisierend formuliere“ ((2)). Das ist freilich so. Erstens fehlt mir die solide
Basis eines akademischen Philosophiestudiums (was ich sehr
bedaure) und zweitens finde ich in meiner Gegend keinen gelernten Philosophen, der bereit wäre konstruktivistische Ideen
ernstlich zu diskutieren. Darum bin ich LEIBER für seine Ausführungen sehr dankbar und prinzipiell bereit, sie als Korrekturen anzunehmen.
((72)) Das gilt jedoch nicht für die Zweifel in Bezug auf meine Verwendung des Wortes „herkömmlich" ((2)). Wenn ich von
einer,.herkömmlichen Erkenntnistheorie“ sprach, so meinte ich
jene, die dem Denken und vielem Handeln der meisten Menschen seit jeher als Grundlage dient In meiner Erfahrungswelt
kann ich diese Grundlage ohne Bedenken naiv-realistisch nennen. Obschon ich selbst eine Reihe von Denkern zitierte (zu
der andere hinzugefügt werden können; A.a. KULL), die dem
Realismus zu entkommen trachteten, glaube ich, daß auch heute
und besonders in den Vereinigten Staaten die eine oder andere Form eines metaphysischen Realismus in den meisten philosophischen Abteilungen maßgebend ist Auch was die Umstellung der Wissenschaftler anbelangt ((4)), so habe ich z.B.
Helmholtz schon oft zitiert und man könnte einige mehr aus
dem vergangenen Jahrhundert nennen (sowie m.E. auch Leonardo da Vinci und Torricelli). Doch wenn man in heutigen Forschungszentren und Laboratorien zuhört, bekommt man nicht
den Eindruck, der Realismus sei ausgestorben.
((73)) LEIBERs Bemerkung in Bezug auf Sozialkonstruktivismus stimme ich voll und ganz bei (siehe meine kurze Erklärung an KRÜGER). Dem Ausdruck „Minimalrealismus“
bin ich in meiner eklektischen Auswahl der Lektüre noch nicht
begegnet und weiß darum nicht was darunter verstanden wird.
((74)) LÜTTERFELDS zieht in einem frontalen Angriff gegen die These „daß wir eine Welt jenseits unserer Sinne und
Begriffe nicht ‘erkennen’ können“ (EvG 14), zunächst Hegel
heran, der mir als eklektischer Leser stets abseits lag. Damm
verlasse ich mich auf das angeführte Zitat: „Gerade darin, daß
menschliches Wissen überhaupt von einem Gegenstände weiß,
unterscheidet es den Gegenstand, wie er unabhängig von ihm
existiert vom Gegenstand, wie es ihn weiß“ ((3)). ln der konstruktivistischen Perspektive taucht ein Gegenstand in der
Wirklichkeit eines Subjekts erst dann auf, wenn das Subjekt
ihn konstruiert. Die Konstruktion des Gegenstandes kann dem
Auftauchen sogar lange vorausgehen, wie es etwa bei den
Quarks der Physiker der Fall ist. Damit wird das von Hegel
geborgte Argument für mich hinfällig, denn von einem Gegenstand, den ich noch nicht konstruiert habe, kann ich nichts
wissen - und Eingebungen von ihm sind Sache der Mystik.
((75)) Dann kommt das Argument, das eine negative Aussage
in eine positive verdreht: „Denn in der Angabe dessen, was
wir nicht rational erfassen können, liegt eine rationale Wirk-
lichkeitserfassung bereits vor“ ((3)). Meint LÜTTERFELDS
hier ein Verstehen der Erlebenswirklichkeit, dann kann ohne
weiteres dazugehören, daß man etwas außerhalb ihrer fürmög-
lich hält Doch ich glaube er meint .Realitätserfassung“, und
an die kann meine Vernunft nicht heran.
((76)) Ganz einverstanden bin ich mit der Feststellung, daß
„alle Erkenntnistheorien, samt ihrer Kritik“ ((12)) notgedrungen „zirkulär“ sind. Das fängt damit an, daß ich als Halbwüchsiger^ wie wohl die meisten anderen - die Welt meiner Erfahrungen mit Mitteln zu ordnen und zu „erklären“ beginne, die
ich mir auf Grund dieser Welt zusammenbasteln muß; und es
hört mit dem Versuch auf, das Rationale rational zu analysieren. Das heißt aber nicht unbedingt, daß ich metaphysische
Zuflucht suchen muß. Man kann auch unbegründete Voraussetzungen als Ausgangspunkt verwenden, nicht als „ontologische Gegebenheiten" ((13)), sondern als schlichte Arbeitshypothesen zur Konstruktion eines „Modells“, das man dann,
auch wenn es funktionieren sollte, doch nicht als Repräsentation einer Realität betrachtet.
((77)) Eine dieser Voraussetzungen ist bei mir das Bewußtsein des konstruierenden Subjekts ((6)). Ich habe kein Modell
und keine Ahnung wie es funktioniert, habe auch bis heute
von keinem befriedigenden gehört. Doch ich kann mir einiges
von dem zurechtlegen, was es tut; z.B. wie Humboldt so schön
sagte: „in seiner fortschreitenden Tätigkeit einen Augenblick
still stehn, das eben Vorgestellte in eine Einheit fassen, und
auf diese Weise, als Gegenstand, sich selbst gegenüberstel-
len“ (Humboldt, 1907, S.581).
((78)) Damit erübrigt sich auch Lütterfelds' Einwurf von ((5)),
daß das Gleichgewicht, von dem ich spreche, „das Verhältnis
des kognitiven Organismus zu seiner externen Welt“ betrifft,
weil ich es im Zusammenhang mit kognitiven Strukturen und
Tatsachen erwähne (meine Hervorhebung).
((79)) MEINEFELD, der in drei Paragraphen Hauptpunkte
meiner Position zutreffend zusammenfaßt ((1-3)), wirft die
„Widerständigkeit“ der Realität auf und sieht in ihr den Grund,
eine „vorgängige Strukturiertheit“ anzunehmen, aus der dann
»Ankerpunkte der menschlichen Konstruktionsleistung“ erwachsen ((5)). Widerstände, wie ich KÖNIG erwiderte, streite ich keineswegs ab, doch daß man aus ihnen reale Struktur
oder Eigenschaften des Widerstehenden abfeiten könnte,
scheint mir ausgeschlossen (A.a. GRÖSSING).
((80)) Was Piaget betrifft, so lese auch ich bei ihm an vielen
Stellen, daß der Aufbau der Begriffswelt ein interaktiver Vorgang ist, der die Widerständigkeit der Objekte voraussetzt
((6)); doch ich nehme Piaget ernst, wenn er in La construction
du reel chez Venfant ausführlich darlegt, wie das Kind Objekte konstruiert und dann in die nicht minder konstruierte
„Welt“ von Raum und Zeit projiziert Auch ich glaube, „Wahr-
nehmungsstrukturen existieren nicht vorder Wahrnehmung“
((7)), doch werden sie m.E. in der Auseinandersetzung mit
den bereits konstruierten Objekten und die .Anpassung der
Begriffe und Ideen an einander“ aufgebauf (EvG 23).
((81)) MEYER schreibt in ((2)), wenn man auf Grund der Unmöglichkeit, Vorstellungen mit einer „Welt an sich“ zu vergleichen, schließt, daß so eine Welt nicht rational erfaßbar sei, dann
ist das „nur eine fafon de parier*'. Ich würde sagen, es ist eine
fa(on depenser • und das ist genau, was der RK sein will. Und
wenn MEYER weiter ausführt: „Das Konzept einer 'Welt an
sich’ wird dann überflüssig und bedeutungslos; es kürzt sich
gewissermaßen aus unseren Überlegungen heraus,“ dann
drückt er sehr schön aus, was der RK bezweckt: Im Bereich
rationaler Konstruktionen ist die Berufung auf eine ontologische Realität ausgeschlossen. Das heißt aber keineswegs, daß
der RK das subjektive Gefühl des „Daseins“ ausschließen will;
doch er betrachtet alles, was mit Sein zu tun hat als gefühlsmäßige Eingebungen. Er bestreitet lediglich, daß diese rational erfaßt und beschrieben werden können, und überläßt sie
darum der Intuition der Mystiker, Metaphysiker und Künstler.
((82)) In meinem Artikel behaupte ich, daß weder metaphysische Postulat®, noch Argumente der Plausibilität oder Wahrscheinlichkeit solcher Annahmen die „unergründliche Lücke“
(zwischen unseren Wahrnehmungen und unseren Begriffen einerseits und einer von uns unabhängigen Welt andererseits)
auf rationale Weise schließen können (EvG 13).
((83)) Das Wortspiel, daß das Adjektiv „objektiv“ der Umgangssprache (wo es „eine von der jeweiligen Gemeinschaft
akzeptierte ... Praxis“ betrifft) mit der Beschreibung der philosophischen „Wahrheit" gleichsetzt (MEYER (3)), paßt nicht
gut zu einem Sprachwissenschaftler, der auf „sinnvolles Reden“ hält. Der Unfug läßt sich vermeiden, indem man für den
ersten Begriff das Wort „intersubjektiv“ verwendet.
((84)) Was Wittgenstein betrifft ((8)), so könnte man lange diskutieren. Unter anderem hat er auch „auf überzeugende Weise
darlegen können“, daß es schwer ist herauszufinden, was vorgeht wenn jemand z.B. auf eine Form, eine Farbe oder eine Anzahl „zeigt“ (Wittgenstein, 1953, S,17). Man lerne es durch
Sprachspiele, schlug er vor - doch wie der Sprachanfänger diese
Begriffe in den Sprachspielen isoliert, so daß er sie fortan eigenständig benützen kann, ist weiterhin mysteriös geblieben.
((85)) MITTERER beginnt seine Kritik mit der Feststellung, daß die Unterschiede zwischen RK und Realismus „von
den jeweiligen Vertretern als so groß empfunden (werden),
daß es kaum zu ausführlichen Auseinandersetzungen kommt“
((1)). Was einige der anderen Kritiker geschrieben haben,
scheint mir zu zeigen, daß solche verständigungshenurietide
Empfindungen auch dort auffauchen, wo der RK von Positionen aus kritisiert wird, die sich keineswegs als „realistisch“
bezeichnet sehen möchten.
((86)) Der Unterschied, den MITTERER in ((3 & 4)) herausschält, gefällt mir gut, doch mit dem Schluß, den er in ((5))
zieht, bin ich nicht einverstanden. Freilich kann ich den Realisten einen Konstrukteur nennen, der seine Konstruktion der
Wirklichkeit verabsolutiert; aber gerade diese Verabsolutierung ist, was der Konstruktivist ausdrücklich vermeidet. Der
RK behauptet nicht, „wahr“ zu sein; er schlägt lediglich eine
Art und Weise des Denkens vor, deren Wert „sich nur in der
Praxis denkender Individuen erweisen“ kann (EvG 64).
((87)) Dieser Wert ist Brauchbarkeit oder, wie ich es nenne,
Viabilität. Mit diesem Begriff befaßt MITTERER sich intensiv ((7-11)) und ich möchte einige seiner Ausführungen von
meinem Gesichtspunkt aus beleuchten. Da er Ausdrücke wie
„unbestreitbar", „unwiderlegbar“, und „logisch unanfechtbar“
als Stellvertreter für „wahr“ bezeichnet ((7)), gelingt es ihm,
dem RK eine Inkonsequenz zuzuschreiben ((8)). Diese Gleichsetzung scheint mir aber etwas unlauter zu sein. Obschon die
eisten beiden Ausdrücke nicht in meinem Artikel Vorkommen,
würde ich sagen, daß man sie auch als Konstmklivist ohne
Widerspruch verwenden kann, da sie innerhalb des eigenen
Erfahrungsbereichs sinnvoll sind und keinen ontischen Bezug benötigen. „Logisch unanfechtbar“ scheint mir noch unschuldiger, denn die Logik sagt grundsätzlich nichts über die
Realität, sondern nur über Regeln unseres Denkens. Wenn ich
den so oft als Beispiel zitierten Syllogismus mit der Prämisse:
„Alle Menschen sind unsterblich“ beginne, so kommt es als
„logisch unanfechtbar“ heraus, daß Sokrates unsterblich ist -
und das wäre auch sinnvoll und viabet, vorausgesetzt, daß die
Unsterblichkeit der Menschen erfahrungsmässig bestätigt
werden könnte.
((88)) Die Frage, wer für das Scheitern unser Konstruktionen
verantwortlich ist, läßt der RK prinzipiell offen. Im Hauptartikel habe ich das vielleicht nicht deutlich genug gemacht,
doch in dem Buch, das MITTERER in den Anmerkungen 2
& 3 erwähnt, steht, daß wir nie entscheiden können, ob der
Mißerfolg auf einem Widerspruch in unserer Haadlungs- oder
Denkweise beruht, oder auf einem „realen“ Hindernis. Wie
überall, hütet der RK sich, etwas über die Realität auszusagen. Das Scheitern hingegen wird m.E. weder in der Wissenschaft noch im täglichen Leben unbedingt „von anderen theoretischen Positionen aus konstatiert“ ((9)), cs kann auch dadurch erkannt werden, daß das was man tut oder denkt nicht
zu den gesetzten Zielen fuhrt. Kommt man nicht hin, so erweist entweder die Theorie des Weges oder die begriffliche
Konstruktion des Ziels sich als unangebracht Das Verlangen,
etwas zu erreichen, sehe ich nicht als theoretisch (rational),
da es auf Werte gegründet ist und somit aus der Sphäre der
Gefühle und Intuitionen stammt. MITTERER hat freilich
recht, wenn er abschließend bemerkt, daß die Entscheidung
zwischen realistischer und konstruktivistischer Orientierung
eine Sache der Präferenz ist. Doch seit ich mich mit Lernen
und Didaktik befasse, macht mir die Wahl keine Schwierigkeit: Statt Schülern ein Weltbild aufzudrängen, das schon an
vielen Stellen brüchig ist, ziehe ich es vor, ihnen in der Entwicklung eines Denkens zu helfen, das es ihnen vielleicht
ermöglicht, Gleichgewicht in der Wirklichkeit zu schaffen,
die sie erleben.
((89)) NÜSE ist, wie er mitteilt, Psycholinguist, und weiß darum besser als andere, wie schwer es ist, aus einem Text annähernd das herauszulesen, was der Autor ausdrücken wollte.
Er hat mich ausgezeichnet verstanden. Umso mehr bedaure
ich, daß er in seiner Kritik einen Punkt vernachlässigt, den ich
im Artikel, am Anfang wie am Ende, so deutlich ich konnte
zu vermitteln versuchte - nämlich daß der RK ein Vorschlag
sein will (EvG 1, 2,64), also nicht zu einem Glauben überzeugen, sondern ausprobiert werden möchte. NÜSE bestätigt
meinen Verzicht auf Wahrheitsansprüche ((1)), wirft dann aber
doch Probleme auf, die dadurch entstehen, daß er mir ontisehe Ambitionen zuschreibt. „Die Tatsache, das Wissen das
Resultat von mentalen Operationen eines ‘denkenden ’ Erkenntnissubjektes ist, impliziert aber nicht, daß das so erworbene
Wissen nicht realitätsadäquat sein kann" ((3)). Eben um diese
Implikation auszuschließen, zitierte ich Xenophanes, der deutlich erklärte, daß wir „um" die Adäquation an die Realität
nichts wissen können (NÜSE (5); und zu „wissen um" siehe
A.a. GRÖSSING).
((90)) Die beiden Prämissen, die NÜSE sehr richtig beschreibt
((10)), scheinen mir meine Grundabsicht deutlich auszudrük-
ken: Zu zeigen, daß die Welt, die wir als wirklich betrachten,
aas der Erfahrung aufgebaut werden kann, ohne irgend eine
Realität vorauszusetzen, der sie entsprechen muß. Wissen habe
ich stets als die Gesamtheit der Begriffe, Theorien, Handlungsund Denkweisen verstanden, die wir als viabel betrachten,
sowie jener, deren Unbrauchbarkeit wir erfahren haben. Kurz,
es umfaßt das, worauf wir uns in unserer Wirklichkeit mehr
oder weniger verlassen.
((91)) OTT mißbilligt meinen Vorbehalt in bezug auf „Plausibilitätsargumente“, die helfen sollten, die Kluft zur Realität
zu überbrücken ((5)). Wenn ich das Wort „plausibel" einigermaßen richtig verstehe, so bedeutet es, daß man etwas angesichts der Erfahrungen, die man gesammelt hat, mit diesen nicht
nur vereinbar, sondern fast als wahrscheinlich betrachtet. Im
Kontext der Realitätserkenntnis scheint solche Plausibilität mir
eben deswegen fehl am Platz, weil ich keine Berechtigung sehen kann, auf Grund dessen, was in der Erfahrungswelt wahrscheinlich ist, eine Brücke in die Realität zu schlagen.
((92)) OTT präsentiert seine eigene Definition von „Modell“:
Repräsentative und simplifizierende Schemata. Er charakterisiert das Denken mit Modellen als „Kennzeichen eines aufgeklärten ('unnaiven’) Realismus" und sagt schließlich, „die
neuesten Klimamodelle bildeten die Wirklichkeit besser (adäquater) ab als die ersten Modelle" ((9)). Wie er richtig vermutet, würde ich „diese realistische Deutung des Modellbegriffs
zurückweisen", wenn unter „Wirklichkeit" die Realität verstanden werden soll. Ich glaube, Wissenschaftler bemühen
sich, ihre Modelle mit der Wirklichkeit der Erfahrungen in
Einklang zu bringen, d.h, „plausibel" und wenn möglich auch
viabel zu machen. Wenn sie dann erklären, sie beschrieben
eine unabhängige Realität, so setzen sie sich die päpstliche
Tiara auf und geben vor, ex cathedra zu sprechen.
((93)) OTTs Frage, „was eine wissenschaftliche Beobachtung
ist?“ ((9)), scheint mir zunächst schon in dem Einstein-Zitat
(EvG 8) und dann ausführlicher in den Paragraphen über Assimilation und Akkommodation (EvG 29-31) beantwortet: Es
handelt sich m.E. um Erfahrungen, die sich in kontrollierten,
als „gleich“ betrachteten Situationen wiederholen lassen. (Meine Definition von „Modell“ steht in Anmerkung 1 zu (EvG 24).)
((94)) PÖLKING charakterisiert meine Interpretation des
Piagetschen Lemmodells als „einen Idealtypus des Lernens
..., der sich auch unbestritten vielfach bewährt und wichtige
Forschungsansätze und -ergebnisse geliefert hat“ ((4)), warnt
aber, daß es nicht das einzige Modell sei. Das glaube ich auch,
und deswegen habe ich anderwärts, wie sie anschließend erwähnt, begriffliches Lernen und Lernen von Verhalten unterschieden. Diese Unterscheidung, läßt sich im Deutschen ungefähr durch „Wissen" bzw. „Können" ausdrücken. Auch
imitatives Lernen wäre hinzuzufügen, das auf der noch völlig
geheimnisvollen Fähigkeit beruht, visuelle oder auditive Wahrnehmungen in motorische Handlungsprogramme umzusetzen.
Kinder lernen Skifahren vom Zuschauen und Gedichte vom
Hersagen, ohne daß begriffliches Verstehen dazu nötig wäre
oder damit einhergeht. Denken oder vorgefaßtes Wissen sind
dabei eher hinderlich, doch es geht besser, wenn ein Lehrer
absichtlich vorfährt oder -sagt.
((95)) Daß das begriffliche Lernen in Piagets Modell keine
„wesentliche soziale Komponente“ habe, ist etwas übertrieben. Die Akkommodationen, die anfängliche, kindliche Begriffe an den Sprachgebrauch der jeweiligen Erwachsenengruppe anpassen und mehr oder weniger viabet machen, finden auch laut Piaget im Zusammenhang mit sprachlichen und
nichtsprachlichen sozialen Interaktionen statt. In der Schule
(Grund-, Mittel- und Hoch-) sind Lehrer unerläßlich - aber
nicht als Verteiler der begrifflichen Fertigware, die durch disziplinäre Trichter in unwissende Köpfe befördert werden könnte, sondern eben als Anreger und Vermittler, die durch Vorschläge, Fragen und das Hervorheben von Widersprüchen den
Begriffsaufbau der Lernenden zu steuern versuchen.
((96)) Das Beispiel von der geozentrischen Alltagsvorstellung
gefällt mir ausgezeichnet Zweifellos wird es lange dauern, bevor Leute geläufig sagen „Wir drehen uns jetzt in den Tag bzw.
in die Nacht“. Für die alltägliche Verständigung jedoch ist es
nach wie vor viabel, vom Auf- und Untergang der Sonne zu
sprechen. Nur wenn wir uns mit dem Planetensystem als solchem zu beschäftigen anfangen, erweist sich das geozentrische
Modell als zu kompliziert und das Rechnen mit Epizyklen zu
kostspielig. Im passenden Kontext verwendet, sind beide
Modelle viabel; obgleich auch die Sonne ihre Viabilität als Mittelpunkt der Welt verloren hat, seitdem so viele Astronomen
viel tiefer in den „realen“ Weltraum zu schauen glauben.
((97)) G.ROTH schickt voraus, daß er selbstverständlich
„mit der grundsätzlich konstruktivistischen Position EvG’s“
übereinstimmt. „Dies betrifft den radikalen Verzicht auf jeden absoluten Wahrheitsanspruch ebenso wie die Erkenntnis,
daß jeder von uns innerhalb seiner eigenen, individuell gewachsenen ‘Wirklichkeit’ wahrnimmt, denkt, fühlt und handelt“ ((1)).
((98)) Seine Kritik betrifft zwei Punkte. Erstens, „die Darstellung des Verhältnisses von Erlebenswelt und bewußtseinsunabhängiger Welt, von ‘Wirklichkeit’ und ‘Realität’, und
zweitens die darstellende Rolle des Ich bzw. des ‘denkenden
Subjekts’ bei der Konstruktion von Wirklichkeit“.
((99)) Bei dem ersten Punkt stolpere ich zunächst über der
Gleichsetzung von „bewußtseinsunabhängiger Welt" und
„Wirklichkeit“. Das scheint mir verfänglich. Insofern ich von
der von mir konstruierten Wirklichkeit denken und reden kann,
muß ich sie mir bewußt gemacht haben. Doch es gibt in ihr
vieles, das meinem Bewußtsein im Augenblick nicht ohne
weiteres zugänglich ist (z.B. der genaue Wert von n oder das
Resultat von Multiplikationen zwei- oder mehrstelliger Zahlen). Und dann frage ich mich, ob es überhaupt möglich ist,
ein Verhältnis zur „Realität“ positiv darzustellen. Wenn meine Wirklichkeit, wie ROTH ausführt, „erlebnismäßig unüber-
steigbar" ist und Dinge und Prozesse „nur in ihr und durch
sie“ Bedeutung haben, kann ich von der „Realität“ einzig und
allein sagen, daß ich von ihr nichts weiß.
((100)) ROTH fragt dann ((2)), was den RK berechtige, „die
Existenz der Realität für gesichert zu halten, alles andere an
ihr aber nicht?“ Ich kann in meinem Aufsatz keine Stelle finden, die besagt, daß ich die Existenz der Realität für gesichert
halte. Es ist auch unwahrscheinlich, daß ich das sagen würde,
denn wie Berkeley müßte ich mich fragen, was das Wort „Existenz“ außerhalb der Erfahrungswelt bedeuten sollte (A.a.
FURTH).
((101)) Die Annahme, „daß zumindest einige Teile der Realität gesetzmäßig ablaufen“ ((3)), setzt voraus, daß Dinge und
Prozesse, die wir uns in der Erfahrungswelt konstruieren, im
Gegensatz zu dem, was ROTH in ((1)) sagt, auch in dem jenseitigen Bereich der Realität Bedeutung haben. Das scheint
mir mit dem von ROTH eingangs bestätigten „Verzicht auf
jeden absoluten Wahrheitsanspnich“ unvereinbar. Wäre der
postulierte, zumindest teilweise gesetzmäßige Ablauf der Realität nicht ein Attribut ihrer „Wesenheit", die dann als nicht
erfaßbar bezeichnet wird?
((102)) ROTH hat freilich recht, daß meine Anschauungen
sehr stark von Piaget beeinflußt wurden und auch durchwegs
„kognitivistisch“ sind ((9)). Ich glaube eben, daß auch Wissenschaftler, einschließlich der Neurophysiologen, ihr Wissen mit Hilfe von allgemeinen kognitiven Prinzipien aufbauen und somit nicht darum herumkommen, daß es ihre Erfahrungswelt betrifft und nicht eine von ihnen unabhängige Realität. Deswegen nenne ich den fUC auch eine Wissenstheorie
und warne so oft es geht, daß er keine ontologischen Behauptungen machen will. Für mich ist er ein Versuch, zu zeigen,
daß der „Entstehungsprozeß der Wirklichkeit' (((10)), meine
Hervorhebung), d.h. Konstruktion und Wissen von der Welt,
mit der wir zu tun haben, auch ohne Berufung auf die Eigenschaften einer unabhängigen Realität möglich ist.
((103)) M.ROTHs „visionäre Öffnung" bildet einen Ast der
Diskussion, den ich keineswegs absägen möchte, aber im begrenzten Raum, der hier zur Verfügung steht, kann ich ihn
nicht verfolgen. Die sachlichen Einwände jedoch möchte ich
zu entkräften versuchen. Daß die Eigenschaften oder Verhalten eines Organismus, die sich nach einer Wandlung der Umwelt als „angepaßt“ erweisen, schon vor der Wandlung zu seiner Lebensfähigkeit beitrugen ((4)), nehme ich nicht an, und
ich kann das mit Hilfe einer mindestens zur Hälfte wahren
Geschichte begründen. Die jungen Makaken auf der kleinen
Japanischen Koshima Insel fingen an, im Wasser zu spielen,
weil ihre Mütter die Süßkartoffeln, die ihnen von Zeit zu Zeit
als Futter gebracht wurden, im seichten Wasser vom Sand zu
säubern lernten. Die junge Generation von Makaken wurde
zu ausgezeichneten Schwimmern. Nehmen wir nun an (Gott
behüte), ein Erdbeben versenkt Koshima und die benachbarten Inseln, so könnten nur die Makaken von Koshima ans Festland schwimmen und überleben, während jene der anderen
Inseln umkämen. Da kann man m.E. nur sagen, daß das
Schwimmen vor der Katastrophe sicher ein Vergnügen war, aber wie manche andere Vergnügen mit Anpassung oder Lebensfähigkeit nichts zu tun hatte.
((104)) Eines der Hauptprobleme alles Lehrens, so glaube auch
ich, wird erst durch die Einsicht klar, daß Begriffliches weder
mit den Schallwellen eines Sprechers mitfliegt, noch direkt
aus geschriebenen oder gedruckten Zeichen ersichtlich ist ((5)).
Es muß stets vom jeweiligen Hörer oder Leser aufgebaut werden. Der einzige mildernde Umstand ist, daß die Bedeutung
der Zeichen an den beiden Enden des Kommunikationskanals
gar nicht identisch sein muß - für die „Verständigung“ genügt
es, wenn die Beteiligten ihre jeweilige Bedeutung in der gegebenen Situation als viabel betrachten. Ich fürchte jedoch,
es wird noch geraume Zeit dauern, bis Maschinen gebaut werden können, deren mechanisches Wissen sie befähigt, dieses
Viabilitätsurteil annähernd so zu fallen, wie wir es tun.
((105)) SCHANTZ schreibt, und ich gebe hier eine längere
Passage wieder, weil in ihr Verwechslungen deutlich werden,
die auch in der Kritik anderer eine Rolle spielen: „Es ist sicherlich richtig, daß wir die Begriffe, mit denen wir die Dinge um
uns klassifizieren, selbst gemacht haben. Abo-die Konsequenz,
die vG daraus zieht, ist, daß die Existenz und die Natur von
Gegenständen von unserem Begriffssystem abhängig ist Betrachten wir Sterne. Ihre Existenz und Natur ist von unserer
Sprache und unserem Denken kausal völlig unabhängig. Wir
haben nicht die Staue gemacht, sondern lediglich den Begriff
‘Stern’. Wir sind nicht die Ursache dafür, daß es Sterne gibt
Es würde Sterne auch dann geben, wenn wir nicht existierten.
Und ebensowenig ist die Existenz von Sternen logisch von der
Sprache abhängig, in der wir Beschreibungen von ihnen geben. Die Existenz von Sternen ist mithin weder logisch noch
kausal von unserem Begriffssystem abhängig“ ((8)).
((106)) Angesichts meines erwähnten Vorbehalts in Bezug auf
„Existenz“ (A.a. FURTH) verstehe ich nicht, wie SCHANTZ
zu der Behauptung kommt, daß in meiner Denkweise ein Begriffssystem die Existenz von Gegenständen verursache oder
daß sie von der Sprache abhinge. Die unterschiedlichen Begriffe - von Himmelskörpern, Asterisken, Filmschauspielerinnen, bis zum Christbaumschmuck - die durch das Wort „Stern“
als Vorstellungen in mir hervorgemfen werden, habe ich, wie
SCHANTZ anfangs sagt, im Laufe meiner Erfahrung selber
konstruiert. Doch wie ich anscheinend nicht oft genug wiederholen kann, habe ich keine Ahnung, was Wörter wie „Existenz“, „Sein“ und „existieren“ außerhalb der Erfahrungswelt
bedeuten sollten. Daß es Sterne geben würde, auch wenn wir
nicht „existierten", ist m.E. eine apodiktische Behauptung, die
einem metaphysischen Glaubensakt entspringt und sich weder in der herkömmlichen Epistemologie (soweit ich sie verstehe) noch in meiner Wissenstheorie rechtfertigen läßt.
((107) Das ich zwischen logischer Wahrheit und Realität ((14))
keine Verbindung sehe, ist in der A.a. MITTERER ausgeführt.
((108)) SCHMIDT erklärt am Anfang seiner Kritik, daß es
schwer ist, in einer öffentlichen Diskussion kritische Stellung
gegenüber einem Freund einzunehmen, mit dem man seit vielen Jahren gemeinsame Ziele verfolgt. Seine Bemerkung, daß
wir in unseren Sprachen nicht um Prädikationen herumkom-
men ((1)), d.h. um den Gebrauch des Zeitwortes „sein“, das trotz aller Warnungen immer wieder als Berufung auf ontologisches Sein verstanden werden kann, beleuchtet eine der
Hauptscbwierigkeiten des Konstruktivistischen Diskurses.
Man kann also tatsächlich gar nicht vorsichtig genug sein.
((109)) Zu der in Klammem gesetzten Andeutung, daß ich
die ontologische Realität als rational nicht erfaßbar, aber „vielleicht anders doch“ zugänglich betrachte ((3)), möchte ich aus-
führen, daß ich weder die Eingebung der Mystiker noch jene
der Dichter und Künstler jemals in Frage gestellt habe. Doch
sie liegt für mich eben außerhalb des rationalen Bereichs und
läßt sich nicht buchstäblich vermitteln oder erklären. Sie arbeitet mit subjektiv „offenen“ Symbolen, d.h., wie Vico sagte, mit Metaphern, deren eines Zielobjekt außerhalb der alltäglichen Erfahrungswelt liegt Ich habe des öfteren erklärt
daß diese mystische Welt für uns vielleicht wichtiger ist als
alles Rationale, und auch die Hoffnung ausgedrückt, daß die
Abgrenzung der rationalen Möglichkeiten den Zugang zu ihr
erleichtern möge. Das ist ein Dualismus, mit dem ich in gutem Einvernehmen lebe und dessen Verneinung mir direkt
gefährlich erscheint.
((110)) Daß das Erlernen der Sprache im Rahmen von „Handlungsspielen“ ä la Wittgenstein im Umgang einer Sprachgemeinschaft geschieht scheint auch mir unzweifelhaft. „Nur
für einen Beobachter lernt ein Kind eine Sprache“ ((4)) • doch
dieser Beobachter ist in erster Linie das Kind selbst denn
bevor es Wörter erfolgreich in sozialen Unterhandlungen verwenden kann, muß es sie mit viabien Vorstellungen verbinden lernen.
((111)) Ich danke SCHMIDT für seine Bemerkungen über
Ethik ((5)) und hoffe, daß es gelingen wird, den Begriff der
Viabilität auch auf diesem Gebiet plausibel zu definieren.
((112)) SEILER stellt die durchaus berechtigte Frage, ob die
Denkweise, die ich vertrete, „die Begriffe der Erkenntnis, der
Wahrheit und der Realität obsolet macht“ ((2)). Wie im Falle
von BETTONI (und einigen anderen) würde ich diese Frage
viel lieber mit dem Fragesteller in einer Landschaft mit Sonne, Schatten und einem Hintergrund von Fluß, See oder Meer
persönlich besprechen und hoffe darum, eine freundliche Zukunft möge dazu Gelegenheit bieten. Hier ist der Platz eng
begrenzt und wenn ich die Frage nun kurz mit Ja beantworte,
so wird das notgedrungen schroff wirken. Es ist keineswegs
so gemeint.
((113)) SEILER gibt meine „Thesen“ mit Verständnis und Umsicht wieder, stimmt weitgehend mit ihnen überein ((2,7, 8,
12)) und entwickelt seine Vorbehalte aus spezifischen Teilen.
Heutige Wissenschaftler würden nur selten die Meinung vertreten, „daß menschliches und auch wissenschaftliches Erkennen“ vom Subjekt unabhängig und darum „ohne Einschränkung als ‘Objektiv’ bezeichnet werden dürfte“. Das ist sicher
richtig. Doch wenn man z.B. Physiklehrer während ihres Unterrichts beobachtet, bekommt man den entgegengesetzten
Eindruck.
((114)) Auch damit, daß wir Begriffe und Theorien auf unsere Weise aus der Wirklichkeit der Erfahrung ableiten, „werden wohl viele Theoretiker einig gehen“. Doch die Schlußfolgerung, daß die Realität nicht rational erfaßbar und ihr Verhältnis zur Wirklichkeit unergründlich seien, schiene unberechtigt ((3)). Wenn man die Vernunft in Anlehnung an Kant
minimal als die Methode definiert, die es erlaubt, die Begriffe, die von Erfahrungen abstrahiert werden, so zu verknüpfen, daß sie ein kohärentes System bilden, ist es nicht möglich, „rationale“ Verbindung zu „Dingen“ der Realität herzustellen, deren Verhältnis zu Begriffen unbestimmt bleibt (A.a.
SCHMIDT). Nicht besser geht es, wenn wir eine neuere Definition heranziehen, demach die Vernunft die Fähigkeit ist,
„Bedeutungen zu schaffen, begründend zu verbinden und zu
trennen und sie in Bezug auf ihre Wahrhaftigkeit zu beurteilen“ (Sandkühler. 1988, S.42).
((115)) Mit der Wahrhaftigkeit wird die zweite Frage aufgeworfen, nämlich ob zwischen „objektiv und nicht objektiv und
wahr und nicht wahr“ nicht doch auch Zwischenformen möglich seien ((4)). Im normalen Sprachgebrauch sind sie gang
und gäbe, doch mein Kontext im Hauptartikel war die Wahrheit der Philosophen (in Bezug auf „logische Wahrheit“ siehe
A.a. MITTERER).
((116)) In dem Punkt, daß, jede Art von Anpassung auch eine
Art von Wahrheit impliziert“ ((5-7)), möchte ich SEILER widersprechen. Da ich ausschließlich von Wissen sprechen will,
sehe ich die Sieb- Metapher (EvG 28) vom Gesichtspunkt des
Sandkorns aus, das nichts von einem Sieb erfährt, durch das
es fällt; und wenn es anstößt, kann es aus dem bloßen Widerstand nichts ersehen, als daß es eben am Fallen verhindert wird.
((117)) Daß ein Kenner wie SEILER, trotz einiger Differenzen, einige Aspekte meiner Piaget-lnterpretation doch annehmbar findet, hat mich sehr ermutigt, und darum danke ich ihm
für seine durchwegs anregende Kritik.
((118)) TASCHNER. Inwieweit es berechtigt ist, den RK mit
der formalen Mathematik zu vergleichen, kann ich als Nichtmathematiker nicht beurteilen. Taschners Ausführungen in ((1-
6)) scheinen mir durchaus annehmbar. Dann aber ist mir nicht
klar, was unter Argumenten zu verstehen ist, die „mir unvermittelter Anschauung, Evidenz oder Intuition einhergeken"
((7)). Am Ende des Absatzes heißt es, daß .Aussagen in das
Netz der bereits als viabel betrachteten Aussagen einzubinden (sind],... (dessen einzelne Knoten - angepaßt auf eben
erfahrene ‘Tatsachen’, was immer man unter ‘Tatsache’ versteht, - stets ausgebessert werden dürfen).“ Das klingt so, als
seien die Beziehungen, die die Vernetzung der Knoten bilden,
ein für allemal gegeben. Das widerspricht meiner Vorstellung,
denn auch die verbindenden Beziehungen dürfen mit Hinsicht
auf Viabilität „ausgebessert“ werden. Und dies geschieht m.E.
durch das, was ich als abstrakte Reflexion und ohne weiteres
als intuitiv bezeichnen würde - eben weil es nicht die Tatsachen selbst sind, die die Beziehungen bestimmen, sondern die
mentalen Operationen des Subjekts.
((119)) ln der von Taschner zitierten historischen Episode ((9-
10)) war „Der brillante Gedanke B almers", daß er einen allein
aus Meßwerten berechneten Zahlenwert durch einen unendlichen ersetzte. So wie ich das verstehe, war das eine Intuition,
aber keine Evidenz. Es ließ sich nicht irgendwie aus den Zahlen als solche ersehen, sondern beruhte auf Batmers Entschluß,
alles» was „unterhalb der Meßgenauigkeit rangiert“ als unendlich im betrachten and so zu kategorisieren. Das scheint mir
analog der Erfindung Galileis, die es möglich machte, Gesetze der Bewegung zu formulieren, obschon diese Gesst® ge-
naugenommen nicht beobachtet werden konnten. Charles
Peirce bezeichnete solches Denken als .Abduktion“ (d.h. Er-
fiadang einer erklärenden Regel). Für nach sind diese aus der
Rationalität selbst nicht erklärlichen Intuitionen eine Urquelle der wissenschaftlich®! Konstruktionen. Doch wenn Einstein
das einen „Blick in Gottes Karten“ neun! ((14)), so macht er
eine metaphysische Beteuptusig, die sieh durch den Erfolg des
intuitiv erfunden« Gedankens in der Erfahrungswelt nicht
belegen läßt Damm stimme ich vorbehaltlos Taschners Formulierung bei: „Die Mater entzieht sich letztlich immer de® Zugriffen des sie «steppen wollenden Forschers“ ((12)).
((120)) TOBS8CO «Hirt» da® er des KK ist der Formulierung von ltHyp®r-T©xteiäi benützen fass. Das eröffnet eiae
Anwendung» der ich selbstverständlich viel Erfolg wünsche.
Beets daß da angeblich von Wort- and Tertttedeuteiig abgesehen wird, verblüfft midi ((12)). Todeseo scheint mir zura-
stimmetä, dafl das Kleinkind durch Reaktionen von Erwachsenen bewogsa wird» Sb manchen Situationen „Tasse“ zu sagen» in anderen ater „Tassen“ ((9)). Die Unterscheidung dieser Situationen wird wohl durch die Reaktionen der Erwachsenen notwendig, 1Ä sich ater nicht auf Grand dieser Reaktionen lernen. Dis Kind muß begreifen» daß der Singular „Tasse“ zum esamätigea Watimehmen des besamtes Objekte paßt,
während der Plural die Wiederholung einer Wahrnehmung
bezeichnet Dss heißt, tiaS das Kind die Unterscheidung erst
dann macfees kann, wes® ©s sieh der Wledterholmsig von be-
stimmten meataJea Operationen gewahr wird. Kurz, daß die
Unterscheidung gemacht werden joffte, geht aus des faterak-
tionen mit Anderen hervor, wie sie zu machen ist» ist Sache
der eigene® mentalen Operationen (Wahmetaiung, Kategori-
siening, usw.).
((121)) Tedese© schreibt: wir lernen teb Akkommodation, welche Wörter wir - unabhängig vom ihrer Bedeutung -
wann mit Gewisti verwenden körnten“ ((9)). Ich möchte sagen» daß Wörter ans nur das® „Gewisi#4* bringen, wenn die
Bedeutungen, die wir ihnen zuschieiben eiiaig«nrf®is mit den
BafeiÄtMjges fibegeinstimmen, die in ajjisej«c Spraetsgmppe
geläufig sind. Wenn ich gusa Beispiel im ObstgesehlÄ zwei
Bananen verlange» und der Verkäufer gibt mir sek Taschentuch, kann ich kam® von Gewinn spreche». Hingegen werde
ich die sprachliche ImteraMon als erfolgreich betrachten, wenn
meine Äußerung» „Zwei Bananen“, bei dem Verkäufer eine
Vorstellung fesrvomift, die der meinen ähnlich genug ist» um
iha hi befähigen, aas der vorliegenden Me#g® unterschiedlicher Früchte das auszuwiMes, was ich verlangt feste. Für mich
sind diese mit Wörtern assoziiertem (mentalen) Vorstellungen
das, was ich „Bedeutung“ nenne.
((122)) In meinem Modell» wie übrigens auch bei Fisget. sind
Vorstellungen unerläßlich, und darem bin ich nicht einverstanden, daß ‘Konstruktion’ nichts anderes sein soll als
engineering ((3)). In meinem Modell bauen wir ums auf der
»nsomotosischea Ebene durch Abstraktion too Watandiiiiua-
gen (siehe A.a. FURTH) Vorstellungen vom Gegenständen
(Sessel, Apfel, Auto, usw.) auf; Bod auf der rein begrifflichen Eteae Operatiojispragramme» die ans abstrakte Begriffe (Teil,
Ganzes, Raum, Zeit, usw.) liefen. Gerade der Ingenieur, der
dauernd mit Begriffen wie Druck, Drehmoment» Beschleunigung, Fliehkraft, usw. arbeiten muß, wirf nicht viel Brauchbares konstraiereB» wenn die mentalea Operationen, die diese
Begriffa hervorträgem, ihm nicht geläufig sind.
((123)) TOBESCO hat selbstverständlich recht» wenn er bemerkt, da® KoasfruMvistniB keine Didaktik ist ((11)). Dis kea-
struktivistische Perspektive jedoch befähigt Lehrer, den Schülern autonomes Lernau zu «mögliche» und zu erleichtern.
((124)) VOLLMER berichtet, daß schon Platon die Auffassung wo®justified true belief im Theaitetos kritisiert hat ((3)).
Aach mir hat Platon Anstoß asm Nachdenken gegeben. Sokrates sagt einmal, er wisse» daß er suchte wisse, doch In manchen Dialogen zeigt er, da® er eine ganze Menge weiß. Widerspricht er sich? Ich glaube nicht. Br spricht aur von verschiedenen Sorten von „Wissen“, und Platon, der ja auch Politiker war» hat das zuweilen (absichtlich?) schlimm verwirrt.
Wovon Sokrates nid® zu wissen beteuerte» das war die Realität; wovon er viel weiß, das war die menschliche Erfahrung
and das, was man daraus abstrahiere® kams. Aus der Perspektive des RK ist diese Ttennasg unerläßlich. Bis erste Sorte ist
nicht rational« Wissen, sondern Metaphysik und Mystik. Allels die zweite Sorte ist das Wissen, von dem der RK sich zu
zeigen bemüht, daß es ohne unaachweisb» ontologische Anhaltspunkte aas der Erfahrung aufgetesst werden kann. Dieses Wissen gibt der RK keineswegs auf» obschon es nie gang
sicher ist» doch er hütet sich, es „Erkenntnis“ ater „WaWseit“
zu nennen und anzunehmen» dal die ontisete Realität daraus
„rekonstruiert“ werde» könnte ((4)).
((125)) „Ordsiuagslos oder chaotisch ist die Welt offenbar
sticht“» schreibt VOLLMER. „Vseänsehr ist sie reich strukturiert; sie hat viele Ecke» und Kanten» ais deisea wir uns stoßen“ ((9)). Wem nasa mit Kant davon ausgeht, daß Raum und
Zeit nur die Anschauungsformen uoseres Elf äi»ns sind, dmn
wirf alle Vorstellung einer sttuktsmertem Realität hinfällig und
die blauen Flecken» die wir uns holen, rühren von den Ecken
sind Kasten, die unsere Weise des Erlebens hervorbringt.
((126)) VOLLMER erwähnt Watzlawicks „Gleichnis vom Kapitän, der bei Nebel eine Meerenge durchfährt wad auf die
Frage, wie die Küstenlinie verlaufe, mar antworten könne, wo
sie nicht sei”. Eff schließt ganz richtig, daß auch das ein Stick
Wissen ist ((13))- aber es ist Wissen über die Handlungsweise des Kapitäns (nämlich wo er unbeschadet segeln kamn),
nicht Wissen über die Küste. Ebenso würde ich sagen, wenn
es sich zeigest läßt, „warum die Welt, die wir kennen» nicht
zweidimensional, aber auch sicht vier- oder höterdisneasioaal
sein kaum“, darf man zweifellos vermuten, daB si® dreidimensional ist Doch das ist eine Aussage über die Welt» die wir
kennen, das heißt über die Welt unserer Erfahrung. Es steht
dem hypothetischen Realismus &eä!ieh fei, auf Hrfefeningen
die Vermutung zu bauen, daß sie die Realität wabfheitsgetras
widerspiegelo (A.a. HÖFFMANN); doch mich drängt es da
zu fragen, inwiefern diese Vermutung ein Gewinn sein soll.
((127)) WESSE setzt an den Anfang ihrer Kritik das Motto:
„... di§ Geschichten der Wissenschaft sind nicht immer gleich
gut“ ((0)). Das gilt auch für Diskussionsargumente und kritische Bemerkungen. In ihrem dritten Absatz zitiert WEBER
einige Aussagen von mir aus dem Hauptartikel und aus einem
Buch, die sich noch kürzer zusammenfassen lassen. Erstens:
Realität ist eine Fiktion; zweitens: Ob unsere Vorstellungen
Dinge an sich repräsentieren, können wir nicht herausfinden.
- Die erste Aussage wurde im Zusammenhang mit „Rednern
und Autoren" gemacht, die dem, was sie behaupten, „den Anschein absoluter Gültigkeit“ verleihen möchten. Das Wort
„Fiktion“ kommt im kritisierten Artikel nicht vor und wo ich
es anderwärts verwendet habe, bezieht es sich, soweit ich mich
erinnere, auf „heuristische Fiktionen“ im Sinne Kants oder
auf Literatur. Die zweite Aussage ist eine Variante der im Artikel öfters gemachten Behauptung, daß wir von der Realität
nichts wissen können. WEBER sieht darin „sowohl eine höchst
metaphysische als auch ontologische Aussage ((4)). Nun, daß
Negationen nicht als Grundlage für die Zuschreibungen positiven Wissens dienen können, ist längst bekannt Darum macht
mir der Vorwurf, Metaphysik und Ontologie zu betreiben, keine
Angst solange er nur damit begründet wird, daß ich verleugne, etwas von diesen geheimnisvollen Gebieten zu wissen. Daß
die Kritikerin mich dann angesichts eben dieser .radikalen“
Trennung von Wissen und unergründlicher Realität monistischer Ambitionen verdächtigt, ist verwunderlich, denn oft wird
mir gerade deswegen Dualismus vorgeworfen.
((128)) In Bezug auf die These, daß „naiv-realistische Theorien ... sich höchstens in vulgären und altbackenen Varianten
des Marxismus, Behaviorismus oder Funktionalismus finden“
((5)), siehe meine A.a. Eckes.
((129)) WEBER beklagt meine Geringschätzung der, jntersub-
jektive(n) Verständigung“ ((10)), bemüht sich selber aber
kaum, meinen Gedankengängen zu folgen. So unterschiebt sie
mir „ein ängstliches Bemühen... Widersprüche und Konflikte
zwischen der eigenen kleinen subjektiven Welt und den ‘Tatsachen’, dem Nicht-Ich zu glätten“ ((11)). Daß Tatsachen auf
Deutsch und auf Lateinisch - wie Vico schon lange vor Mach
bemerkte - vom Tun oder Machen kommen und von den Erlebenden in der eigenen Erfahrung gemacht werden, ist eine
Auffassung die im Hauptartikel nicht besonders versteckt war.
Demnach geht es mir nicht darum, Konflikte mit dem „Nicht-
Ich“, sondern Widersprüche zwischen Begriffen, Theorien und
Anschauungen im Denken zu vermeiden.
((130)) ZAHN erklärt, daß „zahlreiche interessante Details
(meines Artikels) (s)eine Zustimmung finden“ ((1)), weist aber
in mehr als der Hälfte seiner neunzehn Paragraphen auf meine Verwendung von Wörtern und Ausdrücken hin, die er für
schwer verständlich, metaphorisch oder unangebracht hält Aus
seinen jeweiligen Ausführungen (in Form von Fragen) entnehme ich, daß es ihm anscheinend darum ging, mein Modell
in die Begriffswelt des .Methodischen Konstruktivismus“ zu
übersetzen, wo es sich dann als unmethodisch erweist. Da ich
das Erlanger/Marburger Programm nicht gut genug kenne,
kann ich nicht beurteilen, inwieweit ich seiner Definition von
„Methode“ zustimmen würde. In seinen Ausführungen sind
auf jeden Fall Punkte, die mich nicht überzeugen. Etwa die
Frage: „Wie ist es zJB. zu verstehen, daß auf der Netzhaut der
Augen Bilder von Oberflächenteilen von Körpern entstehen?“
((3)). Ich würde sagen, zu Bildern kommt es, wenn eine Aufmerksamkeit dank ihrer Bewegung minimale Signalkompositionen, die von den vier Neuronenschichten in der Netzhaut
zusammengeschaltet werden, zu Mustern verbindet, die dem
jeweiligen Bewußtsein sinnvoll erscheinen. Da ich annehme,
daß dieser Vorgang bei der Versuchsperson, der als „Stimulus“ z.B. ein weißes Kreuz gezeigt wird, der gleiche ist wie
bei dem Neurophysiologen, der ihre Gehirntätigkeit mißt und
registriert, wundert es mich nicht, daß er in der Registration
das gleiche Bild sehen kann, das er wahmimmt, wenn er auf
die Stimuluskarte schaut.
((131)) Leider habe ich im Rahmen dieser Replik nur Platz, auf
eine von ZAHNs weiteren sechs oder sieben Fragen einzugehen. Er stößt sich daran, daß ich den Ausdruck „ontologische
Realität“ benütze ((14)). Obschon auch ich diese Wortkombination als pieonastisch betrachte, fügte ich „ontologisch“ zur
Realität, weil viele Autoren eine in der deutschen Sprache mögliche Unterscheidung nicht ausnützen und die Wörter .Realität“ und „Wirklichkeit“ austauschbar verwenden, (siehe z.B.
die Kritiken von ECKES (9), KÖNIG (3, 6), LAUS (5-6),
LÜTTERFELDS (3,6,14 u.a.). Ich bemühe mich, „Wirklichkeit“ zu benützen, wenn ich von der Welt sprechen will, die wir
auf Gnind von Erfahrung und Reflexion konstruieren und zu
der die beiden Bereiche gehören, die Jakob von Uexküll (1934)
.Merkwelt“ und „Wirkwelt“ genannt hat. .Realität“ hingegen
reserviere ich für das, was Ontologen beschäftigt, d.h. eine
Welt, die unabhängig von unserem Erleben „existieren“ soll.
Schlußbemerkung
((132)) Die Auseinandersetzung mit drei Dutzend Kritikern,
die durchwegs mehrere Argumente vorbrachten, war ein erschütterndes Erlebnis sowohl im negativen als auch im positiven Sinn. Viel von dem, was mir als .Mißverständnis“ erschien, muß ich zweifellos auf Mängel in der Darstellung meiner Ideen zurückführen. Offensichtlich muß ich noch einiges Lernen, um z.B. zu verhindern, daß dem RK trotz meiner häufigen Dementis der Anspruch auf Ausschließlichkeit zuge-
schrieben wird. Daß das so schwer zu vermeiden ist, beruht
m.E. zuweilen auch auf der allgemeinen Voraussetzung, daß
nicht nur in der Politik, sondern eben auch in der Philosophie,
jeder vor allem darauf abzielt, die „Wahrheit“ seiner Anschauungen zu beweisen. Der wiederholte Hinweis, daß mein Artikel den RK nicht als veimeinüiche Wahrheit präsentieren wollte, sondern als Vorschlag, hat da wenig geholfen.
((133)) Am meisten überrascht hat mich, daß kaum einer auf
die von Ceccato übernommene diagrammatische Analyse von
Begriffen kritisch eingegangen ist; sie ist für mich eine wichtige Komponente des RK.
((134)) Zum Schluß möchte ich nicht nur nochmals allen Beteiligten für eine durchwegs interessante Diskussion danken, sondern auch der Zeitschrift Ethik und Sozialwissenschaften meine Bewunderung dafür aussprechen, daß sie diesen Meinungsaustausch in die Wege geleitet und so vorbildlich organisiert hat. Diese Erfahrung hat mich mit Nachdruck von der Viabilität des angeblichen Ausspruchs von Friedrich dem Großen überzeugt: „Jeder solle auf seine Fasson seligwerden“.
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Anmerkungen
- ↑ Als ich vor fünfundzwanzig Jahren in den Vereinigten Staaten den Auftrag bekam, Seminare über Piaget's Genetische Epistemologie zu leiten, stellte ich fest, daß die einschlägige Literatur im englischen Sprachbereicb mit wenigen Ausnahmen den revolutionären Aspekt dieser Wissenstheorie verschleierte oder völlig ignorierte. Fast durchwegs wurde der Eindruck erweckt, Piaget spreche von Konstruktivismus, weil Kinder das Wissen der Erwachsenen nur schrittweise und in einer Folge von Stadien auf- zunehmen fähig sind. Die Tatsache, daß Piaget’s Ansatz das Verhältnis von Wissen zur realen, ontischen Welt grundsätzlich abändeit, wurde durchwegs verschwiegen. Da Sokrates bereits überzeugend dargelegt hatte, daß Lernen nur in kleinen Schritten vor sich geht, nannte ich den verwässerten Konstruktivismus 'trivial' und den von Piaget erfundenen ‘radikal’.
- ↑ Ich verwende das Wort „Modell" im Sinne der Kybernetik, d.h. es bezeichnet ein hypothetisches Konstrukt, das dem beobachtbaren Verhalten eines Gegenstandes (Black Box) entspricht, dessen interne Organisation dem Beobachter unzugänglich ist.
- ↑ Eine ausgezeichnete neue Bewertung and Erläuterung von Machs Werk findet man in R.Haller & F.Stadler (1988).
- ↑ Jerome Bruner ist der Ansicht, daß Piaget „sich trotz seiner konstruktivistischen Epistemologie, doch an Überbleibsel eines naiven Realismus klammerte" (1986, S.98). Ich halte das für unvereinbar mit den vielen Stellen in Piagets Werk, wo er das klare Verständnis an den Tage legt, daß Anpassung keineswegs die Repräsentation einer ontologischen Realität impliziert.
- ↑ Selbst wenn, wie einige Biologen annehmen, ungünstige Umweitbedingungen die Frequenz von Mutationen steigern, bestimmen sie nicht den Charakter der einzelnen Veränderungen.
- ↑ Psycholinguisten, die das im englischen Sprachbereich beobachtet haben, nennen spontane Benennungen dieser Art "labeling".
- ↑ Da Piaget diese Beschreibung im Zusammenhang mit den berühmten Experimenten über Objektpermanenz gibt, spricht er nicht von Verschwinden, sondern von Verdeckung durch visuelle Hindernisse.