Annotationen:Henk Goorhuis – Die Konstruktion der Erleuchtung

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((5)) Eine erste Begrenzung der Theorie liegt meiner Meinung nach in dem fehlenden Schluss, dass auch die Ueberprüfung, ob ein Konzept viabel ist oder nicht, wieder von derselben kognitiven Struktur vorgenommen werden muss, wie diejenige, welche das Konzept überhaupt entworfen hat. Dies stellt das Modell von Mach in Frage ((27)), der behauptet, kognitive Strukturen könnten einerseits von Tatsachen widerlegt werden oder miteinander in Konflikt geraten. Die entscheidende Frage ist doch dann, wie diese Unterscheidung festgestellt werden kann. Heinz von Foerster schlägt in seiner Variante des Konstruktivismus (z.B. Foerster 1993) vor, dass dies wohl oder übel wieder mit derselben kognitiven Struktur geschehen muss. Hier ist meines Erachtens die Annahme einer vollständig geschlossenen Zirkularität der Kognition nützlich. Oder wie Maturana und Varela es schreiben: „Each person finds himself in a completely closed and circular Situation“ (Maturana/Varela 1987). ((6)) Den Begriff der Viabilität habe ich deshalb in meinem Umgang mit dem Konstruktivismus dahingehend erweitert. Was nicht viabel ist, scheint sich bei Glasersfeld an irgendetwas stossen zu können, was NICHT aus derselben kognitiven Struktur stammt. Ich habe bessere Erfahrungen gemacht mit der Annahme, dass auch die Viabilität wieder nur von den gleichen kognitiven Strukturen begrenzt oder verhindert werden kann wie die Strukturen, welche das Modell, die Theorie bzw. das Wissen zuvor herstellten. Beide Annahmen lassen sich natürlich weder beweisen noch widerlegen, was auch nicht der Sinn der Sache wäre. Wenn nun also etwas nicht funktioniert, d.h. eine Hypothese oder ein Modell nicht viabel ist, liegt dies eben gar nicht an irgendeinem gegebenen Sieb ((28)), welches selektiert, sondern ausschliesslich am System selbst. Oder auf den Menschen bezogen: Wenn ein Mensch mit einer Hypothese auf Probleme stösst, liegt das an diesem Menschen und nicht an einer Aussenwelt, welche nicht zur Hypothese passt. Der grosse Vorteil dieses Modells scheint mir, dass sich das Subjekt nicht mehr als Opfer einer Welt wahrzunehmen braucht, die immer wieder anders ist als angenommen.
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((7)) Die Form des Konstruktivismus, wie sie Glasersfeld beschreibt, hat für mich also dahingehend einen zentralen Nachteil, das es ein ewiges Bemühen bleibt, ständig bessere viable Modelle bilden zu müssen. Das Modell geht von Perturbationen aus, wie wenn dies eine unabänderliche Tatsache wäre. Die frühere Suche nach Wahrheit wird ersetzt durch die jetzige Suche nach möglichst viablen Modellen, welche geeignet auf die ewigen Perturbationen - seien sie von Innen oder von Aussen - reagieren lassen. Diese müssen dann wieder ständig dieser unbekannten Aussenwelt angepasst und revidiert werden. Diese Grundannahme könnte - in konstruktivistischer Weise - im Lebensgefühl des Autors begründet liegen. Die ganze Sache bleibt also ein endloses Bemühen um Stabilität und das scheint mir nicht alle Möglichkeiten auszuschöpfen, wie ich weiter unten aufzeigen möchte.
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((9)) Wenn nun aber die Kognition als vollständig zirkulär angenommen wird, gibt es die Möglichkeit von selbstreferentiellen Modellen, welche sich selber stabilisieren. Es sind natürlich Weltkonzepte denkbar, welche nicht mehr angepasst oder überprüft werden müssen, da sie gar nicht über eine Welt definiert sind. Das ist zum Beispiel der Weg einiger Religionen; die Welt wird über einen unsichtbaren Gott definiert, dann sind Aussagen möglich, welche nicht mehr überprüfbar sind und auch nicht überprüft werden müssen, wie z.B. „Alles ist Gottes Plan und dieser Plan ist unergründlich“. Solche Weltkonzepte sind unanfechtbar und daher ewig stabil, sie sind sozusagen „superviabel“, falls man sie wirklich internalisiert hat. Mir persönlich liegen religiöse Konzepte in dieser dogmatischen Form etwas weniger. Aber auch sie müssen meines Erachtens ganz nach konstruktivistischer Manier nicht in ihrem Wahrheitswert sondern in ihrer Wirksamkeit bzw. in ihren Auswirkungen auf den Alltag überprüft werden. ((10)) Einen anderen Weg gehen die selbstreferentiellen Konzepte. Das sind Modelle, welche sich auf sich selbst beziehen. Ein negatives Beispiel ist die Depression: „Alles was mir geschieht ist zu meinem Nachteil“. Ein hochviables Modell, denn es muss nie an Perturbationen angepasst werden: Es funktioniert immer. Aber natürlich ist es nicht zu empfehlen. Eine andere Möglichkeit ist der Wahn, z.B. „Ich bin Napoleon, aber alle sind zu dumm, um es zu merken“. Auch dieses Modell übersteht alle Perturbationen. Persönlich glaube ich, dass es möglich ist, positive selbstreferentielle Modelle zu konstruieren, welche nicht mehr den Perturbationen des Lebens unterliegen – falls man das will natürlich.
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((13)) Der buddhistische Begriff der Leerheit bedeutet, dass es keine vom Geist unabhängige Existenz, also nichts wirklich, objektiv existierendes gibt. Die Verwandtschaft zum Konstruktivismus ist offensichtlich. Nur ist das im Buddhismus in letzter Konsequenz keine Einladung um Weltsichten zu reflektieren, sondern eine Methode um sich von jeder Weitsicht zu lösen. Das Aufrechterhalten jeglicher Welt- und Selbstsicht bedarf einer ständigen Anstrengung und wird der Kreislauf des Leidens (Samsara) genannt. Bei jeder Auflösung von Vorstellungen setzt sich deshalb Energie frei. Wenn auch die letzte Vorstellung von sich und der Welt aufgegeben wurde, ist der Mensch erleuchtet (Gyatso 1996). Einen ähnlichen Beitrag kann der Konstruktivismus liefern, da er in sich selbst schon selbstreferentiell ist: er stabilisiert sich sozusagen selbst, er kann weder widerlegt noch bewiesen werden, er ist selbst auch einfach eine Konstruktion. Er ist nach meiner Erfahrung deshalb sehr viabel und führt zu einer ständigen Reflexion über die Unterscheidungen, welche man selbst über die Welt hat. Da jedes Weltmodell auf Unterscheidungen aufbaut, sind eigentlich alle Unterscheidungen fiktiv und in letzter Konsequenz überflüssig: auch die Annahme, dass man überhaupt ein Weltmodell braucht, baut auf einer ersten Unterscheidung auf, welche überwunden werden kann (Gyatso 1998, Goorhuis 1998). Der Konstruktivismus führt daher in meiner Erfahrung unausweichlich in die Welt der Paradoxien, wenn man ihn konsequent genug anwendet: wenn alles (m)eine Konstruktion ist, gilt dies auch dafür, dass gewisse Modelle bzw. Theorien viabel sind und andere nicht. Auch diese Unterscheidung beruht wieder auf Unterscheidungen, an welchen die Viabilität selbst gemessen wird. Jede Konstruktion von Wirklichkeit ist in sich selbst deshalb selbstbezüglich und damit letztlich überflüssig.