Annotationen:Peter Faulstich – Viabilität statt Wahrheit, Biologie statt Ontologie

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ArgumentationFremd
((4)) Es wird aber zunächst grundsätzlicher, indem der Erkenntnisbegriff aufgegriffen wird. Dabei setzt sich v.G, ab gegen repräsentationstheoretische Positionen, welche eine

“Welt an sich” erkennen wollen: Allerdings bleibt der Gegner eher im Schatten, weil unklar bleibt, wer mit “der herkömmlichen Erkenntnistheorie” ((1)) gemeint ist und nicht benannt wird, wer denn heute noch eine solch naive Vorstellung ernsthaft vertritt- Eine derartige von v.G. als „traditioneller Begriff von Erkenntnis“ unterstellte Hoffnung ist schon lange, schon – wie v.G. selbst zitiert – seit den Vorsokratikern aufgegeben.

Als Zentrum der eigenen Überlegungen wird dann formuliert: “Wissen soll nicht als Widerspiegelung oder ‘Repräsentation’ einer vom Erlebenden unabhängigen, bereits rational strukturierten Welt betrachtet wenden, sondern unter allen Umständen als interne Konstruktion eines aktiven, denkenden Subjekts” ((1)). In dieser Formel und vor allem in dem rigorosen “nicht ... sondern” stecken alle komplizierten Probleme einer zweieinhalbjahrtausende alten Debatte um das Verhältnis von Sein und Bewußtsein und diese verworrenen Knoten scheinen nun mit dem Schwert radikal-konstruktivistischer Pose durchgehauen. Spätestens hier wäre zu fragen, ob dies nicht die Subjekt-Objekt-Dialektik auf neuer Ebene reproduziert, indem man sich auf die Seite des Subjekts schlägt und damit das eigentliche Problem, nämlich das der Vermittlung, ausblendet.
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((7)) Bei genauerem Hinsehen wird Erkenntnistheorie ersetzt durch Erkenntnisbiologie. V.G.s Auseinandersetzung mit dem Begriff der Anpassung erscheint inkonsistent. Wie kann man, nachdem „Erkenntnis“ konstruktivistisch reformuliert wurde, zustimmend Ernst Mach zitieren mit “Anpassung der Gedanken an die Tatsachen und an einander” ((24))? Auch wenn später präzisiert wird, daß es nur um die Tatsachen der Erfahrung geht ((32)), ist dies doch genau die positivistische Position, die eigentlich kritisiert werden soll. Zwischen Mach und Piaget, der dann als Hauptkronzeuge aufgerufen wird ((25- 35)), liegen Welten. Von der hohen Warte des Radikal-Konstruktivismus verschwinden die Differenzen. Sicherlich haben die zentralen Prinzipien bei Piaget - Assimilation und Akkomodation - etwas mit der Frage der Anpassung zu tun, ihre Besonderheit im Kategoriensystem liegt aber gerade in ihrem Wechselspiel. Wie man radikal-konstruktivistisch das “unerwartete Resultat” ((35)) als Anstoß zum Lernen einführen kann, ist mir nicht nachvollziehbar.
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((8)) Deshalb bleibt dieser Argumentationsstrang letztlich biologistisch reduziert. Zunächst wird hart darwinis tisch konstatiert: “Kurz, alles, was überlebt, war schon im Vornherein an die Bedingungen angepaßt, durch die die natürliche Auslese nun das Nichtangepaßte vernichtet.” ((26)) Die Konstruktivität dieser These liegt auf der Hand. Zwar wird dies für kognitive Systeme relativiert und anstelle des Begriffs Auslese das Prinzip der Viabilität eingeführt ((27)). Unter der Hand aber wird die “Gangbarkeit” weiterer Systemevolution doch zu einer formalen, quasi-ontologischen Zielgröße. “Viabilität” scheint naturgegebenes, allgültiges Systemprinzip. Hier zeigt sich die Fatalität, welche aus der Abstraktheit systemtheoretischer Begrifflichkeit resultiert. In den durch die Metapher ermöglichten Analogien zwischen Systemen unterschiedlichster Art verschwindet deren Qualität. Das Wesen menschlichen Handelns, seine ungeheure Differenz gegenüber Verhalten von Organismen wird unterschlagen. (Die Begriffe Qualität und Wesen sind selbstverständlich radikal-konstruktivistischer Terminologie fremd.) Der Mensch kann bewußt sterben wollen; die biologische Überlebenswahrscheinlichkeit wird dem Individuum gleichgültig und nichtig gegenüber humanem Sinn.
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((9)) Nachdem noch die Bezüge zur Kybernetik durchforstet worden sind, wird von v.G. als Zusammenfassung und Gebrauchsanweisung herausgestellt: “Der Begriff der Viabilität

ersetzt jenen der ontischen Wahrheit...” ((58)). Damit sind wir also bei des Pudels Kern: “Im konstruktivistischen Denken wird der Begriff der ontischen Wahrheit aufgegeben”((57)).

Und wieder wird das Ausgangsmißverständnis reaktiviert, als sei die Alternative ein objektivistischer Realismus, Dogmatismus oder Fundamentalismus. Daraus werden dann durchaus moralische und politische - radikalkonstruktivistisch äußerst fragwürdige und eigentlich unhaltbare - Schlüsse gezogen, als sei das Viabilitätsprinzip die epistemologische Basis von Toleranz und Demokratie ((62,63)). Vielmehr ist umgekehrt zu fragen, ob nicht v.G.s radikal-konstruktivistischer Utilitarismus und der ihm implizite Sozialdarwinismus durchaus ins neoliberaiistische Konzept passen, das mit einem radikalisierten Individualismus gegenwärtig als Legitimation universeller Konkurrenz die Fundamente der demokratischen Gesellschaften zerstört.
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((11)) Die Kennzeichnung des Radikal-Konstruktivismus als eine Spielart eines erkenntnistheoretischen Falsifikationismus verbunden mit moraltheoretischen Utilitarismus spitzt sich, wenn man die Probleme der Erziehungswissenschaft und besonders der Erwachsenenbildung im Auge hat, zu in der Frage nach der “Viabilität” des Konzepts für die Theorie dieses Wissenschaftsbereichs. Die Argumentationsfiguren des Radikal- Konstruktivismus unterstützen die “Gangbarkeit” von Theorie¬ varianten, welche auf einen Begriffe von Bildung und Aufklärung explizit verzichten. Zu fragen ist dann, was mit dem radikal-konstruktivistischen Programm angerichtet wird in der aktuellen ökonomischen und politischen Situation bezogen auf die Chancen persönlicher Identität und die Zukunft von Mündigkeit. “Viabilität” von Theoriekonzepten hinsichtlich ihrer Konsequenzen für die Chancen menschlicher Entfaltung ist aus “radikal-konstruktivistischer Sicht” als Relevanzkriterium wohl noch zulässig. Ob allerdings Begriffe wie Bildung und Aufklärung noch gefüllt werden können, erscheint fraglich