Annotationen:Rolf Todesco – Genetische Wissenschaftsgeschichte, Kollaboratives Lernen und Hyperkommunikation

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ArgumentationFremd
((3)) Ernst von Glasersfeld stellt sich und seinen Konstruktivismus, obwohl er dessen Subjektivität betont, in die Tradition der Wissenschaften. Man kann, und ich tue es, den Radikalen Konstruktivismus auch radikaler verstehen, nämlich nicht als Paradigmenwechsel innerhalb der Wissenschaft, sondern als Paradigma nach der Wissenschaft. Aus der Sicht des Radikalen Konstruktivismus lässt sich die Wissenschaft insgesamt als Paradigma der Diskussion um objektive Wahrheit interpretieren. Im für die Sache von Piaget recht seltsam gewählten Ausdruck „Konstruktion“ deutet sich unmissverständlich an, was wir heute Engineering nennen: wir konstruieren die Welt nicht unter Gesichtspunkten von Wahrheit, sondern von Viabilität.
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((7)) Es ist ein hervorragender Gebrauchswert des Radikalen Konstruktivismus, wissenschaftliche Texte als solche zu durchschauen. Es geht dabei aber nicht um eine Weiterentwicklung der Wissenschaften „durch eine schrittweise Einführung neuer, bewußter Voraussetzungen“ (EvG ((4))), sondern um die hegelsche Aufhebung jener Wahrheitsfindung überhaupt, welche Wissenschaften konstituiert. Die Kybernetik des Konstruktivismus untersucht nicht mehr ontologisch gegebene Realitäten, sondern den Kybernetiker (Beobachter), der solche Realitäten für-wahrnimmt. Genau deshalb nennt Heinz von Foerster, einer der besten Freunde von Ernst von Glasersfeld, denKonstruktivismus Kybernetik der Kybernetik (Second Order Cybernetics). Mit der Systemtheorie von Wiener und Shannon hat das so viel oder so wenig zu tun, wie Marx mit Hegel. Die radikale „Entdeckung“, dass das „operationell geschlossene System“ von Powers (EvG ((37))), das sich nicht mit seiner Umwelt sondern mit sich selbst beschäftigt, insbesondere die Kybernetiker Wiener, Shannon und Powers selbst beschreibt, ist etwas, was sich diese Herren kaum träumen liessen, geschweige denn, jemals auch nur ansatzweise formuliert hätten.
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((9)) Ernst von Glasersfeld hat seinen Artikel mit „Wissenstheorie" überschrieben. Egal was Wissen ist, ein Teil davon zeigt sich in Texten, oder genauer gesprochen, darin, welche Texte(teile) durch welche ersetzbar sind. Wenn wir in einem Gespräch den andern nicht verstehen, also umgangssprachlich gesprochen nicht „wissen“, was der andere meint, arbeiten wir mit solchen Ersetzungen. Ein Wort wird „erklärt“, indem man andere Wörter dafür angibt, auch wenn zweifelsohne stimmt, dass man Wörter überhaupt so nicht einführen kann(EvG ((38f))). Für „Tisch“ kann man je nach Kontext sagen:ein Möbel; eine Platte mit Beinen; das, was wir gestern gekauft haben; table; desk; das da; usw. Immer wird eine Buchstabenkette durch eine andere ersetzt. Einen anderen Menschen verstehen heisst in diesem Sinne, wissen, welche Ersetzungen er in welchen Situationen machen oder zulassen würde. Was sich der je andere dabei denkt, ist im strengen Sinne des Wortes unerheblich, nicht erhebbar, weil jedes Nachfragen wieder nur durch Worte ersetzt werden kann. „Wörter befördern ihre Bedeutung nicht“ (EvG ((38))). Ich kann nicht wissen, was die andern wissen, ich kann diesbezüglich nur in Erfahrungen bringen, welche materiellen Texte und Textersetzungen sie unabhängig von den Bedeutungen, die dieseTexte für mich haben, akzeptieren und welche nicht. Jene Sozialpsychologen, von welchen Ernst von Glasersfeld sagt, sie hätten recht „wenn sie sagen, daß die Bedeutungen von Wörtern in der Gesellschaft ‘ausgehandelt’ werden“ (EvG ((42))), haben radikal gesehen überhaupt nicht recht. Wir verhandeln nicht die Bedeutung von Wörtern, wir lernen durch Akkommodation (EvG ((35))), welche Wörter wir - unabhängig von ihrer Bedeutung - wann mit Gewinn verwenden können. Das Kleinkind, das in bestimmten Situationen Tasse statt Tassen sagt sieht eben in der Reaktion seiner Umwelt, wozu insbesondere auch seine Mutter gehört, dass es besser Tassen gesagt hätte, und zwar auch jenseits davon, ob es Dinge an sich oder mentale Operationen unterscheidet (EvG ((46))).
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((10)) Sprachliches Lernen ist ein kollaborativer Prozess, in welchem es nicht darum geht, dass Wissen von einigen, die es haben, an andere, die es wollen, übermittelt wird, sondern darum, dass die an der Kollaboration Beteiligten gemeinsam erforschen, welche Texte in ihrer gemeinsamen Praxis für alle viabel sind. Dabei geht es darum, einen gemeinsamen physisch-materiellen Text im engen Sinne des Wortes zu konstruieren. Das gemeinsame ist der Text als externes Gedächtnis (Keil-Slawik) und keinesfalls irgendeine Bedeutung des Textes. Das Wissen der Lerngemeinschaft existiert als dynamischer Text, der von den Beteiligten kollaborativ, jenseits vonBedeutungen, die der Text für den Einzelnen bat, weiterentwickelt wird, wiewohl der Einzelne den Text natürlich gemäss den Bedeutungen, die er für ihn hat, erzeugt. Natürlich kann man dann auch nicht an „richtigen“ und „falschen“ Interpretationen des Textes interessiert sein oder daran, dass die am Lernprozess Beteiligten alle das gleiche lernen.
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((11)) ln diesem Sinne ist Konstruktivismus auch keine Didaktik, sondern die Aufhebung jeder Didaktik, was wohl in der bereits erwähnten Relativierung von Ernst von Glasersfeld angedeutet ist. Didaktiken sind darauf hin angelegt, das Lehren zu optimieren. Wo in Didaktiken verschleiernd vomLernen die Rede ist geht es immer um das trivialisierende „Lernen“, das der Lehrer kontrolliert nicht um das Lernen, das von Ernst von Glasersfeld mit dem Begriff der Akkommodation beschrieben wird (EvG ((35))).