Text:Die Radikal-Konstruktivistische Wissenstheorie

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in: Ethik und Sozialwissenschaften 9 (1998), Heft 4, hrsg. v. Frank Benseler, Bettina Blanck, Rainer Greshoff, Reinhard Keil-Slawik, Werner Loh. © Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen 1998

Contents

Zusammenfassung

Die epistemologische Stellungnahme, die ich in meinen Büchern ausgeführt habe, wird hier kurz zusammengefaßt. Die Herkunft der konstruktivistischen Wissenstheorie aus vier Quellen die Tradition des Skeptizismus, Piagets Genetische Epistemologie, Ideen der Kybernetik und operationale Analyse der sprachlichen Kommunikation wird erläutert und die konstruktivistische Orientierung im grundlegender Begriffe wird an Hand von einigen Beispielen gezeigt.

Summary

The paper is a brief exposition of the epistemological position I have presented in a number of books. The four sources of the constructivist theory of knowing are explained: The tradition of scepticism, Piagel's Genetic Episiemology, cybernetical ideas, and the operational analysis of linguistic communication. The constructivist method of conceptual analysis is demonstrated with some basic examples.

Die Radikal-Konstruktivistische Wissenstheorie (Ernst von Glasersfeld)[1]

((1)) Das Wort 'Erkenntnis' deutet daraufhin, daß etwas, das bereits vorhanden ist, wahrgenommen wurde und von nun an als bekannt, gewußt und darum als unabänderlich betrachtet wird. In der herkömmlichen Erkenntnistheorie der abendländischen Welt ging es dabei immer um die Erkenntnis einer Welt an sich, das heißt einer Welt, so wie sie ist, bevor der Erkennende sie berührt und durch seine Erkundung gestört oder verändert hat. Das Wissen, das solche Erkenntnis hervorbringt, soll von den Eigenschaften und Vorurteilen des Subjekts unabhängig und darum im ursprünglichen Sinne des Wortes 'objektiv' sein. Der radikale Konsruktivismus bricht mit dieser Auffassung und schlägt vor, den traditionellen Begriff des Erkennens aufzugeben. Wissen soll nicht als Widerspiegelung oder 'Repräsentation' einer vom Erlebenden und abhängigen, bereits rational strukturierten Welt betrachtet werden, sondern unter allen Umständen als interne Konstruktion eines aktiven, denkenden Subjekts.

((2)) Es ist klar, daß die Annahme dieses Vorschlags einen tiefgreifenden Umbau herkömmlicher Begriffe und gewohnter Gedankengänge erfordern würde, und daß darum nicht nur eine solide Begründung, sondern auch eine plausible Darstellung der zu erwartenden Vorteile nötig ist.

((3)) Ich habe versucht, diesen Ansprüchen in meinem Buch Radikaler Konstruktivismus: Ideen, Ergebnisse, Probleme (1996) einigermaßen gerecht zu werden. im Umfang eines Artikels kann ich bestenfalls einige der Hauptpunkte darstellen und die wichtigsten Aspekte der konstruktivistischen Denkweise skizzieren. In den folgenden Seiten will ich die vier Quellgebiete anführen, aus denen mein Denken erwuchs, und zum Abschluß einige der Anwendungen erwähnen, die mich überzeugt haben, daß die gewonnene Orientierung tatsächlich brauchbar ist.

Epistemologischer Untergrund

((4)) Wer eine Theorie oder ein erklärendes Modell bauen will, muß Voraussetzungen machen, und diese Voraussetzungen liegen und bleiben außerhalb des Erklärungsbereichs, des theoretischen Baus. Man kann die Geschichte der Wissenschaft als eine schrittweise Einführung neuer, bewußter Voraussetzungen betrachten, die anstelle der vorherigen unbewußten eingesetzt wurden.

((5)) Als die ersten Menschen in den Himmel schauten, taten sie es nicht als Wissenschaftler. In ihrem Denken gab es keine Konventionen der Beobachtung, kein Weltall, und sie empfanden sich nicht als unabhängige Beschauer. Sie lebten und schauten ohne Voraussetzungen. Erst als sie anfingen Erlebtes im Rückblick reflektierend zu betrachten, begannen sie, Unterschiede und Gleichheiten festzustellen, So kamen sie darauf, gleichförmige Erlebnisse als eigenständige, körperliche 'Dinge' zu isolieren, Beziehungen zwischen ihnen zu denken und Bewegungen zu vermerken. Sie sahen Sonne und Mond an bestimmten Punkten des Horizonts aufgehen und steigen, und dann an entgegengesetzten Punkten sinken und untergehen. Alle 'Himmelskörper' schienen eine ähnliche Runde zu machen - die Sonne bei Tag, der Mond und die Sterne bei Nacht. So lag die Annahme nahe, daß sie einen Kreis beschrieben und daß die wahrnehmenden Zuschauer auf dem festen Boden der Erde im Mittelpunkt einer Himmelskugel standen. Das schien so selbstverständlich. daß es keiner ausdrücklichen Erwähnung bedurfte.

((6)) In der Tat dauerte es viele Jahrtausende, bis diese Annahme als fraglich betrachtet und durch das heliozentrische Weltbild ersetzt werden konnte. Und nach knapp vierhundert Jahren wurde dann auch der Sonne ihre zentrale Stellung im Weltraum abgesprochen.

((7)) Das ist nur ein Beispiel aus einer langen Folge aufgegebener Voraussetzungen. Doch erst in unserem Jahrhundert, das nun zu Ende geht, haben Wissenschaftler einzusehen begonnen, daß ihre Erklärungen der Welt stets auf Begriffen beruhen, die der menschliche Beobachter formt und seinen Erlebnissen aufprägt.

((8)) Albert Einstein hat das in einer frappanten Metapher ausgedrückt:

Physikalische Begriffe sind freie Schöpfungen des Geistes und ergeben sich nicht etwa, wie man sehr leicht zu glauben geneigt ist, zwangsläufig aus den Verhältnissen in der Außenwelt. Bei unseren Bemühungen, die Wirklichkeit zu begreifen, machen wir es manchmal wie ein Mann, der versucht, hinter den Mechanismus einer geschlossenen Taschenuhr zu kommen. Er sieht das Zifferblatt, sieht, wie sich die Zeiger bewegen, und hört sogar das Ticken, doch er hat keine Möglichkeit, das Gehäuse aufzumachen. Wenn er scharfsinnig ist, denkt er sich vielleicht einen Mechanismus aus, dem er alles das zuschreiben kann, was er sieht, doch ist er sich wohl niemals sicher, daß seine Idee die einzige ist, mit der sich seine Beobachtungen erklären lassen. Er ist niemals in der Lage, seine Ideen an Hand des wirklichen Mechanismus nachzuprüfen. (Einstein & Infeld, 1950)

((9)) Die Idee, daß menschliche Beobachter die Begriffe, mit denen sie Erlebnisse und Erfahrungen erfassen, nicht entdecken, sondern erfinden, ist keineswegs neu. Protagoras, im 5. vorchristlichen Jahrhundert, erklärte bereits, „der Mensch sei das Maß aller Dinge"- Fünfzehnhundert Jahre später formulierte der irische Mystiker Briugena den Gedanken ausfilhrlicher:

Denn ebenso wie der weise Künstler seine Kunst von sich und in sich selbst schafft, so bringt der Verstand seine Vernunft von sich und in sich selbst hervor, in welcher er alle die Dinge, die er machen will, voraussieht und verursacht. (Periphyseon, Bd.2, 577a-b)

((10)) Eine derartige Auffassung konnte sich nicht entwickeln, solange die Menschen ausschließlich im gegenwärtigen Erleben lebten und das Bemühen, im Strom des Sehens, Hörens und Fühlens nicht völlig unterzugehen, für abstraktere Betrachtungen keinen Spielraum ließ. Erst als das Aufreten von Unstimmigkeiten oder Widersprüchen in den Versuchen, das Erleben zu steuern, Zweifel an der Verläßlichkeit der Sinne hervorrief, ist vermutlich die Frage aufgetaucht, ob hinter der Erfahrung eine 'Realität' läge und welcherart die Verbindung zwischen ihr und der Wahrnehmung sein könnte. Darum nehme ich an, daß es skeptische Erwägungen waren, die den ersten Anlaß zu epistemologischen Überlegungen gaben.

((11)) Wir wissen nicht wann das geschehen ist, doch es war jedenfalls lange vor Protagoras. Hunden Jahre vor ihm, hatte Xenophanes das schreckliche logische Problem bereits klar dargelegt. Selbst wenn es jemandem gelänge, schrieb er, sich die Welt so vorzustellen, wie sie wirklich ist, so könnte er doch nicht wissen, daß es ihm gelungen ist (vgl. Diels, 1957, Xenophanes Fragment 34).

((12)) Die Schlagkraft dieser Aussage beruht auf der Einsicht, daß die Richtigkeit oder 'Wahrheit' eines Weltbildes nur durch einen Vergleich mit der Welt an sich bestätigt werden könnte und daß dieser Vergleich für uns ausgeschlossen ist. Wir können unser Weltbild nur nit anderen Vorstellungen vergleichen, die wie die erste auf unserem Erleben beruhen und somit durch unsere Art und Weise des Wahrnehmens und Begreifens gebildet wurden. Alles Wissen unterliegt dieser Bedingung, denn was immer wir auch tun, wir können aus unseren Formen des Erlebens und Denkens nicht aussteigen.

((13)) Die Frage, wie unsere Wahrnehmungen und unsere Begriffe mit einer von uns unabhängigen Welt zusammenhängen, ist darum rational unbeantwortbar. Wir können freilich versuchen, die unergründliche Lücke durch metaphysische Postulate zu schließen - wie etwa Descartes, als er vorschlug, Gott könne nicht so boshaft gewesen sein, uns mit trügerischen Sinnen auszustatten. Doch metaphysische Annahmen sind Sache des Glaubens und nicht der vernunftnäßigen Überzeugung. Auch Argumente der Plausibilität oder Wahrscheinlichkeit sind im Bezug auf metaphysische Annahmen wirkungslos, denn es gibt keinen Grund, weswegen das, was uns plausibel oder wahrscheinlich dünkt, einer objektiven Realität angemessen sein sollte.

((14)) Das logisch unanfechtbare Prinzip der Skeptiker, nämlich daß wir eine Welt jenseits unserer Sinne und Begriffe nicht 'erkennen' können, war ein peinliches Hindernis in der Suche nach einem 'wahren' Weltbild. Doch gerade die Verneinung trug dazu bei, solche Erkenntnis anziehender zu machen und den Wert des praktischen Wissens, das wir tagtäglich benützen, herabzusetzen.

((15)) Diese Entwertung der Praxis ist meiner Ansicht nach auch der Grund, weswegen Einsichten der Empiristen Locke, Berkeley und Hume von den meisten nachfolgenden Philosophen mißachtet und übergangen wurden. Alle drei haben wichtige Aspekte eben jenes Wissens beleuchtet, das der handelndeMensch auf Grund der Erfahrung autbaut und täglich benützt.

((16)) John Locke führte die Entstehung unserer Ideen auf zwei Quellen zurück: Einerseits die Sinne, andererseits die aktive Reflexion des Subjekts über seine eigenen mentalen Operationen (Locke, 1690, Book 11, Chapter I , 4). Von den ersten sagte er, es sei nur „unsere Einbildung, daß diese Ideen etwas abbilden, das in den Dingen an sich tatsächlich existiert" (ibid. Chapter 8, 25). Von der zweiten Gruppe, also von den Ideen, die der Reflexion entspringen, gab er eine Liste (Masse, Fom, Zahl, räumliche Lage, Bewegung, Ruhe) und behauptete, daß sie im eigentlichen Sinn reale, ursprüngliche oder primäre Eigenschaften genannt werden können, weil sie den Dingen an sich angehören, gleichgülüg ob wir die Dinge wahrnehmen oder nicht (ibid. 23).

((17)) Fünfzehn Jahre später zeigte George Berkeley, daß die selben Argumente, die Locke benützt hatte, um die sinnlichen Eindrücke als illusorisch aufzuweisen, ebenso die Realität der primären Eigenschaften untergruben. Und in seinem philosophischen Tagebuch fügte Berkeley ein weiteres Argument hinzu, das mir noch gewichtiger erscheint:

Ausdehnung, Bewegung und Zeit schließen jeweils die Idee der Aufeinanderfolge ein. Die Zahl besteht in Aufeinanderfolge und dinghafte Wahrnehmung auch; denn gleichzeitig wahrgenommene Dinge werden im Geiste durcheinander geworfen und vermischt. Zeit und Bewegung können ohne Aufeinanderfolge nicht verstanden werden, und auch die Ausdehnung kann nur so vorgestellt werden, daß sie aus Teilen besteht, voneinander geschieden und hintereinander wahrgenommen. (Berkeley, 1706-08, § 460)

((18)) Diese Bedingung der Aufeinanderfolge ist besonders wichtig, denn sie bringt die grundlegende Tatsache ans Licht, daß eine Folge nur gewußt werden kann, wenn wir ein Ding nach dem anderen erleben. Mit dieser Feststellung lieferte Berkeley bereits eine Grundlage für das dann von David Hume formulierte allgemeine Prinzip, daß alle Beziehungen, die den Zusammenhang in unserem Denken bilden, „durch die Verbindung oder Assoziation von Ideen" entstehen (Hume, 1742, Essay III). Hume führte aus:

Wenn wir sagen, daß ein Ding mit einem anderen verbunden ist, meinen wir nur, daß wir in unserem Denken eine Verbindung gebildet haben, und das bewirkt die Schlußfolgerung, daß jedes der beiden Dinge der Beweis für die Existenz des anderen sei. (Hume, 1742, Essay vrr, Part 1)

((19)) Als grundlegende mentale Verbindungen bezeichnete Hume drei: Ähnlichkeit, unmittelbare Nachbarschaft in Zeit oder Raum, und Ursache-Wirkung. Zweifellos war ihm klar, daß diese Kategorien weiter analysiert und unterteilt werden konnten. Er schrieb:

Dürfen wir nicht erwarten, daß die Philosophiet sofern sie gewissenhaft betrieben und von öffentlichem Interesse gefördert wird, diese Untersuchungen fortsetzen und somit zumindest in gewissem Grad die versteckten Quellen und Prinzipien entdecken wird, die den Operationen des menschlichen Geistes zugrundeliegen? (Hume, 1742, Essay I)

((20)) Bs hat lange gedauert, bis empirische Untersuchungen dieser Art wieder aufgenommen wurden. Kant gestand, daß Humes Schriften ihn aus „dogmatischem Schlummer" erweckt hatten, und obgleich er ein gewaltiges theoretisches Gerüst zur Erkundung des rationalen Verstandes lieferte, befaßte er sich doch kaum mit den tatsächlichen Mechanismen der mentalen Operationen. Und nach Kant, im 19. Jahrhundert, verschob sich das Interesse der Philosophen hauptsächlich in die Metaphysik. Wer sich auf die britischen Empiristen berief, tat dies im Zusammenhang mit der Sinneswahrnehmung. Die Tatsache, daß alle drei die unerläßliche Rolle der mentalen Operationen betont hatten, wurde so vollkommen vergessen, daß schließlich eine Bewegung wie der amerikanische Behaviorismus, die alles Geistige als Aberglauben verwarf, sich als Fortsetzung des Empirismus wähnen konnte. So wird auch heute noch in vielen Lehrbüchern der Psychologie der Eindruck erweckt, empirische Forschung sei der goldene Weg zur Erkenntnis der realen, objektiven Welt.

((21)) Als Einstein schrieb, der scharfsinnige Forscher könne niemals wissen, daß der Mechanismus, den er sich ausgedacht hatte, die einzige (und somit „wahre") Erklärung seiner Beobachtungen sei, bestätigte er einen radikalen Umschwung in Bezug auf den Zweck und die Praxis der Forschung. Der Glaube, daß die wissenschaftliche Wahrheit uns ein mehr oder weniger getreues Bild geben könnte, wie eine von uns unabhängige Welt tatsächlich funktioniert, war nicht mehr aufrecht zu erhalten. Forschung bezog sich nunmehr auf die Welt, die wir erleben, und Aufgabe des Wissenschaftlers war es, Modelle zu erfinden, die sich mit den jeweiligen Beobachtungen als vereinbar erwiesen.

((22)) Dieser Umschwung in der Wissenschaftsphilosophie war eine längst fällige Reaktion auf die Lehre der Skepsis. Da der Zweifel nicht rational entkräftet werden konnte, hatten die meisten Denker sich in die Metaphysik geflüchtet. Für die Wissenschaft jedoch war dieser Ausweg ebenso unbefriedigend wie Platons Vorschlag, die eigentliche Quelle wahren Wissens in der ererbten Seele zu suchen, statt in der Erfahrung. Wissenschaftliches Wissen bedurfte einer neuen Definition. Es mußte nicht nur in der Lebenswelt brauchbar sein, es mußte auch in ihr gefunden werden. Was nun nötig war, war ein weitgehender Umbau der begrifflichen Grundlagen.

Der Begriff der Anpassung

((23)) Erst mit dem Erscheinen der Darwinschen Evolutionstheorie wurde ein Begriff zugänglich, der es ermöglichte, dem Wissen eine andere Rolle zuzuschreiben. Es war der Begriff der 'Anpassung', und kurz vor der Jahrhundertwende führten William James, Georg Simmel, Ernst Mach, Alexander Bogdanov, Hans Vaihinger und andere ihn in den Bereich der Kognition ein.

((24)) Einsteins metaphorische Anekdote hilft uns, diese Übertragung zu erhellen. Der wissenschaftliche Beobachter der geheimnisvollen Uhr wird für scharfsinnig und erfolgreich gelten, wenn es ihm gelingt, seinen hypothetischen Mechanismus so zu konstruieren, daß er zu sämtlichen beobachtbaren Einzelheiten paßt. Das heißt, das Modell[2] muß die bisher festgestellten Verhaltensphänomene der Uhr verläßlich wiedergeben. Ernst Mach hat das Wesen der kognitiven Anpassung kurz und genau formuliert: „Anpassung der Gedanken an die Tatsachen und an einander" (Mach, 1917, p. 164)[3]

((25)) Die doppelspurige Anpassung bildet auch die Grundlage von Piagets 'Genetischer Epistemologie'. In dieser Kognitionstheorie hat Wissen nicht den herkömmlichen Zweck, eine vom Wissenden unabhängige Welt zu repräsentieren, sondern dient dem Organismus dazu, so zu Handeln und zu denken, daß er mit der Lebenswelt nicht in Konflikt kommt.[4]

Die Suche nach den Mechanismen der biologischen Anpassung und die Analyse des wissenschaftlichen Denkens als ihrer höchsten Form, sowie deren episteologische Interpretation war von Anfang an mein warf, sich als Fortsetzung des Empirismus wähnen konnte. (Piaget* in Gruber & Vonèche, 1977, p.xii)

((26)) Im Bereich der Kognition ist der Begriff der Anpassung wohl analog der Darwinschen Idee der physiologischen Anpassung biologischer Organismen, doch er ist nicht mehr direkt mit Überleben oder Aussterben verknüpft. Diese Verknüpfung hat schon in der Biologie zu Mißverständnissen geführt. Viekle Texte erwähnen 'Umweltdruck', als sei dies eine Ursache, die in Organismen oder Arten Eigenschaften und Handlungsweisen erzeugt, die sich als angepaßt erweisen. Das ist irreführend, denn in der Evolutionstheorie ist es keineswegs die Umwelt, die den Beweggrund zu einer aktiven Anpassung liefert. Die natürliche Auslese schafft weder Eigenschaften noch Verhalten, sie funktioniert lediglich negativ, indem sie jene Individuen aussterben läßt, die unter den gegenwärtigen Bedingungen unfähig sind, zu überleben und sich fortzupflanzen. Anpassung ist nicht eine Tätigkeit der Organismen, sondern eine Beschreibung ihres Zustands. Diejenigen, die überleben, müssen die dazu nötigen Eigenschaften und Verhalten bereits besitzen, wenn der Druck der Umwelt einsetzt. Diese Eigenschaften sind durchwegs das Ergebnis von zufälligen Mutationen oder Fehlern im Vererbungsmechanismus und als solche niemals Reaktionen auf Umstände oder Änderungen der Umwelt.[5] Kurz, alles, was überlebt. war schon im Vorhinein an die Bedingungen und Beschränkungen angepaßt, durch die die natürliche Auslese nun das Nichtangepaßte vernichtet.

((27)) Auf der kognitiven Ebene geht es nicht direkt um Über leben, sondern um 'Aquilibration', das heißt um inneres Gleichgewicht, und die Auslese ist darum weniger drastisch. Ziel der Anpassung ist hier das Vermeiden von Hindernissen und das Ausgleichen von Störungen. Wie Mach andeutete, können kognitive Strukturen auf zwei Weisen gestört wer den: Sie können von Tatsachen widerlegt werden oder mit einander in Konflikt geraten. Die begrifflichen Hindernisse und Störungen sind selten tödlich. Die 'Viabilität' von Be griffen und größeren Begriffssttuktuten. wie etwa Hypothe sen oder Theorien, kann normalerweise ohne Lebensgefahr erkundet werden. Gemäß der unterschiedlichen Störungen, gibt es im kognitiven Bereich mehrere Ebenen der Viabilität. Auf der ersten Ebene ist das viabel, was in der jeweiligen Problemsituation zu einer Lösung fütrt (Machs „Anpassung an die Tatsachen"). Auf der zweiten Ebene ist die Viabilität eine Frage der begrifflichen Vereinbarkeit, das heißt Abwe senheit von Widersprüchen im Bezug auf die anderen Denk und Handlungsweisen, die das denkende Subjekt in seiner bisherigen Erfahrung als viabel angenommen hat (Machs „Anpassung an einander"). Auf der dritten und höchsten Ebe ne beruht Viabilität auf dem Einklang der eigenen begriffli Chen Strukturen mit jenen, von denen man vermutet, daß an dere sie als viabel berachten.

((28)) Auf allen drei Ebenen ist das, was ich 'Viabilität' nen ne, der Zustand der Anpassun n. Schranken oder Grenzen der Bewegungsfreiheit und b eutet in keiner Weise eine An gleichung. Diese Beaehung des Hineinpassens läßt sich viel leicht am besten durch die Metapher klar machen, die einige Biologen formuliert haben: Der Vorgang der Auslese, die nur Angepaßtes überleben läßt, ist mit der Funktion eines Siebs vergleichbar, das alles durchfallen läßt, was irgendwie durch die Maschen schlüpft. Was durchfällt 'paßt', besitzt aber keine Eigenschaften des Siebs es ist nur so beschaffen, daß es durch die Beschränkungen des Siebs nicht wird.

Piagets Schematbeorie

((29)) Die wichtigste Anwendung des Anpassungsbegriffs in Piagets Theorie war seine Einfiihrung des Handlungsschemas, das die Prinzipien der Assimilation und der Akkommodation mit sich brachte. Als Biologe war er mit der Bedeutung von Reflexen verEaut und beobachtete die reflexiven Verhalten in seinen eigenen Kindern. In der einschlägigen Literatur heißtes zumeist, daß Reflexe aus zwei Teilen bestehen: Eine auslösende Situation und eine fest mit ihr assoziierte Handlung. Piaget wurde sich klar darüber, daß derartige Verbindungen durch Mutationen entstanden sind und im Erbgut der Arten allgemein wurden, weil die Wirkung der automatisch hervorgerufenen Handlung den Individuen, die eben diese Mutationen besaßen, einen Vorteil im Überleben bot Er sah den Reflex also nicht als zweiteilig, sondern als aus drei Teilen bestehend.

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((30)) Außerdem hatte Piaget auch bemerkt, daß die Reflexe des Säuglings keineswegs so fest und unabänderlich sind, wie die Lehrbücher behaupten. Einerseits verschwinden sie früher oder später im Laufe der individuellen Entwicklung und andererseits ist die Situation, die sie auslöst, vom Gesichts punkt des Beobachters aus nicht immer genau die gleiche. Das, worauf es ankommt, ist, wie der Organismus die gege bene Situation wahrnimmt, Solange sie mit dem Erkennungs muster vereinbar ist, das der Organismus ererbt oder sich gebildet hat, löst sie die assoziierte Handlung aus. Das ist die ontogenetisch erste Manifestation dessen, was Piaget i Assi milation' genannt hat.

((31)) In der entwicklungspsychologischen Literatur wird der Begriff der Assimilation fälschlich oft so erklärt, als handele es sich dabei um die Abänderung eines Inputs von der Außenwelt. Eine angemessene Beschreibung sollte jedoch darlegen, daß es der Beobachter ist, der von Assimilation spricht, wenn der Organismus in seiner Wahrnehmung gewisse Einzelheiten Ubergeht, die dem Beobachter offensichtlich sind. Für das Kleinkind, wie zumeist auch für das erwachsene Individuum, ist eine Situation stets das, was das Subjekt selber wahmimmt

((32)) Diese oberflächliche - wenn man will lückenhafte - Wahrnehmung ist der Schlüssel zur begrifflichen Verallgemeinerung und zur Klassenbildung. Sie ist auch ein wichtiger Punkt im Verständnis dessen, was Mach mit den „Tatsachen“ meinte, an die das Denken sich anpassen muß. „Keine Tatsache der Erfahrung wiederholt sich vollkommen genau“, schrieb er, und wenige Zeilen darauf erklärte er:

Wissenschaft ist nicht möglich ohne eine gewisse, wenn auch nicht vollkommene Stabilität der Tatsachen und eine dieser entsprechende, durch Anpassung sich ergebende Stabilität der Gedanken. (Mach, 1917, p.283-84)

((33)) In Piagets konstruktivistischer Theorie ist es das Prinzip der Assimilation, das die Stabilität hervorbringt.

((34)) Das in den Reflexen vorgeformte dreiteilige Muster, so schloß Piaget, konnte von dem sich entwickelnden Kind selbst aufgebaut werden, wann immer eine angenehme oder irgendwie interessante Erfahrung auf eine Handlung folgt. Er sah darin die allgemeine Struktur des sensomotorischen Handelns und gründete darauf den Begriff des Handlungsschemas. Dieser Begriff erlaubte es ihm dann, eine umfassende Theorie des praktischen Lernens zu entwickeln.

((35)) Der springende Punkt in dieser Theorie ist das Prinzip der ‘Akkommodation’. Wenn ein Subjekt eine wahrgenommene Situation als Auslöser einer bestimmten Handlung assimiliert, schafft dies die Erwartung, daß die Handlung das gewohnte Ergebnis zeitigen wird. Wenn dann dieses Ergebnis nicht eintritt, entsteht eine Perturbation, d.h. eine Störung des inneren Gleichgewichts. Es kann dies eine Enttäuschung sein, oder eine positive Überraschung (wenn das unerwartete Ergebnis ein angenehmes ist). In beiden Fällen kann die Perturbation zu einer Überprüfung der Auslösersituation führen • gewissermaßen um herauszufinden, warum das Schema nicht wie erwartet funktioniert hat. Wenn nun ein vorher mißachtetes Element der Situation für den Fehlschlag verantwortlich gemacht werden kann, so besteht die Möglichkeit, das Erkennungsmuster dementsprechend abzuändem. War das unerwartete Ergebnis angenehm, so wird dies zur Bildung eines neuen Schemas neben dem alten fuhren. In beiden Fällen nennt Piaget es eine Akkommodation. (Eine Akkommodation kann selbstverständlich auch stattfinden, wenn die Überprüfung einen Haken im Ablauf der Handlung zutage bringt). Kurz, man kann die allgemeine Regel formulieren, daß Akkommodationen und somit Lernen dann zustande kommen, wenn ein gewohntes Schema ein unerwartetes Resultat hervorbringt.

Kybernetik: Selbstorganisation und Verständigung

((36)) Mitte der Sechzigeijahre, zwanzig Jahre nachdem Norbert Wiener sein erstes Buch über Kybernetik (1965) veröffentlicht hatte, bemerkte Piaget, daß es zwischen dieser neuen Disziplin und seinen eigenen Ideen Parallelen gab. Das grundlegende konstruktivistische Prinzip, daß der menschliche Verstand die Wirklichkeit organisiert, indem er sich selbst organisiert (Piaget, 1937, p.311), verkörperte zweifellos die kybernetische Idee der Selbstorganisation.

((37)) Zudem gab es auch andere Ähnlichkeiten. Laut Schematheorie finden Akkommodationen statt, wenn ein erwartetes Ergebnis, ein Ziel, nicht erreicht wird. Das ist analog mit der Idee des negativen Feedbacks, die in homöostatischen Mechanismen verkörpert ist. Ein Thermostat zum Beispiel bewirkt nur dann eine Tätigkeit (Heizen oder Kühlen), wenn die wahrgenommene Temperatur nicht mehr mit dem festgelegten Sollwert (Referenz) Ubereinstimmt. William Powers, ein Pionier der Anwendung kybernetischer Prinzipien in der Verhaltenspsychologie, hat diese Idee im Titel seines Buches formuliert: Behavior; The Control ofPerception - Verhalten als Steuerung der Wahrnehmung (1973). Auch er sah, daß dieses Prinzip erhebliche epistemologische Konsequenzen mit sich bringt. Wenn der ‘intelligente’ Organismus nicht auf Stimuli der Umwelt, sondern lediglich auf Unterschiede zwischen Wahrnehmungen und vorbestimmten Sollwerten reagiert, um sein internes Gleichgewicht zu erhalten, dann gewinnt der Organismus kein objektives Wissen von der Außenwelt. Er kann bestenfalls lernen, sein Gleichgewicht angesichts der Perturbationen, die er wahrnimmt, einigermaßen aufrecht zu erhalten.

((38)) Mit der Kybernetik stimmt der radikale Konstruktivismus auch in der Einstellung gegenüber Sprache und Verständigung überein. Die auf Arbeiten von Claude Shannon beruhende Kommunikationstheorie (1948) hat eine technische Analyse des Vorgangs geliefert und einen weitverbreiteten Glauben abgebaut. Signale, Wörter oder Symbole befördern ihre Bedeutung nicht von einem Kommunikanten zum anderen. Die Signalzeichen, die von dem jeweiligen Sender zu einem Empfänger kommen, erhalten ihre Bedeutung nur durch einen Interpretationsprozeß an beiden Enden des Kommunikationskanals. Der Sender setzt die Nachricht in einen bereits festgelegten Kode um (encoding), zum Beispiel in den Morse-Kode der Telegraphie. Es handelt sich da um eine zweispaltige Liste, in der jeder Buchstabe des Alphabets mit einem Signal Zeichen in Form einer Kombination von Punkten und Strichen gepaart ist. Die Empfänger am anderen Ende des Kanals können den empfangenen Signalen nur dann Bedeutungen zuschreiben, wenn sie im Besitz der Kode-Liste sind. Die Liste selbst kann nicht übertragen werden und muß darum auf andere Weise an die zukünftigen Empfänger verteilt werden. Diese Bedingung muß in allen Kommunikationssystemen erfüllt werden, bevor eine Verständigung stattfinden kann.

((39)) Insofern die natürlichen Sprachen der Verständigung dienen sollen, stellt sich die Frage, wie es dazu kommt, daß die Sprachbenutzer einander verstehen. Freilich gibt es Wörterbücher und Lexika, in denen Wortbedeutungen erklärt werden, aber diese Erklärungen bestehen jeweils aus anderen Wörtern und sind deswegen nur denjenigen nützlich, die bereits einen gewissen Wortschatz haben. Kinder eignen sich ihren grundlegenden Wortschatz in der eigenen Sprache nicht durch das Studium von Wörterbüchern an, sondern auf Grund ihrer Erfahrungen im täglichen Leben. Obschon fortlaufend Untersuchungen gemacht und Theorien entworfen werden, wie die Regeln des Satzbaues gelernt werden könnten, hat kaum jemand sich dafür interessiert, wie Wortbedeutungen entstehen. Schuld daran ist die althergebrachte Überzeugung, daß Wörter - zumindest jene, die Kinder lernen - sich auf Gegenstände der realen Welt beziehen, die für alle Sprecher gleich und darum unproblematisch sind.

((40)) Wenn die epistemologischen Argumente, die ich bereits vorgebracht habe, sinnvoll sind, liegt die Frage der ersten, unerläßlichen Wortbedeutungen jedoch völlig anders. Der Boden, aus dem sie wachsen, kann nur die Erfahrungswelt des Kindes sein. In dieser verschwommenen formlosen Landschaft müssen zunächst wiederholbare Muster gebildet werden, und erst wenn visuelle Komplexe streng von Klangbildern unterschieden sind, kann eines der zweiten Gruppe einem der ersten zugeordnet werden. Selbst wenn die fürsorgliche Mutter eine Tasse vom Tisch hebt und zur einjährigen Tochter sagt: „Schau, Marie, das ist eine Tasse, eine Tasse.“, muß Marie zuerst den Gegenstand in ihrem Gesichtsfeld isolieren und den Wortlaut von anderen gleichzeitigen Geräuschen trennen, bevor sie zwischen beiden eine semantische Verbindung hersteilen kann. Was das Kind da isoliert und trennt, sind nicht Dinge an sich, sondern unter allen Umständen Teile seiner eigenen Erlebenswelt, die im Laufe weiterer Erfahrungen durchwegs mehr oder weniger geändert werden müssen, um mit dem Sprachgebrauch der Erwachsenen einigermaßen übereinzustimmen.

((41)) Michael Tomasello hat auf Grund von ausgedehnten, extrem sorgfältigen Entwicklungsstudien die oft verworrenen Pfade dargelegt, auf denen das Kind seine relative Anpassung an den allgemeinen Sprachgebrauch erreicht (Tomasello, 1992). Daß diese Anpassung eine allmähliche ist, sollte niemanden überraschen. Auch in fortgeschrittenem Alter entdecken wir alle von Zeit zu Zeit, daß wir das eine oder andere Wort unserer Sprache bisher stets in einer Weise verwendet haben, die von jener anderer Sprecher abweicht. Wir haben es vorher nicht bemerkt, weil die Situationen, in denen wir das Wort benutzten oder hörten, unsere Idiosynkrasie nicht zum Vorschein brachten.

((42)) Die Sozialpsychologen haben also völlig recht, wenn sie sagen, daß die Bedeutungen von Wörtern in der Gesellschaft ‘ausgehandelt’ werden. Wichtig ist jedoch die Einsicht, daß das letzte Ergebnis dieses fortlaufenden Handels Vereinbarkeit ist, d.h. Kompatibilität im Sinne der Anpassung, und niemals eine absolute Gleichheit. Denn selbst wenn ein Lehrer oder ein Wörterbuch uns den Gebrauch eines Wortes erklärt, so beruht die Bedeutung, die wir uns aufbauen, doch auf der Interpretation unseres eigenen Erlebens. Diese Bedeutung wird dann zweifellos im Laufe sprachlicher Unterhandlungen geschliffen, verfeinert und weiter angepaßt, doch das Material aus dem sie besteht ist und bleibt das Material der subjektiven Erfahrung.

Begriffsanalyse: Mehrheit und Identität

((43)) Auf dem Niveau der Begriffe, die nicht direkt aus Elementen der Wahrnehmung gewonnen werden können, beruht der Aufbau auf der Reflexion über mentale Operaüonen. Das klarste Beispiel, das ich bisher gefunden habe, ist die Konstruktion der Mehrzahl. Für Erwachsene ist es selbstverständlich, daß man angesichts einer Tasse den Singular des Wortes verwendet, und wenn es sich um mehrere handelt, den Plural. Die Unterscheidung der beiden Situationen wird zumeist als einfache Sache der Wahrnehmung betrachtet, das heißt als offensichtlich und ganz unproblematisch. Untersucht man jedoch genauer, wie ein Kind den richtigen Gebrauch von Ein- und Mehrzahl lernen kann, dann findet man, daß das Gewahrwerden einer Mehrheit mehr verlangt, als bloße Wahrnehmungen. Hat das Kind gelernt, eine bestimmte Kombination sensomotorischer Elemente als „Tasse“ zu bezeichnen, so kann es angesichts mehrerer dieser Gegenstände sagen: „Tasse, Tasse, Tasse, ...“[6]. Vielleicht sagt jemand: „Ja, das sind Tassen,“ und das Kind nimmt den phonetischen Unterschied des Wortes wahr. Vielleicht hat es die abweichende Pluralform auch schon im Gespräch Erwachsener bemerkt. - Aber was sagt ihm, wann die eine und wann die andere Form am Platz ist? Die Antwort liegt nicht in den wahrgenomme¬nen Dingen, sondern im Bereich der Operationen, die der Wahmehmende ausführt. Um eine Mehrheit zu konstruieren, muß man merken, daß man ein und dieselbe Erkennungsprozedur, die einem den Gegenstand „Tasse“ liefert, mindestens zweimal ausgeführt hat. Die Pluralform des Wortes bedingt diese Wederholung, denn sie bezieht sich nicht auf Elemente der sinnlichen Wahrnehmung, sondern auf die Art und Weise, wie man Wahrgenommenes verbindet.

((44)) Alles Wissen stammt laut Piaget aus Handlungen. Auf der sensomotorischen Ebene sind es physische Aktionen, auf der begrifflichen mentale Operationen, die das Rohmaterial für Reflexion liefern. Was hier als Reflexion bezeichnet wird, schließt jedoch nicht unbedingt Bewußtsein ein.

... Handeln allein schafft ein selbständiges Wissen von erheblicher Macht, denn obgleich es lediglich „Wissen-wie“ ist und seiner selbst nicht bewußt im Sinne eines begrifflichen Verstehens, bildet es doch die Quelle dieses zweiten, wenn das stets nachhinkende Bewußtsein dann einsetzt. Doch das anfängliche Wissen ist äußerst wirksam, auch wenn es von sich selbst noch nichts weiß. (Piaget, 1974, p.275)

Piaget belegt dies mit einem treffenden Beispiel:

Im Lauf der Geschichte haben Denker gedankliche Strukturen benützt, ohne sie bewußt erfaßt zu haben. Ein klassisches Beispiel: Aristoteles hat die Logik der Beziehungen benützt, aber in der Konstruktion seiner eigenen Logik völlig ignoriert. (Piaget & Garcia, 1983, p.37)

((45)) Ein integraler Teil des konstruktivistischen Denkens ist die Entwicklung von Modellen, die mentalen Operationen entsprechen, die uns in unserer täglichen Erfahrung Begriffsstrukturen liefern, deren Ableitung uns zumeist unbewußt bleibt Eine der wichtigsten unter diesen ist die Überzeugung der sogenannten ‘Objektpennanenz’, die wir bereits früh in unserer kognitiven Laufbahn aufgebaut haben. Die Herkunft der Idee, daß die meisten Gegenstände, mit denen wir unsere Erlebens weit möblieren, existentielle Dauerhaftigkeit haben, wird zumindest oberflächlich dadurch verschleiert, daß die Ausdrücke „das gleiche“ und „dasselbe“ in der Umgangssprache austauschbar benützt werden. So kann zum Beispiel eine Frau ihrer Freundin entrüstet von einer Party berichten: „Stell Dir vor, die Irmgard kam in demselben Kleid wie ich!“; und der Sohn kann der Familie auf einer Ferienfahrt erklären: „Das ist das gleiche Auto, das uns schon vor dem Mittagessen vorgefahren ist.“ - Im ersten Fall sind es zwei Kleider, die sich in Bezug auf die Eigenschaften, die da maßgebend sind, nicht unterscheiden; im zweiten Fall hingegen handelt es sich um ein und dasselbe Auto. Anders ausgedrückt: Im ersten Fall wird auf Grund eines Vergleichs die Zugehörigkeit zweier Gegenstände zu einer bestimmten Klasse behauptet, im zweiten wird dem Gegenstand zweier zeitlich getrennter Erlebnisse individuelle Identität zugeschrieben.

((46)) Beide Operationsweisen sind wichtige Elemente im Aufbau der Begriffswelt. Indem wir Klassen bilden, ersparen wir es uns, jeden Gegenstand, den wirerleben, als Neuerscheinung zu untersuchen. Die Zuschreibung individueller Identität jedoch hat weiteneichende Anwendungen. Ohne sie könnten wir nicht von ‘Änderung’ sprechen, hätten also keinen Grund, nach Ursachen zu forschen und wären nie auf die Idee von der Erhaltung der Energie gekommen. Noch grundlegender scheint es mir, daß die Struktur der Objektpennanenz auch den Ursprung unserer Raum- und Zeitbegriffe beleuchtet. Um diese Behauptung zu erklären, möchte ich die Begriffsstruktur der Identität graphisch darstellen. Die Methode dieser Darstellung verdanke ich meinem jüngst verstorbenen Freund Silvio Cec- cato, der bereits in den Fünfziger] ahren Sequenzen von ‘Momentaufnahmen’ in der semantischen Analyse verwendete.

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((47)) In diesem Diagramm bedeutet „f“ jeweils einen einzelnen Erlebensmoment (auf Englisch ist frame ein einzelnes Bild in einem Filmstreifen) und „X“ bedeutet ein als Gegenstand kategorisiertes Erlebnis. Die Momente sind statisch, und nur ein aktiver Verstand kann durch Reflexion in der Folge der Momente Beziehungen schaffen. Werden X( und X2 nun als Erlebnisse ein und desselben Gegenstandes betrachtet, so ergibt sich die Frage, wo dieser Gegenstand sich von f2 bis fn außerhalb des Aufmerksamkeitsbereichs befunden hat. Somit wird jenseits der Erlebnisfolge ein Bereich geschaffen, in dem permanente Objekte warten können, bis sie im Aufmerksamkeitsfeld des Erlebenden wieder auftauchen. Diesen Bereich habe ich ‘Protoraum’ genannt, denn er erhält die Struktur und Meßbarkeit des eigentlichen Raums erst, wenn das denkende Subjekt nicht nur eine Reihe von Objekten dort aufbewahrt, sondern auch die Beziehungen, die es im Erleben der Objekte zwischen ihnen aufgebaut hat.

((48)) Da die individuelle Identität, die Gegenständen zugeschrieben wird, Intervalle überspannt, die für den Erlebenden durch eine Folge anderer Erlebnissen gefüllt sind, müssen diese Identitäten sozusagen dehnbar gedacht werden. Das heißt, sie müssen die jeweiligen Intervalle überdauern. Diese Ausdehnung von Identitäten jenseits der Erlebenswelt schafft eine Dimension, die ich ‘Protozeit’ nenne und die dann durch die Projektion von tatsächlichen Erlebnisfolgen zum eigentlichen Begriff der Zeit wird. Die Projektion von Jahreszeiten, Tag und Nacht, und schließlich der regelmäßigen mechanischen Vorgänge von Uhren, verleihen dieser Dimension der Dauer Meßbarkeit.

((49)) Angesichts der vielen Diskussionen und empirischen Untersuchungen, die Piagets Idee der Objektpennanenz hervorgerufen hat, ist es wichtig darauf hinzuweisen, daß dieses Element der kognitiven Entwicklung einem Subjekt nur dann zugeschrieben werden sollte, wenn es gezeigt hat, daß es sich das Objekt vorstdien kann, auch wenn es im gegenwärtigen Wahmehmungsbereich nicht vorhanden ist. Dieses Vorstel- lungsvermögen habe ich im Englischen re~presentation genannt. Der ungewohnte Bindestrich soll andeuten, daß es sich hier um die Rekonstruktion eines Erlebnisses handelt und nicht um die Spiegelung eines Stücks realer Welt. Dieser Unterschied wird besonders relevant, wenn man in philosophischen Texten oder Berichten der Artificial Intelligence auf das Wort „Repräsentation“ stößt, das fast immer realistische Voraussetzungen impliziert.

((50)) Die Rolle dieser Vorstellungen hat Piaget sehr gut beschrieben:

Durch die Tatsache, daß es in das System der Vorstellungen und der abstrakten oder indirekten Beziehungen eingeht, erlangt das Objekt einen endgültigen Grad der Freiheit im Bewußtsein des Subjekts: Es wird jetzt trotz aller Verlagerungen und zeitweiligem Verschwinden aus dem Wahmehmungsfeld als sich selbst identisch bleibend begriffen.[7] (Piaget, 1937, p.75)

((51)) Die Fähigkeit, sich ein abwesendes Objekt vorzustellen, ist eine Weiterentwicklung der Fähigkeit, ein Objekt als ein bereits erlebtes zu erkennen. Die beiden entstehen nicht mit-, sondern nacheinander. Daß die Folge keineswegs automatisch ist, scheint mir am besten dadurch belegt, daß wir eine ganze Menge von Leuten als Bekannte erkennen, wenn wir mit ihnen Zusammentreffen, aber unfähig sind, sie zu beschreiben, wenn wir sie nicht im Gesichtsfeld haben. (Das, was ich oben ‘Erkennungsmuster’ nannte, ist also bestenfalls eine Vorstufe und wird erst durch wiederholte Reflexion zu jener selbständigen Vorstellung, die zur Objektpermanenz nötig ist.)

((52)) Um auch die anderen Begriffe, die bereits Berkeley als mentale Konstrukte bezeichnete, auf meine Weise zu analysieren, möchte ich die Struktur der ‘Änderung’ graphisch darstellen. Auch dieser Begriff entspringt einer Folge von Erlebensmomenten, denn auf Grund einer einzigen Beobachtung kann man keine Änderung konzipieren. Man braucht mindestens zwei, zwischen denen man einen Unterschied feststellt. Nehmen wir an, ich sehe, daß der Apfel, den meine Frau mir vor zwei Tagen auf den Schreibtisch gelegt hat, nun angefault ist. Das Diagramm dieser Änderung sieht so aus:

EuS Bild52.png

((53)) Um zu sagen, daß der Apfel „X“ sich verändert hat, muß ich annehmen, daß er in beiden Beobachtungen derselbe war; wäre er es nicht, so müßte ich ‘Austausch’ denken, nicht ‘Veränderung’. Ist der Apfel an eine andere Stelle des Schreibtischs gerollt, so setzte ich statt der Eigenschaften im Diagramm die zwei verschiedenen Ortsbestimmungen ein, und dann zeigt es die ‘Ortsveränderung’ an.

((54)) Wenn ein Objekt im Laufe mehrerer Erlebnisse in gewisser Hinsicht unverändert bleibt, so kann ich die Fortdauer seines Zustands durch zwei einander folgende, aber ansonsten gleiche Momentaufnahmen anzeigen und so den Begriff der Dauer nahelegen. Verbinde ich das Element der Fortdauer an einem Ort mit der Beobachtung des identischen Individuums an einem anderen, so erhalte ich den Begriff der räumlichen ‘Ausdehnung’.

((55)) Daß die in diesen Diagrammen angedeuteten mentalen Operationen zumeist nicht bewußt registriert werden, läßt sich mit Hilfe von zwei ganz banalen Aussagen zeigen. Einmal sage ich zu einem Besucher: „Der Zug geht direkt von hier nach Boston“, ein andermal,.Diese Straße geht nach Boston.“ Normalerweise wird weder mir noch ihm dabei bewußt, daß der Zug nur jeweils an einem Ort sein kann, während die Straße als an beiden Orten zugleich gedacht wird

((56)) Ich hoffe, diese Beispiele genügen, um zu zeigen, daß diese Art der Zerlegung in der Herstellung von Modellen der Begriffskonstruktion und somit der Wortbedeutungen überaus brauchbar ist.

Zusammenfassung und Gebrauchsanweisung

((57)) Im konstruktivistischen Denken wird der Begriff der ontischen Wahrheit aufgegeben. Da die Argumente der Skeptiker die naturgetreue Spiegelung oder Repräsentation einer Realität logisch ausschließen, gründet sich dieses Denken auf Piagets Einsicht, daß die kognitive Aktivität nicht die Aufgabe hat, die Welt zu ‘erkennen’, sondern darin liegt, das physische und mentale Gleichgewicht des Organismus durch Anpassung zu erhalten. Diese Anpassung fuhrt nicht zur Kenntnis objektiver Sachverhalte, sondern zur Entwicklung von Handlungs- und Denkweisen, die sich in der Erlebenswelt als ‘viabeP erweisen. Das Repertoire von Handlungen und Operationen ist das Wissen, das kognitive Subjekte im Rahmen ihrer Erlebensbereiche konstruieren

((58)) Auf Grund dieser epistemologischen Voraussetzungen lassen sich einige Schlußfolgerungen ziehen: - Der Konstruktivismus leugnet keineswegs eine ontologische Realität, doch er behauptet, daß wir sie nicht rational erfassen können. - ‘Wirklichkeit’ ist die Welt, die wir erleben, und aus ihr allein leiten wir, auf die uns eigene Weise, Ideen und Dinge ab, sowie die Begriffe der Beziehungen, mit denen wir Verbindungen hersteilen und Theorien aufbauen, die es uns erlauben, mehr oder weniger viable Erklärungen und Vorhersagen in unserer Lebenswelt zu formulieren. - Der Begriff der Viabilität ersetzt jenen der ontischen Wahrheit; das heißt, die Bestätigung des Wissens wird nicht in einem unmöglichen Vergleich mit der Realität gesucht, sondern in seiner Brauchbarkeit angesichts der Hindernisse, denen wir beim Verfolgen unserer Ziele begegnen. Daraus folgt, daß die Lösung eines Problems nie als die einzig mögliche betrachtet werden darf; es mag die einzige sein, die wir zur Zeit kennen, aber das rechtfertigt niemals den Glauben, unsere Lösung gewähre uns Einsicht in die Struktur einer von uns unabhängig existierenden Welt. - Dieser letzte Punkt betrifft notwendigerweise auch den Konstruktivismus selbst. Wie alle Theorien, beruht er auf Voraussetzungen, doch er hütet sich, diese Voraussetzungen, seien sie bewußt oder unbewußt, als ontologische Gegebenheiten zu betrachten. Sie werden als Annahmen gedacht, um Modelle zu bauen, die sich in der Welt des Erlebens bewähren sollen.

((59)) Die konstruktivistische Orientation hat zu einer Reihe von Anwendungen geführt. Einige Ergebnisse der Begriffsanalyse habe ich hier erwähnt. Konstruktivistische Ansätze sind heute ein Gemeinplatz in der Didaktik und der Familientherapie und die jeweilige Literatur bietet unzählige Ausführungen. Der Leser dieses Artikels wird selbst beurteilen müssen, inwieweit sie mit den hier beschriebenen Grundsätzen übereinstimmen.

((60)) Für mich liegt das wichtigste Anwendungsgebiet des Konstruktivismus im täglichen Leben. Mit dem Verzicht auf objektive Wahrheit verliert alles Rechthaberische seinen Sinn. Wenn man keinen Grund mehr hat zu behaupten, man wisse wie dies oder jenes ist, versteht man leichter, daß andere ihre Wirklichkeit nicht so sehen müssen, wie man die eigene sieht. Man kann zwar darüber diskutieren, ob die eine oder andere Handlungs- oder Denkweise voraussichtlich zu dem gemeinsam erwünschten Ziel fuhren wird oder nicht, aber man bleibt sich der Tatsache gewahr, daß die Frage letztlich nur in der Praxis entschieden werden kann.

((61)) Das Zusammenleben mit anderen wird erheblich leichter und reibungsloser, wenn man sich vor Augen hält, daß die Vorstellung, die man von ihnen hat, ausnahmslos aus eigenen Erfahrungen stammt, die man mit ihr oder ihm gemacht hat, und darum letzten Endes eine Frage der subjektiven Interpretation ist. So manche Unstimmigkeit läßt sich auflösen, wenn man sich vor Augen hält, daß alles, was gesagt, gesehen oder gefühlt wird, auf mehr als eine Weise interpretiert werden kann, und man darum zu anderen nicht sagt: „Du bist ...“, sondern „Ich sehe Dich so...“.

((62)) Einige Kritiker haben behauptet, der Konstruktivismus sei gefährlich, weil er Verirrungen, wie zum Beispiel dem Nazismus, nichts entgegensetzen könne (vgl. Matthews, 1993). Darauf erwidere ich, daß keine rationale Wissenstheorie im Laufe der Menschheitsgeschichte ethische Grundsätze bilden oder begründen konnte und dadurch Verbrechen an Volksgruppen und Einzelnen verhindert hat.

((63)) In diesem Zusammenhang möchte ich jedoch zu bedenken geben, daß der Konstruktivismus aus rein epistemologischen Gründen Toleranz verlangt und zudem zur Entwicklung von Verhaltensregeln zwei Argumente liefert, die mit Kants kategorischem Imperativ vereinbar sind: Erstens stellt er fest, daß alle Individuen für ihr Handeln und Denken verantwortlich sind, und zweitens zeigt er, indem er jede Berufung auf eine absolute Wahrheit grundsätzlich widerlegt, daß die Viabilität von Gesetzen und Beschränkungen der individuellen Freiheit in der Gesellschaft ausgehandelt werden muß.

((64)) Zum Abschluß möchte ich etwas noch einmal hervorheben, was von Kritikern bisher zumeist übergangen wurde: Der radikale Konstruktivismus darf nicht als Beschreibung einer realen Welt betrachtet werden. Er macht keinerlei ontologische Behauptungen, sondern schlägt lediglich ein Denkmodell vor, das anschaulich machen kann, wie wir zu Vorstellungen und Wissen von der Erfahrungswelt kommen, in der wir leben. Diese Denkweise macht keinen Anspruch auf ‘Wahrheit’ im philosophischen Sinn, denn ihr Wert kann sich nur in der Praxis denkender Individuen erweisen.

Anmerkungen

Literatur

Berkeley, G. (1706-1708). Commonplace Book. London: Faber & Faber, 1930 (später veröffentlicht als Philosophical commentaries in A. A. Luce & T. E. Jessop, Hg., 1950, Bd. I.).

Bruner, J. (1986). Actual minds, possible worlds. Cambridge, Massachusetts: Harvard University Press.

Diels, H. (1957). Die Fragmente der Vorsokratiker. Hamburg: Rowohlt.

Einstein, A. & Infeld, L. (1950). Die Evolution der Physik. Wien: Paul Zsolnay.

Eriugena, J. S. (9. Jrh.). Periphyseon, Übersetzung von Sheldon-Williams, zitiert in R. Kearney (Hg.) (1985) The Irish Mind, Dublin: Wolfhound Press.

Glasersfeld, E. von (1996). Radikaler Konstruktivismus: Ideen, Ergebnisse, Probleme. Frankfurt: Suhrkamp.

Gruber, H. E. & Vonèche, J. J. (Hg.) (1977). The essential Piaget. London: Routledge & Kegan Paul.

Haller, R.& Stadler, F. (Hg.) (1988). Ernst Mach: Werk und Wirkung. Wien: Hölder-Pichler-Tempsky.

Hume, D. (1742). Philosophical essays concerning human understanding. London: Millar (in 1758, nach der 4.Auflage, wurde das Werk An enquiry concerning human understanding betitelt).

Kearney, R. (Hg.) (1985). The Irish Mind. Dublin: Wolfhound Press.

Mach, E. (1917). Erkenntnis und Irrtum. Leipzig: J.A.Barth (3rd edition).

Matthews, M. R, (1993). Constructivism and Science education: Some epistemological problems. Journal of Science Education and Technology. 2 (1), 359-370.

Locke, J. (1690). An Essay Concerning Human Understanding (A.C. Fraser, Hg. New York: Dover, 1959).

Piaget, J. (1937). La construction du réel chez l'enfant. Neuchatel: Delachaux et Niestlé.

Piaget, J. (1974). La prise de conscience. Paris: Presses Universitaires de France.

Piaget, J. & Garcia, R. (1983). Psychogenèse et histoire des Sciences. Paris: Flammarion.

Powers, W. T. (1973). Behavior: The Control of Perception. Chicago: Aldine.

Shannon, C. E. (1948). The mathematical theory of communication. Bell Systems Technical Journal, 27, 379-423 & 623-656.

Tomasello, M. (1992). First verbs. Cambridge, UK: Cambridge University Press.

Wiener, N. (1965). Cybernetics. Cambridge, Massachusetts: M.I.T.Press (first published 1948).

Kritik

Marco C. Bettoni: Dialog über Wissenstheorie

Michael Drieschner: Was ist die Wirklichkeit denn nun wirklich?

Elke Heise und Peter Gerjets: Welche Konsequenzen hat die radikal-konstruktivistische Wissenstheorie?

Michael Hoffmann: Verzicht auf Wahrheit, Existenz von Tatsachen und die Frage nach der „Radikalität“ der „Radikal-Konstruktivistischen Wissenstheorie“

Ronald Kurt: Das Prinzip Beliebigkeit

Theodor Leiber: Bemerkungen zum Radikalen Konstruktivismus von Ernst von Glasersfeld

Werner Meinefeld: Gegen eine Halbierung des Piagetschen Konstruktivismus

Peter Meyer: Wissen, Wahrheit, Wirklichkeit: „Individuelle“ oder „soziale“ Konstruktion?

Josef Mitterer: Der Radikale Konstruktivismus: „What difference does it make?“

Richard Schantz: Die Erkenntnistheorie des Radikalen Konstruktivismus – eine Kritik aus realistischer Sicht

Rudolf Taschner: Der Blick in Gottes Karten

Rolf Todesco: Genetische Wissenschaftsgeschichte, Kollaboratives Lernen und Hyperkommunikation

Gerhard Vollmer: Wo bleiben die Argumente?

Jutta Weber: Angepaßte Monologe? Über die Konsequenzen >radikaler< De-Ontologisierung und konventioneller Performanz

Replik: Jahrmarkt der Gegensätze (Ernst von Glasersfeld)

((1)) Daß 37 gewiegte Denker es der Mühe wert fanden, auf meinen Artikel zu reagieren, ist für mich außerordentlich erfreulich und ich bin allen, den zustimmenden wie den ablehnenden, aufrichtig für ihr Interesse und den offensichtlichen Zeitaufwand dankbar. Daß gegensätzliche Urteile übeT den radikalen Konstruktivismus (RK) gefällt wurden, ist anregend aber nicht verwunderlich.

Es gibt in den Wissenschaften kaum eine Frage, Uber die kompetente Forscher nicht verschiedener Meinung gewesen wären. Wenn nun zwei solcher Leute zu entgegengesetzten Urteilen über ein und dieselbe Sache kommen, muß mindestens einer von ihnen unrecht haben; keiner von ihnen jedoch scheint über das nötige Wissen zu verfugen. Denn wenn des einen Denken sicher und evident wäre, dann wäre er in der Lage, im anderen von der Wahrheit zu überzeugen.(Descartes, ca. 1629)

((2)) Jede Wissenstheorie versucht, eine Reihe grundlegender Fragen zu beantworten, und so waren in diesem Meinungsaustausch einander widersprechende Urteile vorauszusehen. Hier zunächst eine kurze Gegenüberstellung einiger Gegensätze:

Allerdings bleibt der Gegner eher im Schatten, weil unklar bleibt, wer mit „der herkömmlichen Erkenntnistheorie“ gemeint ist und nicht benannt wird, wer denn heute noch eine solch naive Vorstellung ernsthaft vertritt. (Faulstich (4))

Für den konstruktivistischen Aspekt im Erkennen lassen sich gute Gründe an führen - eine radikalkonstmktivistische erkenntnis- und, wissenschaftstheoretische Werke läßt sich damit aber nicht legitimieren.(Meinefeld (9))

Man wäre sicherlich erstaunt, wie hoch etwa unter Physikern der Prozentsatz jener ist die immer noch am Phantasma der „einen Wahrheit" fcsthalten.(Grössing (2))

Eine konstruktivistische Wissenstheorie kann wesentlich dazu beitragen, die sich ebenfalls rapid wandelnden Einsichten über Wissen, Wissenschaft und Wissensgesellschaft beträchtlich voranzutreiben. (M.Roth (2))

So bleibt vG's Konstruktivismus im Rahmen klassischer ontologischer Fragestellungen und löst sich weit weniger von der Tradition, als der IbnniiMS ‘radikal* suggeriert. (Laus (3))

Die radikal-konstruktivistische Wissesstheorie kann weder für die Wissenschaft noch für den Alltag ein brauchbares Modell sein. (Kurt (8))

Anlaß zu Diskussionen konnte auch der Tenor seiner Piaget-Intetpietation liefern, wo man die Meinung vertreten kann, daß eine weniger'radikale' Fassung... der Piagetschen Epistemologie eher gerecht wird. (Seiler (1))

Der RK von EvG ist eine der revolutionärsten und erfrischendsten Wissenstheorien, denen ich je begegnet bin. (Gooihuis (1))

Die strukturalistische Auffassung von Theorien und ihrer Funktion im Fbrschungsprozeß scheint uns durchgängiggut verträglich mit vG's Position zi sein. (Hetse/Geijcts (6))

vG's „radical“ theory of knowledge certainly points in the right direction, but seems to me to lack the full radicalness that I detect, explidtly oriropliritly, in Piaget's woik. (Furth (17))

- wenn es so etwas geben sollte -, so bleibt doch das Verhältnis der v. Glasersfeldschen „Wissenstheorie" und ihren möglichen „Anwendungen“ in lebensweltlichen Kontexten ganz unklar. (Hoffmann (4))

So stellt meiner Meinung nach (RK) nur einen Idealtypus des Lernens vor, der sich auch unbestritten vielfach bcwShrt und wichtige For- sehungsansdtze u. -etgebnisse geliefert lut(PöWng (4))

((3)) Dieses Konzert von gegensätzlichen Urteilen bestärkt mich einerseits in meinem Glauben an Pluralismus, andererseits in der von mir früh gemachten Beobachtung, daß das Verstehen von Sprache schon auf der Ebene der Wortbedeutungen eine durchaus subjektive Angelegenheit ist. Niemand kann weit aus seiner oder ihrer grundlegenden intellektuellen Einstellung heraus und interpretiert und beurteilt Gelesenes auf Grund der eigenen mühsam erarbeiteten Wirklichkeit Wo es sieb um Wörter handelt, die man mit Grundbegriffen des eigenen Weltbildes verbunden hat, ist es schwer, einzusehen, daß andere die gleichen Wörter mit Begriffen verbinden, die sich nicht unbedingt mit den eigenen vereinbaren lassen. Trotz ausdrücklichen Definitionen und kontextuellen Implikationen legt man sie in der gewohnten Weise aus und registriert die nun unvermeidlichen Widersprüche als Unstimmigkeiten des Texte. Das gilt für mich und meine Replik nicht minder als für die Kritiker.

((4)) Ich will jedoch nicht sagen, daß die meisten der in den Kritiken angeführten Mängel des Radikalen Konstruktivismus (RK) von dieser Art der Assimilation herriihren. Einige weisen auf Lücken hin, die in einem relativ kurzen Aufsatz unvermeidlich waren; andere auf das Fehlen von Ausführungen, die ich hätte geben sollen. Für das freundliche Zugeständnis, daß man in einem Artikel nicht alles darlegen kann, was die vollständige Präsentation einer Denkweise verlangen würde, bin ich dankbar. Über die Auswahl der Punkte, die ich vorbrachte, kann man selbstverständlich verschiedener Meinung sein. Einiges möchte ich nun in dieser Replik soweit ich kann nachholen. Gleichzeitig will ich versuchen, Mißdeutungen aus dem Weg zu räumen, die ein aufmerksames, nicht durch vorgefaßte Ablehnung gefärbtes Lesen des Hauptartikels vielleicht hätte vermeiden können.

((5)) Auf alle in den Kritiken aufgeworfenen Punkte einzugehen, war innerhalb der strikten Zeit- und Raumbegrenzung offensichtlich nicht möglich, und darum wollte ich zunächst meine Antwort thematisch gliedern. Bald wurde mir aber klar, daß die Kritiken duTchwegs vielseitig waren und ich in jedem


Thema von einem zum anderen Kritiker hätte springen müssen. Damm habe ich mich schließlich entschieden, die Kritiken alphabetisch vorzunehmen und hier und dort auf bereits beantwortete Fragen zu verweisen. Ich hoffe, der Leser wird die folgenden Seiten dennoch einigermaßen lesbar finden.

((6)) Hinweise auf numerierte Absätze in den Kritiken habe ich durch Doppelklammem oder durch Namen und Paragra- phennummer in einfachen Klammem gekennzeichnet; Hinweise auf den Hauptartikel, durch „EvG“; und Hinweise auf andere Stellen in der Replik, durch .Antwort auf, abgekürzt ,A.a." und den jeweiligen Namen.


((7)) BETTONI: Geschätzter Freund, so ich des Ikarus' Flügel hätte, wäre ich bereite bei Dir, um Dir den Dienst zu danken, den Du mir mit Deinen Erklärungen im Gespräch mit Rolf und Robert, den wackeren Peripatetikem, erwiesen hast. Da Du in Deiner Heimatstadt wohl des öfteren mit ihren berühmten Spießbürgern zu unterhandeln hast, verstehst Du es besser als ich, verzweigte, holperige Gedanken wege in glatte Pfade zu verwandeln. Daß selbst Dir bei meinem Geschreibsel fragen auftauchen, wird keinen wundem, der je versucht hat, aus meiner oft unbeholfenen Ausdmcksweise klaren Sinn zu schaffen.


((8)) Deine Frage ((12)), wie weit Begriffskonstruktion analysiert werden müßte, um ihre Mechanisierung in Artefakten zu gewährleisten, will ich zu beantworten versuchen. Wenig Hoffnung, jedoch dünkt mich, wird meine Antwort eröffnen. (Beim Zeus, ich wiird’ es lieber mündlich tun, im Schatten der Platanen am Ufer des Ilissos! Doch der Flug von jenseits Atlantis, wo ich derzeit mein Leben friste, ist unerschwinglich. Drum muß ich mich notgedrungen mühsamer Schrift bedienen, obgleich mir einige der Kritiken offenbart haben, wie verfänglich Geschriebenes ist, da alles Lebendige mit der Tinte vertrocknet.)


((9)) Doch wohlan - auch Troja wurde nicht in einem Tag besiegt! Wie unser nun in der Geisterwelt weilende Freund Silvio es sah, ist auch für mich das eigentlich schöpferische Prinzip in der Begriffsbildung das, was wir gemeinhin Aufmerksamkeit nennen - doch nicht, wie sie zumeist vorgestellt wird, als Scheinwerfer, der eine Landschaft beleuchtet, sondern als pulsierender Strahl, der einzelne Elemente im formlosen Meer der Erfahrungsmöglichkeiten aufieuchten läßt und durch die eigene Bewegung verbindet. Trefflich hat der Königsberger Weise dieses Meer „das Mannigfaltige“ genannt, eben weil die Aufmerksamkeit in jedem Augenblick auch andere Elemente aufieuchten lassen könnte. Das Geheimnis, teurer Freund, liegt in der Wahl und der Verwirklichung der ausgewählten Elemente. Die Nelken, die ein wohlerzogener Gast jüngst meiner Gefährtin schickte, sehen wir rot - doch was sollte Rot sein, bevor wir schauen? Die elektrochemischen Impulse, von denen die Erforscher unserer Gehirne sprechen, sind gewiß nicht rot, noch sind es die Photonen oder die unsichtbaren Wellen, die Physiker je nach den Umständen zur Erklärung der Lichtphänomene heranziehen, Farben und Töne, so meine ich wie viele vor mir, entstehen in uns; und die Bewegung unserer Aufmerksamkeit schafft Umrisse, Formen und Beziehungen.


((10)) Homer hätte gesagt, es seien Athena, Aphrodite und Ares, die jeweils unsere Aufmerksamkeit leiten, doch diese Vertreter göttlicher Vorsehung lassen sich auch heute kaum mechanisieren. Mir liegt seit jeher daran, die Götter aus dem Spiel zu lassen und alles Ontische als unergründlich zu betrachten. Drum nenne ich die Instanz, welche die Ergebnisse der Aufmerksamkeit zu unserer Wirklichkeit macht, Bewußtsein. Freilich ist mir klar, daß das nicht minder geheimnisvoll ist, als die Absichten der Unsterblichen, doch es klingt mir neutraler. Die Wissenschaft, dünkt mir, versucht allenthalben Mysterien auf Verständliches zuriickzuführen, doch ganz ohne Mysterium kommt sie nirgends aus. Ich sehe nicht, warum es mit unserem Wissen anders sein sollte. Doch der Versuch, das Geheimnisvolle auf ein Minimum zu reduzieren, scheint mir in allen Sparten der Mühe wert. Darum sehe ich, geschätzter Marco, den Versuchen, die Du und Deine Freunde unternehmen, das Wissen in Artefakten zu mechanisieren, mit Wohlwollen und Erwartung entgegen.


((11)) BIRBAUMER antworte ich zunächst, daß der Schritt vom Empirismus zum Konstruktivismus für mich keine „Wendung“ ((1)) war, da ich seit der frühen Lektüre von Locke, Berkeley und Hume, die ja als Gründer der empiristischen Denkweise gelten, an deren ursprünglichen Auffassung festhielt, daß die Welt der Erfahrung zu untersuchen sei, nicht die metaphysische „Realität“. Und was das Rechthaberische betrifft, so erwähnte ich es im Zusammenhang mit dem „täglichen Leben“ (EvG 60). Wissenschaftler werden und sollen auch weiterhin darüber streiten, wessen Theorie mehr Viabi- lität aufweist; doch das ist ein Streit, der durch Versuche beigelegt werden kann. Im täglichen Leben hingegen geht der Streit meistens um vorgefaßte Meinungen, die als objektive Beschreibung der Realität hingestellt werden.


((12)) „Natürlich ist richtig, daß unser Gehirn die Wett nach seinen Arbeitsprinzipien repräsentiert und somit diese Arbeitsprinzipien und nicht die objektive Welt die Grundlage unserer Erkenntnis sind“, schreibt BIRBAUMER (2). Doch dann mahnt er, wir sollten „die nachprüfbare Realität des Gehirns und seiner Dynamik nicht aus den Augen verlieren“ ((4)). Wessen Augen sind da gemeint? Hat das Gehirn eigene Augen, aus denen es verlieren kann, was es nach seinen Arbeitsprinzipien „repräsentiert“? Ich würde sagen, daß nur ein Beobachter etwas als Repräsentation von etwas anderem bezeichnen kann - und nur sinnvoll, wenn er das Repräsentierte mit dem vergleichen kann, was es repräsentieren soll. Deswegen glaube ich, daß wir weder die Realität des Gehirns noch die reale Welt repräsentieren können. Hingegen können und sollen wir die Behauptungen, die wir machen, so oft wie möglich in der von uns konstruierten Welt unserer Erfahrung nachprüfen, denn dort ist die Viabilität unserer Begriffe sowie unserer Vorstellungen von der Dynamik der Dinge lebenswichtig.


((13)) Eine kleine Korrektur kann ich mir nicht verbeißen. Was Pavlov, Thomdike, Hebb und Powers betrifft, so tut BIRBAUMER ihnen schlimmes Unrecht, wenn er sie mit Skinner in einen Behavioristentopf wirft ((3)). Obschon die vier, wie übrigens auch Lashley, Köhler und Wertheimer, Verhalten studierten, hätte keiner von ihnen die Behauptung unterschrieben, daß „Menschliches Verhalten die Funktion von Faktoren ist, die in der Umwelt liegen“ (Skinner, 1977, S.l), oder daß „die Funktionen von Persönlichkeit, mentalen Zuständen,


Gefühlen, Charakterzügen, Plänen, Zwecken und Absichten durch operant conditioning übernommen werden sollen“ (Skinner, 1971, S. 13,16). Powers wurde heftig von Behavio- risten und sogar von Skinner selbst angegriffen (Science, 21.Sept.,1973, und 29.Nov.,1974). Da BIRBAUMER dann Hebb zitiert, möchte ich einen Ausspruch dieses Autors wiedergeben, der es zumindest fraglich macht, ob man ihn mit dem Behaviorismus h la Skinner gleichsetzen darf. Hebb schrieb: „Auf einer bestimmten Ebene der physiologischen Analyse gibt es keine Realität außer dem Feuern einzelner Neuronen“ (Hebb, 1958, S.461).


((14)) DRIESCHNER findet es „sehr plausibel,... daß wir uns die Wirklichkeit um uns herum selbst konstruieren, und zwar nach unseren Bedürfnissen für das Überleben - im weitesten Sinn" ((2)). Die so konstruierte Wirklichkeit sei die einzige, „es gibt keine ‘andere’ hinter ihr“ ((1)). „Die so von mir konstruierte Realität ist aber - G. scheint das zu bezweifeln - die Realität Es ist nicht zu sehen, was eine andere, meinetwegen ‘ontologische’ Realität, wie G. sie einführt, daneben noch soll“ ((3)).


((15)) Mit Recht setzt DRIESCHNER diese Realität gleich mit Kants „Ding an sich“ und sagt dann, Kant habe die Welt der Erscheinung so überzeugend beschrieben, „daß man ihm schließlich gar nicht mehr recht abnimmt, daß dahinter ein unerkennbares Ding an sich sein muß - etwas, worüber man ohnehin nichts sagen kann“ ((3)).


((16)) Auch Kant hat die Unterscheidung der Wörter „Realität“ und „Wirklichkeit“ nicht konsequent durchgeführt und sich dadurch das Problem mit dem „Ding an sich“ geschaffen. So schreibt er zum Beispiel im Streit der Facultäten (1798) „Die Dinge also, worauf sich diese Vorstellungen und Begriffe beziehen, können nicht das sein, was unser Verstand vorstellt; denn der Verstand kann nur Vorstellungen und seine Gegenstände, nicht aber wirkliche Dinge schaffen" (S.71). Statt „wirkliche Dinge“ hätte er hier „reale Dinge“ schreiben sollen, denn in der Kritik der reinen Vernunft (1787) hatte er das „Ding an sich“ bereits als „heuristische Fiktion“ bezeichnet (S.799). Die fiktiven Vorstellungen jedoch stammen unter allen Umständen aus der Wirklichkeit unseres Denkens. Ihr heuristischer Wen liegt in der Praxis der Verständigung, denn sie erlauben uns, Dinge als gegeben anzunehmen; wobei es jedoch wichtig ist, sich klarzumachen, daß die Dinge, die wir in unseren Interaktionen mit anderen Menschen als gegeben annehmen, in der Vorstellung der Beteiligten nur in den jeweils relevanten Aspekten vereinbar, aber keineswegs in allen Beziehungen gleich sein müssen.


((17)) ECKES’ Einleitungsparagraphen von ((1-3)) erwek- ken in mir den Eindruck, er lebe in einer Gegend, in der es längst keine naiven Realisten mehr gibt. Er ist nicht der einzige in diesem Schlaraffenland (siehe FAULSTICH (4), WEBER (5), HOFFMANN (2), sowie A.a. LEIBER). Offenbar haben diese glücklichen Autoren nichts mit der Sorte von Lehrern, Ärzten und Universitätsprofessoren zu tun, die meine Umwelt bevölkert


((18)) ECKES bezeichnet die Auffassung eines vom Subjekt unabhängigen Wissens als „eine obsolete bzw. aus heutiger Sicht indiskutable erkenntnistheoretische Position“ ((2», die von Psychologen wie Bruner, Postman, Festinger und anderen längst überwunden worden ist. Dennoch spricht er von Dingen, die objektiv sein sollen, z.B. „natürliche Zeichen systemextemer Zustände" ((6)), und beteuert später, „die Welt ... ist erkennbar, wenn auch nur partiell..." ((11)). Die Kogni- tionswissenschaft, auf Grund der „Kovarianztheorie" ((6)), und die „konnektionis tischen Modellierungen“ ((13)) hätten das längst erwiesen. Das scheint mir zuviel gesagt. Seine Schluß- bemerkung jedoch hat mich beschämt: Er zitiert George Kelly - und das ist zweifellos ein naher Verwandter, den ich hätte erwähnen sollen.


((19)) FAULSTICH konstatiert, „daß die Übersetzung alter Fragen in neue Begriffe veränderte Sichtweisen und auch Einsichten ermöglicht“ ((2)). Er zählt die vier Gebiete auf, die ich in meinem Artikel als Quellen meines konstruktivistischen Denkens angab, und fragt dann, „ob hinter diesem Eklektizismus tatsächlich eine Theoriekonvergenz konstruiert werden kann“ ((3)). Daß es darum ginge, eine Konvergenz der Theorien des Skeptizismus, der Evolutionslehre, Piagets Kognitionsmodells und der Kybernetik zu konstruieren, ist mir nie in den Sinn gekommen und erscheint mir nun, da es erwähnt wurde, recht sinnlos. Das hindert mich aber nicht, auch weiterhin Begriffe, wie Faulstich sagt, aus diesen Sparten in mein Vorhaben zu übersetzen und dadurch manche neue Einsicht zu gewinnen. Daß ich z.B. das Verhältnis von „natürlicher Auslese“ und „Anpassung“ oder das Schema der Feedback- Mechanismen verwende, heißt doch nicht, daß ich auch das gesamte begriffliche Mobiliar der jeweiligen Theorie in meine Denkweise einbauen muß.


((20)) FAULSTICH arbeitet laut Autorenangabe auf dem Gebiet der Bildung und Erziehung, und da müßte m.E. auch er hier und dort die Beobachtung machen können, daß der naive Realismus, obschon er von einigen Vorsokratikem aufgegeben wurde ((4)), darum noch lange nicht ausgestorben ist (A.a. ECKES).


((21)) Da der RK ein Versuch ist, den Aufbau von Wissen ohne Bezug auf das Sein zu modellieren (was im Hauptartikel mehrmals deutlich gesagt, aber von Lesern ignoriert wurde) scheinen mir Hinweise auf Hegel und „die Frage nach dem Verhältnis von Sein und Geist“ fehl am Platz ((5)) (siehe auch A.a. LÜTTERFELDS).


((22)) Daß es FAULSTICH „nicht nachvollziehbar“ ist, wie „unerwartete Resultate“ Anstoß zum Lernen geben können ((7)), macht mich staunen - offenbar hat er sich nie gefragt, wie er das Gehen, Schlittschuhlaufen oder Rechnen (ganz zu schweigen von seinem erlesenen Deutsch) erlernt hat.


((23)) FLACKE danke ich für Aufmerksamkeit und Verständnis im Lesen des Hauptartikeis. Die Punkte, an denen er sich stößt, sind mir darum wichtig. Da ist zunächst die „Begründung“, weswegen ich einen „Umbau herkömmlicher Begriffe und gewohnter Gedankengänge“ (EvG 2) für nötig halte. Das Wort „Rechtfertigung“ wäre vielleicht treffender gewesen, denn, wie FLACKE vermutet ((5)), handelt es sich um eine interne Angelegenheit, nicht um die Entdeckung ontologischer Ausgangspunkte. Was Mach anbelangt ((7)), so lese ich aus


dem zitierten Satz (EvG 32), daß Tatsachen der Erfahrung angehören und eben, weil sie sich in der Erfahrung nie genau wiederholen, durch Assimilation Zustandekommen.


((24)) FLACKEs Bemerkung, daß ftir mich „die Vernunft die einzige richtige Quelle des Wissens ist“ ((10)), unterschreibe ich, vorausgesetzt, es ist klar, daß „Wissen“ sich ftir mich auf rationales Wissen bezieht An anderen Stellen meiner Replik mache ich deutlich, daß mir die Idee, mystische Eingebung, Intuition und Empathie könnten eine Realität uns näher bringen, keineswegs unsympathisch ist (A.a. BETTONI, LÜTTERFELDS, MEYER).


((25)) Was den sozialen Konstruktivismus betrifft, halte ich die Analyse von sozialen Interaktionen, Beziehungen und Einflüssen für äußerst notwendig und sehe nicht ein, warum sie aus einer dem RK feindlichen Stellung gemacht werden müßte. Allerdings erscheint mir z.B. Gergens Behauptung, daß „Individuen das Resultat von Beziehungen sind ... und daß Beziehungen grundlegender sind als Individuen“ (FLACKE (12)) einen elementaren Widerspruch zu enthalten. Was ich von Gesellschaft und sozialen Beziehungen weiß, beruht auf Erfahrungen, die ich selber machen und in Begriffe fassen mußte. Auch die Soziologie beruht letzten Endes auf den individuellen Vorstellungen von Soziologen. Daß diese Begriffe und Vorstellungen intersubjektiv ausgehandelt und verfeinert werden, dürfte nicht verschleiern, daß ihre eigentliche Quelle in der Erfahrung einzelner Individuen liegt Darum dünkt es mich unsinnig, soziologische Forschung mit der zumindest pseudo- ontologischen Behauptung zu beginnen, die Gesellschaft (und/ oder die Sprache) sei primär. leb glaube im Gegenteil, diese Sparte der Forschung würde fruchtbarer, wenn sie die konstruktive Rolle des kognitiven Individuums stets in Sicht behielte.


((26)) FURTH I would like to thank for the admonition to become more radical ((17)). As I leamed during my years in Ireland, it is never too late to go a little further.


((27)) However, much as I have tried, I am unable to see, what in my article could have led FURTH to say that my fo- cus is „on the perception of ‘something that is already there*“ ((1)). As I repeatedly stated elsewhere, I hold it with Berkeley when he explained that expressions such as „to be“ or „to exist“ can have no meaning outside our experiential world. What I do accept, is & negative definition of ontology; that is to say, I grant the possibility of an extemal world that can thwart our desires and upset our schemes of action. We register the per- turbation, but this in no way implies that we „perceive“ or „observe“ the structure or properties of a „pre-given reality“ ((6)). That I have not forgotten the Statement that „action, not perception, is the key concept of an adequate theory ofkrtowl- edge“ ((8)) seems to me to be inherent in a number of things I say. But FURTH is probably right: I should have explicitly made it dear that I consider „perception“ not a passive re- ceiving of data but an active construction on the pari of the perceiver. The Statement at the end of my first paragraph (EvG 1) was obviously not sufficient.


((28)) I would say that also Piaget’s notions of „occasion“ and „opportunity“ ((4)) presuppose something that affords such possibilities, and this seems to go together very well with my notion of „viability“. As I have understood it, „assimilation” ((5)) entails the disregarding of differences (relative to a pre- vious constnict). Consequently it allows repetition - and rep- etition leads to regularities and rules which form the scaffold- ing for the construction of gut experiential reality.


((29)) I agree that a theory of knowing must fit into a „societal frame“ ((15)), but I believe that knowledge is constmcted by individuals. Much of this construction takes place within the constraints of a social group (see the third level of viability (EvG 27)), but the theory must also account for the ränge of knowledge that we can and often do derive quite by ourselves from interactions with the constructs that fumish our own, subjective experiential world.


((30)) I see no incompatibility with Furth’s notion of „desire“. As Ihave frequently said, our models of living organisms (not only human) explicitly or impticitly involve at least primitive values - and any scale of values is likely to generate desires.


((31)) Given that some thirty other critics consider my con- structivism totally tnisguided, I am grateful for Furth’s Statement ((17)) that it „points in the right direction“.


((32)) GOORHUIS hat mir mit seiner Kritik große Freude bereitet Seine positive Reaktion, sagt er, rühre nicht von der „Überzeugung, daß in dieser Theorie irgendeine Wahrheit steckt sondern (sei) aus rein pragmatischen Gründen entstanden“ ((2)). Damit hat er die Zielsetzung des RK richtig erkannt und darum ist es nun ein Vergnügen, die „Begrenzungen“, die er sieht, aus meiner Perspektive zu untersuchen.


((33)) Zunächst möchte ich da sagen, daß die Viabilität eines Konzepts stets von dem Subjekt angenommen wird, das das Konzept geschaffen hat ((5)). Doch Viabilität hat mehrere Stufen. Daß der Weg durch eine geschlossene Türe nicht via- bel ist merkt man zu allererst dadurch, daß man anstößt was man dann sehr schnell vorherzurehen lernt. Woran man stößt kann man aber nur in Begriffen denken, die man vom Anstoßen hier und dort an andere Gegenstände abstrahiert hat (siehe „Tatsachen“ in der A.a. FLACKE). Was „real“ daran ist weiß man nicht und kann man darum nicht sagen, denn es läßt sich mir in Wörtern beschreiben, die mit den unterschiedlichen Arten des Anstoßens (tastender, visueller oder auditiver Art) assoziiert worden sind.


((34)) Auf der zweiten Stufe erweisen Begriffe sich als nicht so viabel, wie man sie möchte, wenn sie Widersprüche mit anderen Begriffen hervorrufen; auf der dritten, wenn sie in Interaktionen mit anderen Beteiligten nicht so funktionieren, wie man erwartet hat ((6)). Dabei ist freilich daran zu erinnern, daß „die anderen“ zwar von einem selbst konstruiert werden, aber keineswegs frei wie man will. Denn bei der Konstruktion von anderen erweisen diese sich mindestens ebenso widerständig, wie die Gegenstände, die man „Türe" oder „Wand“ nennt. Inwieweit diese Hindernisse einer Realität zu- zuschreiben sind oder der fehlerhaften eigenen Konstruktion, bleibt m.E. unergründlich.


((35)) Wie sehr ein Subjekt sich anstrengt, Perturbationen zu sanieren und sein inneres Gleichgewicht zu erhalten, und wie


es dies macht ((8-11)), ist selbstverständlich eine individuelle Angelegenheit, doch im Hauptaitikel lag mir daran, zumindest eine allgemeine Richtung aufzuzeigen.


((36)) Zur Autonomie und der „inneren Befreiung“ östlicher Philosophien kann ich hinzufügen, daß Powers in seiner Kontrolltheorie (EvG 37) als einer der ersten erklärt hat, ein lernendes Feedbacksystem kann eine Perturbatio» auch dadurch neutralisieren, daß es den betreffenden Sollwert ändert Wtr kennen das alle recht gut denn wenn das Erreichen eines Ziels, das wir gewählt haben, allzuviel Anstrengung erfordert sind wir zuweilen bereit, es aufzugeben.


((37)) GRÖSSING schreibt im Bezug auf Kognition, daß „die ‘inneren’ Prozesse ein ‘Echo’ von Prozessen beinhalten, die sich in der Außenwelt abspielen“ ((4)). Echo heißt Widerhall, und auf Grund unseres viabten Wellenmodells bedeutet das, daß ein Schall auf ein Hindernis stößt und von ihm zurückgeworfen wird. Wir hören das Echo, schließen auf ein Hindernis, haben aber keine Ahnung, was es ist außer der Annahme, daß es laut unserer Theorie Schall zurückwerfen kann. Kurz, wir wissen um ein Hindernis, kennen es ab« nicht (Der unvergeßliche Deutschlehrer in meiner Schweizer Mittelschule der Zwischenkriegszeit war ein Freund von Thomas Mann und teilte mit diesem die Passion für präzisen Sprachgebrauch. Unzählige Male warnte er uns, den romantisch vernebelnden Ausdruck „wissen um etwas“ nie und nimmer zu benützen. Die schöne Echo-Metapher schafft nun einen Kontext in dem die verpönte Ausdrucksweise mir durchaus sinnvoll erscheint)


((38)) Die „gegenseitige Abstimmung zwischen inneren und äußeren Prozessen“ ist also nicht eine notwendige Voraussetzung für die Entwicklung unserer „Kognitionsapparate“. Diese Einsicht war m.E. Piaget durchwegs geläufig, denn in dem grundlegenden Buch La construction du riet chez l'enfant (1937) - lange vor Biologie und Erkenntnis (1974) - hat er gezeigt daß in seiner Theorie Objekte, Raum, Kausalbeziehungen, Zeit und die Realität als Ganzes von einem kognitiven Organismus aus sich heraus konstruiert werden können. Die .Außenwelt“ in GRÖSSINGs Piaget-Zitat ((3)) kann man sich also recht gut als Konstruktion aus „Echos“ denken. Als Nichtphysiker scheint mir das auch für das Sammeln „numerischer Daten“ ((2)) zu gelten: perse, d.h als Zahlen, sind sie „kontextfrei“, doch was der Physiker zählt oder mißt sind wiederum Echos und Echo-Sequenzen.


((39)) Mit GRÖSSINGs Charakterisierung der „großen Erzählungen“ ((6-8)) bin ich einverstanden. Ich sehe den RK nicht als solche, denn er macht keinerlei Anspruch auf Ausschließlichkeit (siehe auch KÖNIG (7)) und bemüht sich vielmehr, die Untragbarkeit dieses Anspruchs seitens der großen Erzählungen aufzuweisen.


((40)) HEISE/GERJETS trennen in ihrer Kritik zwei Interpretationen des RK: Erstens als „Theorie des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses“, zweitens als „Theorie des menschlichen Wissens und somit als kognitionspsychologische Theorie“ ((1)). Im Hinblick auf die erste Auslegung ziehen die Autoren eine „strukturalistische Theorienkonzeption" zum Vergleich heran, die sie als Weiterentwicklung des Empirismus betrachten ((2-6)), und kommen zu dem Schluß: ,J):e strukturalistische Auffassung von Theorie» oad ihrer Funktion ins Porscfauagsprozess scheint usss durchgängig gut verträglich mit vG’s Position za sein“ ({6».


((41)) Die kognitionspsychologische Interpretation wirf mit des Anschauungen emscHägiger gegenwärtiger Autoren in Bezug auf „mentale Repräsentationen“ vafüefaea ((7-10» und die beide® Kritiker finde», daB die diesbezügliche Auffassung des RK den traditionellen Vorstellungen nur dann widerspricht, „wem dies® in naiv-realistischer Waise »satale Reprisenteti©- nen als mehr oder weniger konekte Abbilder einer objektiv gegebenen Realität »seihen“ was aber Im allgemeines» nicht der Fall sei ((10)). Mir Uimgl Äs etwas zu optimistisch. Anderson iw Beispiel, der einzig® der von den beides Kritikern zitierte Autor, der mir bekannt ist, hat s© wenig Sympathie für den Konstruktivismus, daB er in seinem Bush über Lernen (1995) weder Hagel noch di© Forscher erwähnt, dä© sich in den Vereinigtes Staaten in dfer IDidaktfik der MiÄemaÄeinen Mamas gemacht haben. Der Grand liegt meines Erachtens darin, daß die Anhänger des „Information Processing" und der „Cognitive Science“ zuweilcu zwar die Kowtrote des- beobachteten Versuchspersonen als subjektiv und relativ betrachten, für ihre eigene Theorie aber doch objektive Wahrheit beanspruchen möchten. Der RK erlaubt dass nicht, denn er sieht sich selbst nicht als Beschreibung einer Realität, soadem bestenfalls als ein Modell, das sich im Gebrauch nützlich erweist


((42)) Das ist nun auch der Grand, weswegen nsir die Trennung von wissenschaftlichem und alltäglichem menschlichem Wissen ((1)) nicht behaglich ist Insofern Wissenschaftler wahlnehmen und denken, operieren sie von meinem Gesichtspunkt»! kognitiv. Was ich z.B. In Anlehnung an Piaget Über Assimilation, Akkommodation, Reffexios und Viabilität aus- fiihrte (EvG 23-35), scheint für Denken überhaupt zu gelten und darum auch für das Denken von Wissenschaftlern, Ich sehe nicht, wie Wissenschaft ohne Begriffe von MdtrasW, individueller Identität, ObjeMkoastaiiz, Veränderung und Extension (EvG 45-55) überhaupt beginnen Maate und darum glaube ich, da® sie ebenso auf diesen kognitives Operationen benäht wie die Wiridichkeitskonstnaktiogien von Hadera und Laien. Wissenschaftler miss« zwar ia ihren Begriffsverbsn- dungen etwas vorsichtig« und systematischer Vorgehen, als man das Ija alltäglichen Besten tat, doch die Welse, wie sie Begriffe und Begriffsverbindungen schaffen, scheint mir im Prinzip die gleiche zu sein.


((43)) Wem Heise und Gerjjets abschließend schreib»:, JSie Argumente vG’s erscheinen uns überzeugend, renne® jedoch offene Türen ein“ ((13)), so werde® die vorliegenden Kritiken ihnen vor Auges führe®, daB es noch eine gmm Menge verriegelter Türen gibt.


((44)) BBIffitMS hat recht, wenn er schreibt, wichtiger als der Wettbewerb mit anderen Erkenntnistheorien sei es für den RK, sich in der Praxis der Disziplinen durchzusetzen, in denen er relevant wäre ((2)). Die beiden Streitgebiete sind aber nicht so leicht za temssen, wie es auf den ersten Blick scheine® mag. In der Didaktik der Mathematik spiele® konstruktivistische Ideen seit fast zwanzig Jahres eine Rolle, werden aber nach wie vor heftig angegriffen - nicht weil sie sich etwa als erfolglos erwiesen, sondern well sie herkömmliche theoretische


Anschauungen gefährden. Die bissigsten Angriffe kemusen meistens von Vertretern eines Empirismus, in dem di® empirische Grundidee des Erfahrungsbezugs mit naivem Realismus verwechselt wirf. So wird man iramer wieder zw „philosophischen“ Diskussion gezwungen ((11-15)). Ein gutes Beispiel ist die Physik, wo sämtliche Koryphäe® hier und dort konstruktivistische Bekenntnisse msetei, während die Lehrer ihre Wissenschaft als den goldenen Weg zw Realität »preisen. Die Schwierigkeiten - HERZOG nennt sie „Gefahren“ ((3-10)) -, die sich der Verbreitung ued dem Verständnis des RK entge- geastellen, beschreibt er ausgezeichnet, doch Gebiete zsa finden, wo sie ohne philosophische Argumente frontal begegnet und überwunden werden könnten, ist nicht leicht. Darum wiederhol® ich so oft, daß die koestsuktivastisete Denkweise vor allem im eigenen täglichen Leben auszuprobiereis ist.


((45)) HOFFMANN beginnt seine überaus feinkörnige De- koissirtiktioffi des Hauptartikels mit der Feststellung, daß meine „Entgegensetzung“ von RK und traditioneller Erkenntnistheorie „allzu schematisch“ sei ((2)). Bereits Platara sei von einer „rational strukturierten Welt" ausgegangen, habe aber keineswegs Iskeaatels als „Widerspiegelung“ begriffen. Buch- stäblich ist das sicher richtig. Doch daß der Erkennende sich laut Platon tafhsam an die ewigen Formen erinnern muß, die Gott ursprünglich in die uaslerMielte Seele eingebaut hat, scheint mir nicht allzu weit von Widerspiegelung präexistess- ter Strukturen entfernt Auch die Behauptung, „Kants ‘Konstruktivismus’ ... kann durchaus als ‘herkömmlicHt* gelten“ kann ich nicht mit meiner Bedeutung von „herkömmlich“ vereinbaren (siehe A.a. ECKES).


((46)) Ganz unklar, schreibt HOFFMANN, sei ihm „das Verhältnis (meiner) Wissenstheorie und ihren möglichen "Anwendungen’ in lebensweltlichen Kontexten“ geblieben ((4)). Im Rahmen dies«' Replik kass ich das nicht klarer machen, als durch die wiederholte Feststellung, daß z.B. im Fofscläuugs- lafeoratorium, in der Schute, in der Psychotherapie, vor allem aber im täglichen Zusammenleben mit anderen vieles leichter und fruchtbarer wird, wenn die Beteiligten ihr Wisse® Ms weitgehend individuelle Konstruktion ra betrachten beginnen.


((47» Mas kam nicht oft genug daras? entwert werden, daß Logik „exteusioBsorksstierte“ (d.h. siel» auf Erfahrungen beziehende) Behaapfiioge» „weder ausscUfeBem noch bestätigen“ kaaa (siehe A.a. MITTERER). Dennoch ist es im allgemeinen Sprachgebrauch zulässig, m sagen, daß „logisch ausgeschlossen“ sei, was sich ms den angenommenen Primassen nicht ableiter» läßt. Und da die Skeptiker die Efkliranig des Xenophanes, daß die Realität unnahbar sei, als Prämisse an- aatimem, konnten sie deren naturgetreue Spiegelung „logisch ausschließen“ ((6)).


((48)) Da hier im Zusammenhang mit der Realität auch Feime erwähnt wird ((9)), kauf! ich darauf hinweisen, daß man bei diesem Autor lesen kann: „Die Abduktion verläßt sich auf di© Hoffnung, daß zwischen der Vernunft des Denkenden und der Natur genügend Affinität besteht, so daB das Raten eicht hoffnungslos ist“ (1931-1935, Bd.l, §121; siehe Definition von .Abduktion“ in A.a. TASCHNER).


((49)) HOFFMANN hat vollkommen recht, wenn er abschließend verlangt, RK solle „sich angesichts der richtig erkannten Probleme des Erkennens um einen Rationalitälsbegriff... bemühen, der zumindest die Abgrenzung von Irrationalität erlaubt“ ((10)). Meine Bemühungen in dieser Richtung haben mich bisher nicht über die Auffassung hinausgebracht, daß Rationalität sich bestenfalls von innen abgrenzen läßt, weil eben die Sphäre des Irrationalen unendlich ist (A.a. SEILER).


((50)) JANICH: Die Methode des Aufbauens, mit der JANICH und der „Methodische Konstruktivismus/Kulturalis- mus“ sich so eingehend befassen, betrifft, soweit ich verstehe, den Aufbau der Erlebenswelt. Janich schreibt am Anfang seiner Kritik, es falle ihm leicht, dem RK in seinen Grundanliegen zuzustimmen. Dieses Grundanliegen ist es, zu zeigen, daß „alle Varianten realistischer, ontologischer oder Abbildtheoretischer Art sinnlos und/oder unhaltbar“ sind ((1)).


((51)) Die „Defizite“ des RK in Bezug auf Sprachphilosophie, Pragmatik und Kultur, die JANICH dann im Vergleich zu seinen eigenen Anschauungen feststellt, rühren seiner Ansicht nach von meinem „grundsätzlichen Anschluß... an naturwissenschaftliche Ergebnisse“ (insbesondere jene von Mach, Piaget, Darwin und Wiener) ((2)).


((52)) Die in meinem Artikel angedeutete „Bedeutungstheorie“ dient mir vor allem dazu, die weitverbreitete Ansicht zu widerlegen, daß Sprache Begriffe und somit Wissen von Sprechern zu Hörern transportieren kann, und darum keineswegs eine umfassende Sprachtheorie sein will. Das schien mir schon daraus klar zu werden, daß ich den Bedeutungsaufbau hauptsächlich im Kind beschreibe und hinzufüge, daß die Segmentierung der Erlebens weit, auf der Wortbedeutungen beruhen, ,4m Laufe weiterer Erfahrung durchwegs mehr oder weniger geändert werden muß, um mit dem Sprachgebrauch der Erwachsenen einigermaßen übereinzustimmen“ (EvG 40). Nimmt man das zusammen mit meiner Verwendung des Viabilitätsbegriffs, so ergibt sich, meine ich, genau das, was JANICH .Einbettung von Spracherwerb und Sprachausübung in eine konstruktivistisch rekonstruierte Praxis einer menschlichen Gemeinschaft“ nennt ((3)).


((53)) Daß Piaget den Unterschied zwischen „Widerfahrnissen“ und absichtlichen, zielstrebigen Handlungen im Dienst einer „sozial hinreichend kompetenten Teilnahme am Alltagsleben“ glatt vergessen habe ((4)), ist eine Behauptung, die ich mir nur durch die Annahme erklären kann, daß JANICH erstens den bei Piaget wichtigen Unterschied zwischen senso- motorischen Handlungen und mentalen Operationen nicht wahrgenommen und zweitens Piaget’s ttudes sociologiques (1965) nicht gelesen hat. An mehreren Stellen dieser Sammlung von Essays behandelt Piaget den maßgebenden Einfluß sozialer Interaktion und Kollaboration auf die Konstruktion von Aktionsschemas und Operationen in der Entwicklung des Einzelnen.


((54)) Auch glaube ich, daß es selbst unter den verachteten „Naturalisten“ wenige gibt, die „nicht zwischen einem Termitenhügel und einem gotischen Dom unterscheiden können“ ((4)), denn daß der eine als Wohnung benützt wird, der andere hingegen zum Beten und ähnlichen geheimnisvollen Tätigkeiten, läßt sich kaum übersehen. Offensichtlich haben beide


sich im Lauf der Zeit vom Gesichtspunkt der Benutzer aus als viabel erwiesen.


((55)) In seinem letzten Absatz schreibt JANICH, ich hätte es unterlassen, die in meinem »Ansatz investierte Übernahme naturwissenschaftlicher Denkweisen und Resultate selber konstruktivistisch in Frage zu stellen und zu rekonstruieren“. Da ich m meinem Artikel als Beispiel Konstruktionsmodelle für Mehrzahl, Objektpermanenz, Wandel aller Alt» Zustand, Bewegung und Ausdehnung vorgeschlagen habe (EvG 46-55) - Begriffe, ohne die auch Naturwissenschaftler nicht viel machen können - sollte klar sein, daß ich das Denken in der Wissenschaft als Konstruktion und die Ergebnisse prinzipiell als mehr oder weniger viable Modelle betrachte, ohne sie notwendigerweise im Einzelnen zu „rekonstruieren“. Wenn die Arbeiten der Erlanger und Maiburger Methodologen den Konstruktivismus durch solche Rekonstruktionen radikaler machen, so kann mich das nur freuen, denn ich glaube nicht, daß es Ceccatos und meinen Begriffsanalysen die eigene, grundlegende Radikalität nimmt.


((56)) KÖNIG ((6)) zitiert Böhmes Ausdruck „Widerstän- digkeit der Wirklichkeit“ und dessen markerschütterndes Beispiel eines nicht „brauchbaren“ Frühstücks. Freilich würde auch ein Blinder daraufkommen, daß es nicht viabel ist, auf ein Stück Ziegelstein zu beißen, und daß es peinliche „physiologische Konsequenzen" hätte. Hoffentlich ist das ein Stück der Wirklichkeit, die er sich bereits konstruiert hat Doch selbst das Zersplittern seiner Zürne wäre zwar schmerzhaft, aber wissenstheoretisch doch nur eine Erfahrung, die prinzipiell nicht mehr über Realität besagt, als das Ticken der Uhr in Einsteins Gleichnis (EvG 8). Der Wider- oder Gegenstand, den der Blinde zu spüren bekommt und dann hoffentlich dank eines bereits angefertigten Konstrukts als Stein „erkennt" (d.h. assimiliert), läßt sich nur in Begriffen denken, die durch Abstraktion aus vielen vorhergehenden Widerstandserlebnissen gebildet wurden (siehe such A.a. GRÖSSING).


((57)) Daß man aus dem RK keine .Anweisungen für das praktische Handeln“ gewinnen kann ((10)), scheint mir z.B. dadurch widerlegt, daß es in der Didaktik bereits mehrere Bücher gibt, die über seine Anwendung im Mathematik- und Phy- sikunteiricht berichten.


((58)) KONRAD stellt eine, soweit ich es beurteilen kann, verläßliche Zusammenfassung anderer mehr oder weniger konstruktivistischer Denkscbulen meinem Konstruktivismus gegenüber und überläßt es dem Leser, eine Wahl zu treffen. Ihre eigene Stellung charakterisiert sie durch ein Zitat von Popper» demnach der Fortschritt der Erkenntnis „in der Verbesserung des vorhandenen Wissens (besteht) in der Hoffnung der Wahrheit näher zu kommen“ ((4)). Da dieses Näherkommen nur ermessen werden könnte, wenn man Zugang zu jener Realität hätte, in der Dinge-an-sich „existieren“, halte ich die erwähnte Hoffnung für einen metaphysischen Wunschtraum. Popper behauptete, daß der Verzicht auf diese Hoffnung zur Stagnation der Wissenschaft führt (Popper 1963, S. 114). Ich bin offensichtlich nicht dieser Meinung.


((59)) Nur an wenigen Stellen weist KONRAD ausdrücklich auf begriffliche und sprachliche Unterschiede zwischen meiner Auffassung und jener anderer hin. Um dem Leser Vergleiche möglich 20 machen, wäre das wohl nötig. Nun schreibt sie aber z.B.ä propos F.Wallner, dieser unterscheide zwischen „Realismus“ und „Wirklichkeit“, während ich „Illusion“ und „Wirklichkeit“ sowie zwischen „subjektivem" und „objektivem“ Urteil differenziere ((6)). Da wäre es wichtig zu «Hären, dafi ich das deutsch© Wort „Realität“ benütze, uns die unmögliche Vorstellung von einer ontischen Welt von der alltäglichen da- erlebten „Wirklichkeit“ zu antersciseidea (sieh© BvG 10,13,17,57) »ad dana die Gegenüberstellung von Illusion und Wirklichkeit md jene vom subjektivem Bad objektivem Urteil in der Erlebens weit mache.


((60)) Welchen Konstraktivisaias Leser und Lesenesseu aas der hier gebotenes Zusammenstellung als den brauchbarsten betrachten wollen, hingt von ihnen selber ab. Mein Vorschlag beansprucht nicht, „wahr“ zu sein, sondern will lediglich in der Praxis des Lebens und Denkens ausprobiert werden.


((61)) KEÜGEE kann ich aun erwidern: Hätte ich meinen Artikel als „PR-Aktion“ für mein Buch geschrieben ((!)), so wäre es eine peinlich© Fehlrechnung gewesen, Etwa eia Drittel der Kritiker haben es oder »deres von mir bereite gelesen, und unter dea restlichen zwei Dritteln ist kaum einer, der mit dem Artikel nicht mehr als genug hat Tatsächlich wandte ich eingeladeu, mich mit einer Zasammiafassung meiner Ideen der Diskussion auszusetzen, wofür ich der Redaktion der EuS ausgesiebte der reichhaltigen Kritikea überaus dankbar bin.


((62)) Daß „konstruktivistische Ansitz©“ schon seit längerer Zeit in unterschiedlichen Disziplin« diskutiert werden, ist mir zumindest teilweise bekannt. Es ist mir ein Ansporn, den RK immer klarer und unmlßvrastliidlicfaer zu erkläre®, denn was da diskutiert wird, hat oft mit den eigentlichen Idee® reck wenig za tu®. Im Hauptartikel wollte ich die radikale Wtessrnstheofie so gut ich konnte als Ganzes auspacfas», damit der aufmerksame Leser feststellen kann, wie weit RK sich von anderen Konstruktivismen entfernt Die Distanz voa den „sozialen" Versionen ist besonders groß, da der RK eine Theorie des individuellen Wissens ist und somit auch die Gesellschaft und alles was mit ihr in Eusamtnenhaag gebracht werfen kann als Konstruktion des einzelnen Subjekts befrachtet» muß (A.a. PLACKE). Ich wiederihsole: & geht am Wissen, nicht uni Sein.


((63)) KULLerklirt, die Ansicht, „woaacti es in der herkömm- lichen Erkenntnistheorie stets ran die Erkenntnis einer ‘Welt an sich’ gegangen sei,... ist seit Kant obsolet“ ((2)). Er bemerkt jedoch, daß Kants „Kopemikanische Wende“ in der PW- losophiegeschichte „mancherlei Verwässerung“ erfahren hat und es darum ein klein« Verdienst ist, ihr wieder m ihrem Recht zu verhelfen. Im Nachhinein ist mir klar, da£ ich Kant in meinen» kurzen Abriß der epistemologischen Vorgeschichte härte erwähnen sollen. In meinem Buch ist er ausführlich gewürdigt, doch beim Schreiben des Hauptertikels lag mir vor allem daran, meines» eigene® Weg zum RK plausibel zu machen. Dieser Weg war selbstverständlich idiosynkratisch und mußte zudem drastisch abgekürzt werden. Außer Leitatz ((5)) bitte ich auch Vtco, Schopenhauer, Nietzsche, Vaihinger, James, Bogdanov, Collingwood, Etewey und einige andere, von denen ich gelernt habe, erwähne» können.


((64)) Hingegen stimm© ich gmz ui&d gar nicht mit der Feststellung überein, meine Darstellung stütze sich auf Ergebnisse der Wissiasofeail, weil ich ausführlich auf Plaget eingehe ((4)). Wie das Zitat (EvG 25) nabelegt, war es die epistemolo- gische Interpretation der Anpassung und des wissenschaftlichen Denkens, sie Plaget sein Leben lang beschäftigte». DaB Pliilosoplien itm dwefewegs ignoriert haben, ist m.E. eine unverzeihliche Uiterlassuiägssüfide.


((65)) Daß mein Konstruktivismus - oder andere „aufgeklärte“ Denkweisen - Fundamentalisten bekehren könnten, glaube auch ich meist ({13)). Doch die Lehipraxis hat mir einige Male bestätigt, daß ein bißeben Konstruktivismus manche Studenten und Studentinnen vor dem Abrutschen in fundamentalistische Wahnideen bewahren kann.


((66)) KURTs Konmentar zeigt: Wen® man von der Überzeugung aasgeht, eise Wisseastheorie ohne ontologische Be- gründungen sei prinzipiell ausgeschlossen, dann muß mau den RK ®J$ üMiimig betrachten. Nicht so selbstverständlich ist es, daß dem RK dann ganz unzutreffende Absichten und Behauptungen zugeschrieben werden. KURT bestätigt, daß es mir nicht „um di© soziohistcrische Entwicklung eines Denkst»- ddls“ geht, schießt ater dasai, daB ich zeige® will, meine Theorie „sei immer schon da gewesen“ ((3)). Das wollte sch nicht sagen. Wenn ich schrieb, „daß menschliche Beobachter die Begriffe mit denea sie Erlebnisse und Erfahrungen erfaasen, nicht entdecken, sondern erfinden, hi keineswegs ecu“ (EvG 9), heißt das nicht mehr, als daß dieser eine Schritt bereits von den sehr unterschiedlichen Denkern, die ich zitiere, versucht wurde.


((67)) Auch Husserls Phänomenologie verzichte, so schreibt KUXT, „auf die Annahme der Erkeaffibwkeit ‘einer realen Welt’“ und setee an ihre Stelle die „Lebenawelt... Und diese Welt Alb wir nicht. Wir finden sie vor“ ((6)). Wie tun wir das? Sickert sie so, wie sie ist, in ans hinein? Oder koisstnm@- r©a wir sie auf Grund vo® Erfahrungen, di© wir in unseren eigenen Begriffen begreifen?


((68)) KURTs Behauptung, ich wolle „die ganz© Menschheit umfassen“ ((3)), gründet sich anscheinend auf msias Bemerkungen über den Anfang der Geistesgeschichte und läßt sich kaum damit vereinbaren, da® ich den RK als Vorschlag bezeichne (EvG 2) «ad meinen Artikel mit der Warnung schließe, der RK mache kein« Anspruch auf „Wahrheit“ im philosophischem Sinn und sein Wert könne sich stur in der Praxis denkender Individuen erweisen (EvG 64). Da er Bewohner des Himalaja erwähnt, kioa ich hinzufügen, daß RK sich gar nicht so sehr vom gewisse« Fonnsia der tibetanisch/buddhistischen Philosophie unterscheidet.


{(69)) LAUS zitiert eine Ontologie-Definition von Luhmann ((2)) und behauptet dann, daß ich Ontologie betreibe, weil ich „die Frage diskutiere, ob oder wie die Erkenntnis einer Realität an sich möglich sei“ ((3-4)). Zwar habe ich wiederholt geschrieben, daß wir m.E. von der ontischen Welt nichts wissen können, doch wenn das „Ontologie betreiben“ ist, dann kann niam mich auch einem Spiritisten nennen, weil ich manchmal erkläre, daß ich von Geistern keine Ahnung habe.

((70)) LAUS schreibt aber auch, daß die Realität „als Resultat einer Operation eines Beobachters“ gedacht und somit vom Sein abgelöst werden kann ((5)). Das hat mein Freund Silvio Ceccato, der Erfinder der consapevolezza operativa schon vor 50 Jahren gesagt, als er die Begriffssemantik gründete (siehe A.a. BETFONI); und ich möchte darauf hin weisen, daß mein Diagramm in (EvG 46) eine ziemlich deutliche Darstellung der mentalen Operationen ist, die das „Sein“ hervorbringen.


((71)) LEIBER bemerkt gleich, daß ich meiner Auffassung entgegengesetzte „Grundhaltungen... pauschalisierend formuliere“ ((2)). Das ist freilich so. Erstens fehlt mir die solide Basis eines akademischen Philosophiestudiums (was ich sehr bedaure) und zweitens finde ich in meiner Gegend keinen gelernten Philosophen, der bereit wäre konstruktivistische Ideen ernstlich zu diskutieren. Darum bin ich LEIBER für seine Ausführungen sehr dankbar und prinzipiell bereit, sie als Korrekturen anzunehmen.


((72)) Das gilt jedoch nicht für die Zweifel in Bezug auf meine Verwendung des Wortes „herkömmlich" ((2)). Wenn ich von einer,.herkömmlichen Erkenntnistheorie“ sprach, so meinte ich jene, die dem Denken und vielem Handeln der meisten Menschen seit jeher als Grundlage dient In meiner Erfahrungswelt kann ich diese Grundlage ohne Bedenken naiv-realistisch nennen. Obschon ich selbst eine Reihe von Denkern zitierte (zu der andere hinzugefügt werden können; A.a. KULL), die dem Realismus zu entkommen trachteten, glaube ich, daß auch heute und besonders in den Vereinigten Staaten die eine oder andere Form eines metaphysischen Realismus in den meisten philosophischen Abteilungen maßgebend ist Auch was die Umstellung der Wissenschaftler anbelangt ((4)), so habe ich z.B. Helmholtz schon oft zitiert und man könnte einige mehr aus dem vergangenen Jahrhundert nennen (sowie m.E. auch Leonardo da Vinci und Torricelli). Doch wenn man in heutigen Forschungszentren und Laboratorien zuhört, bekommt man nicht den Eindruck, der Realismus sei ausgestorben.


((73)) LEIBERs Bemerkung in Bezug auf Sozialkonstruktivismus stimme ich voll und ganz bei (siehe meine kurze Erklärung an KRÜGER). Dem Ausdruck „Minimalrealismus“ bin ich in meiner eklektischen Auswahl der Lektüre noch nicht begegnet und weiß darum nicht was darunter verstanden wird.


((74)) LÜTTERFELDS zieht in einem frontalen Angriff gegen die These „daß wir eine Welt jenseits unserer Sinne und Begriffe nicht ‘erkennen’ können“ (EvG 14), zunächst Hegel heran, der mir als eklektischer Leser stets abseits lag. Damm verlasse ich mich auf das angeführte Zitat: „Gerade darin, daß menschliches Wissen überhaupt von einem Gegenstände weiß, unterscheidet es den Gegenstand, wie er unabhängig von ihm existiert vom Gegenstand, wie es ihn weiß“ ((3)). ln der konstruktivistischen Perspektive taucht ein Gegenstand in der Wirklichkeit eines Subjekts erst dann auf, wenn das Subjekt ihn konstruiert. Die Konstruktion des Gegenstandes kann dem Auftauchen sogar lange vorausgehen, wie es etwa bei den Quarks der Physiker der Fall ist. Damit wird das von Hegel geborgte Argument für mich hinfällig, denn von einem Gegenstand, den ich noch nicht konstruiert habe, kann ich nichts wissen - und Eingebungen von ihm sind Sache der Mystik.


((75)) Dann kommt das Argument, das eine negative Aussage in eine positive verdreht: „Denn in der Angabe dessen, was wir nicht rational erfassen können, liegt eine rationale Wirk- lichkeitserfassung bereits vor“ ((3)). Meint LÜTTERFELDS hier ein Verstehen der Erlebenswirklichkeit, dann kann ohne weiteres dazugehören, daß man etwas außerhalb ihrer fürmög- lich hält Doch ich glaube er meint .Realitätserfassung“, und an die kann meine Vernunft nicht heran.


((76)) Ganz einverstanden bin ich mit der Feststellung, daß „alle Erkenntnistheorien, samt ihrer Kritik“ ((12)) notgedrungen „zirkulär“ sind. Das fängt damit an, daß ich als Halbwüchsiger^ wie wohl die meisten anderen - die Welt meiner Erfahrungen mit Mitteln zu ordnen und zu „erklären“ beginne, die ich mir auf Grund dieser Welt zusammenbasteln muß; und es hört mit dem Versuch auf, das Rationale rational zu analysieren. Das heißt aber nicht unbedingt, daß ich metaphysische Zuflucht suchen muß. Man kann auch unbegründete Voraussetzungen als Ausgangspunkt verwenden, nicht als „ontologische Gegebenheiten" ((13)), sondern als schlichte Arbeitshypothesen zur Konstruktion eines „Modells“, das man dann, auch wenn es funktionieren sollte, doch nicht als Repräsentation einer Realität betrachtet


((77)) Eine dieser Voraussetzungen ist bei mir das Bewußtsein des konstruierenden Subjekts ((6)). Ich habe kein Modell und keine Ahnung wie es funktioniert, habe auch bis heute von keinem befriedigenden gehört. Doch ich kann mir einiges von dem zurechtlegen, was es tut; z.B. wie Humboldt so schön sagte: „in seiner fortschreitenden Tätigkeit einen Augenblick still stehn, das eben Vorgestellte in eine Einheit fassen, und auf diese Weise, als Gegenstand, sich selbst gegenüberstel- len“ (Humboldt, 1907, S.581).


((78)) Damit erübrigt sich auch Lütterfelds' Einwurf von ((5)), daß das Gleichgewicht, von dem ich spreche, „das Verhältnis des kognitiven Organismus zu seiner externen Welt“ betrifft, weil ich es im Zusammenhang mit kognitiven Strukturen und Tatsachen erwähne (meine Hervorhebung).


((79)) MEINEFELD, der in drei Paragraphen Hauptpunkte meiner Position zutreffend zusammenfaßt ((1-3)), wirft die „Widerständigkeit“ der Realität auf und sieht in ihr den Grund, eine „vorgängige Strukturiertheit“ anzunehmen, aus der dann »Ankerpunkte der menschlichen Konstruktionsleistung“ erwachsen ((5)). Widerstände, wie ich KÖNIG erwiderte, streite ich keineswegs ab, doch daß man aus ihnen reale Struktur oder Eigenschaften des Widerstehenden abfeiten könnte, scheint mir ausgeschlossen (A.a. GRÖSSING).


((80)) Was Piaget betrifft, so lese auch ich bei ihm an vielen Stellen, daß der Aufbau der Begriffswelt ein interaktiver Vorgang ist, der die Widerständigkeit der Objekte voraussetzt ((6)); doch ich nehme Piaget ernst, wenn er in La construction du reel chez Venfant ausführlich darlegt, wie das Kind Objekte konstruiert und dann in die nicht minder konstruierte „Welt“ von Raum und Zeit projiziert Auch ich glaube, „Wahr- nehmungsstrukturen existieren nicht vorder Wahrnehmung“ ((7)), doch werden sie m.E. in der Auseinandersetzung mit den bereits konstruierten Objekten und die .Anpassung der Begriffe und Ideen an einander“ aufgebauf (EvG 23).

((81)) MEYER schreibt in ((2)), wenn man auf Grund der Unmöglichkeit, Vorstellungen mit einer „Welt an sich“ zu vergleichen, schließt, daß so eine Welt nicht rational erfaßbar sei, dann ist das „nur eine fafon de parier*'. Ich würde sagen, es ist eine fa(on depenser • und das ist genau, was der RK sein will. Und wenn MEYER weiter ausführt: „Das Konzept einer 'Welt an sich’ wird dann überflüssig und bedeutungslos; es kürzt sich gewissermaßen aus unseren Überlegungen heraus,“ dann drückt er sehr schön aus, was der RK bezweckt: Im Bereich rationaler Konstruktionen ist die Berufung auf eine ontologische Realität ausgeschlossen. Das heißt aber keineswegs, daß der RK das subjektive Gefühl des „Daseins“ ausschließen will; doch er betrachtet alles, was mit Sein zu tun hat als gefühlsmäßige Eingebungen. Er bestreitet lediglich, daß diese rational erfaßt und beschrieben werden können, und überläßt sie darum der Intuition der Mystiker, Metaphysiker und Künstler.


((82)) In meinem Artikel behaupte ich, daß weder metaphysische Postulat®, noch Argumente der Plausibilität oder Wahrscheinlichkeit solcher Annahmen die „unergründliche Lücke“ (zwischen unseren Wahrnehmungen und unseren Begriffen einerseits und einer von uns unabhängigen Welt andererseits) auf rationale Weise schließen können (EvG 13).


((83)) Das Wortspiel, daß das Adjektiv „objektiv“ der Umgangssprache (wo es „eine von der jeweiligen Gemeinschaft akzeptierte ... Praxis“ betrifft) mit der Beschreibung der philosophischen „Wahrheit" gleichsetzt (MEYER (3)), paßt nicht gut zu einem Sprachwissenschaftler, der auf „sinnvolles Reden“ hält. Der Unfug läßt sich vermeiden, indem man für den ersten Begriff das Wort „intersubjektiv“ verwendet.


((84)) Was Wittgenstein betrifft ((8)), so könnte man lange diskutieren. Unter anderem hat er auch „auf überzeugende Weise darlegen können“, daß es schwer ist herauszufinden, was vorgeht wenn jemand z.B. auf eine Form, eine Farbe oder eine Anzahl „zeigt“ (Wittgenstein, 1953, S,17). Man lerne es durch Sprachspiele, schlug er vor - doch wie der Sprachanfänger diese Begriffe in den Sprachspielen isoliert, so daß er sie fortan eigenständig benützen kann, ist weiterhin mysteriös geblieben.


((85)) MITTERER beginnt seine Kritik mit der Feststellung, daß die Unterschiede zwischen RK und Realismus „von den jeweiligen Vertretern als so groß empfunden (werden), daß es kaum zu ausführlichen Auseinandersetzungen kommt“ ((1)). Was einige der anderen Kritiker geschrieben haben, scheint mir zu zeigen, daß solche verständigungshenurietide Empfindungen auch dort auffauchen, wo der RK von Positionen aus kritisiert wird, die sich keineswegs als „realistisch“ bezeichnet sehen möchten.


((86)) Der Unterschied, den MITTERER in ((3 & 4)) herausschält, gefällt mir gut, doch mit dem Schluß, den er in ((5)) zieht, bin ich nicht einverstanden. Freilich kann ich den Realisten einen Konstrukteur nennen, der seine Konstruktion der Wirklichkeit verabsolutiert; aber gerade diese Verabsolutierung ist, was der Konstruktivist ausdrücklich vermeidet. Der RK behauptet nicht, „wahr“ zu sein; er schlägt lediglich eine Art und Weise des Denkens vor, deren Wert „sich nur in der Praxis denkender Individuen erweisen“ kann (EvG 64).


.((87)) Dieser Wert ist Brauchbarkeit oder, wie ich es nenne, Viabilität. Mit diesem Begriff befaßt MITTERER sich intensiv ((7-11)) und ich möchte einige seiner Ausführungen von meinem Gesichtspunkt aus beleuchten. Da er Ausdrücke wie „unbestreitbar", „unwiderlegbar“, und „logisch unanfechtbar“ als Stellvertreter für „wahr“ bezeichnet ((7)), gelingt es ihm, dem RK eine Inkonsequenz zuzuschreiben ((8)). Diese Gleichsetzung scheint mir aber etwas unlauter zu sein. Obschon die eisten beiden Ausdrücke nicht in meinem Artikel Vorkommen, würde ich sagen, daß man sie auch als Konstmklivist ohne Widerspruch verwenden kann, da sie innerhalb des eigenen Erfahrungsbereichs sinnvoll sind und keinen ontischen Bezug benötigen. „Logisch unanfechtbar“ scheint mir noch unschuldiger, denn die Logik sagt grundsätzlich nichts über die Realität, sondern nur über Regeln unseres Denkens. Wenn ich den so oft als Beispiel zitierten Syllogismus mit der Prämisse: „Alle Menschen sind unsterblich“ beginne, so kommt es als „logisch unanfechtbar“ heraus, daß Sokrates unsterblich ist - und das wäre auch sinnvoll und viabet, vorausgesetzt, daß die Unsterblichkeit der Menschen erfahrungsmässig bestätigt werden könnte.


((88)) Die Frage, wer für das Scheitern unser Konstruktionen verantwortlich ist, läßt der RK prinzipiell offen. Im Hauptartikel habe ich das vielleicht nicht deutlich genug gemacht, doch in dem Buch, das MITTERER in den Anmerkungen 2 & 3 erwähnt, steht, daß wir nie entscheiden können, ob der Mißerfolg auf einem Widerspruch in unserer Haadlungs- oder Denkweise beruht, oder auf einem „realen“ Hindernis. Wie überall, hütet der RK sich, etwas über die Realität auszusagen. Das Scheitern hingegen wird m.E. weder in der Wissenschaft noch im täglichen Leben unbedingt „von anderen theoretischen Positionen aus konstatiert“ ((9)), cs kann auch dadurch erkannt werden, daß das was man tut oder denkt nicht zu den gesetzten Zielen fuhrt. Kommt man nicht hin, so erweist entweder die Theorie des Weges oder die begriffliche Konstruktion des Ziels sich als unangebracht Das Verlangen, etwas zu erreichen, sehe ich nicht als theoretisch (rational), da es auf Werte gegründet ist und somit aus der Sphäre der Gefühle und Intuitionen stammt. MITTERER hat freilich recht, wenn er abschließend bemerkt, daß die Entscheidung zwischen realistischer und konstruktivistischer Orientierung eine Sache der Präferenz ist. Doch seit ich mich mit Lernen und Didaktik befasse, macht mir die Wahl keine Schwierigkeit: Statt Schülern ein Weltbild aufzudrängen, das schon an vielen Stellen brüchig ist, ziehe ich es vor, ihnen in der Entwicklung eines Denkens zu helfen, das es ihnen vielleicht ermöglicht, Gleichgewicht in der Wirklichkeit zu schaffen, die sie erleben.


((89)) NÜSE ist, wie er mitteilt, Psycholinguist, und weiß darum besser als andere, wie schwer es ist, aus einem Text annähernd das herauszulesen, was der Autor ausdrücken wollte. Er hat mich ausgezeichnet verstanden. Umso mehr bedaure ich, daß er in seiner Kritik einen Punkt vernachlässigt, den ich im Artikel, am Anfang wie am Ende, so deutlich ich konnte zu vermitteln versuchte - nämlich daß der RK ein Vorschlag sein will (EvG 1, 2,64), also nicht zu einem Glauben überzeugen, sondern ausprobiert werden möchte. NÜSE bestätigt meinen Verzicht auf Wahrheitsansprüche ((1)), wirft dann aber doch Probleme auf, die dadurch entstehen, daß er mir ontisehe Ambitionen zuschreibt. „Die Tatsache, das Wissen das Resultat von mentalen Operationen eines ‘denkenden ’ Erkenntnissubjektes ist, impliziert aber nicht, daß das so erworbene Wissen nicht realitätsadäquat sein kann" ((3)). Eben um diese Implikation auszuschließen, zitierte ich Xenophanes, der deutlich erklärte, daß wir „um" die Adäquation an die Realität nichts wissen können (NÜSE (5); und zu „wissen um" siehe A.a. GRÖSSING).


((90)) Die beiden Prämissen, die NÜSE sehr richtig beschreibt ((10)), scheinen mir meine Grundabsicht deutlich auszudrük- ken: Zu zeigen, daß die Welt, die wir als wirklich betrachten, aas der Erfahrung aufgebaut werden kann, ohne irgend eine Realität vorauszusetzen, der sie entsprechen muß. Wissen habe ich stets als die Gesamtheit der Begriffe, Theorien, Handlungsund Denkweisen verstanden, die wir als viabel betrachten, sowie jener, deren Unbrauchbarkeit wir erfahren haben. Kurz, es umfaßt das, worauf wir uns in unserer Wirklichkeit mehr oder weniger verlassen.


((91)) OTT mißbilligt meinen Vorbehalt in bezug auf „Plausibilitätsargumente“, die helfen sollten, die Kluft zur Realität zu überbrücken ((5)). Wenn ich das Wort „plausibel" einigermaßen richtig verstehe, so bedeutet es, daß man etwas angesichts der Erfahrungen, die man gesammelt hat, mit diesen nicht nur vereinbar, sondern fast als wahrscheinlich betrachtet. Im Kontext der Realitätserkenntnis scheint solche Plausibilität mir eben deswegen fehl am Platz, weil ich keine Berechtigung sehen kann, auf Grund dessen, was in der Erfahrungswelt wahrscheinlich ist, eine Brücke in die Realität zu schlagen.


((92)) OTT präsentiert seine eigene Definition von „Modell“: Repräsentative und simplifizierende Schemata. Er charakterisiert das Denken mit Modellen als „Kennzeichen eines aufgeklärten ('unnaiven’) Realismus" und sagt schließlich, „die neuesten Klimamodelle bildeten die Wirklichkeit besser (adäquater) ab als die ersten Modelle" ((9)). Wie er richtig vermutet, würde ich „diese realistische Deutung des Modellbegriffs zurückweisen", wenn unter „Wirklichkeit" die Realität verstanden werden soll. Ich glaube, Wissenschaftler bemühen sich, ihre Modelle mit der Wirklichkeit der Erfahrungen in Einklang zu bringen, d.h, „plausibel" und wenn möglich auch viabel zu machen. Wenn sie dann erklären, sie beschrieben eine unabhängige Realität, so setzen sie sich die päpstliche Tiara auf und geben vor, ex cathedra zu sprechen.


((93)) OTTs Frage, „was eine wissenschaftliche Beobachtung ist?“ ((9)), scheint mir zunächst schon in dem Einstein-Zitat (EvG 8) und dann ausführlicher in den Paragraphen über Assimilation und Akkommodation (EvG 29-31) beantwortet: Es handelt sich m.E. um Erfahrungen, die sich in kontrollierten, als „gleich“ betrachteten Situationen wiederholen lassen. (Meine Definition von „Modell“ steht in Anmerkung 1 zu (EvG 24).)


((94)) PÖLKING charakterisiert meine Interpretation des Piagetschen Lemmodells als „einen Idealtypus des Lernens ..., der sich auch unbestritten vielfach bewährt und wichtige Forschungsansätze und -ergebnisse geliefert hat“ ((4)), warnt aber, daß es nicht das einzige Modell sei. Das glaube ich auch, und deswegen habe ich anderwärts, wie sie anschließend erwähnt, begriffliches Lernen und Lernen von Verhalten unter

schieden. Diese Unterscheidung, läßt sich im Deutschen ungefähr durch „Wissen" bzw. „Können" ausdrücken. Auch imitatives Lernen wäre hinzuzufügen, das auf der noch völlig geheimnisvollen Fähigkeit beruht, visuelle oder auditive Wahrnehmungen in motorische Handlungsprogramme umzusetzen. Kinder lernen Skifahren vom Zuschauen und Gedichte vom Hersagen, ohne daß begriffliches Verstehen dazu nötig wäre oder damit einhergeht. Denken oder vorgefaßtes Wissen sind dabei eher hinderlich, doch es geht besser, wenn ein Lehrer absichtlich vorfährt oder -sagt.


((95» Daß das begriffliche Lernen in Piagets Modell keine „wesentliche soziale Komponente“ habe, ist etwas übertrieben. Die Akkommodationen, die anfängliche, kindliche Begriffe an den Sprachgebrauch der jeweiligen Erwachsenengruppe anpassen und mehr oder weniger viabet machen, finden auch laut Piaget im Zusammenhang mit sprachlichen und nichtsprachlichen sozialen Interaktionen statt. In der Schule (Grund-, Mittel- und Hoch-) sind Lehrer unerläßlich - aber nicht als Verteiler der begrifflichen Fertigware, die durch disziplinäre Trichter in unwissende Köpfe befördert werden könnte, sondern eben als Anreger und Vermittler, die durch Vorschläge, Fragen und das Hervorheben von Widersprüchen den Begriffsaufbau der Lernenden zu steuern versuchen.


((96)) Das Beispiel von der geozentrischen Alltagsvorstellung gefällt mir ausgezeichnet Zweifellos wird es lange dauern, bevor Leute geläufig sagen „Wir drehen uns jetzt in den Tag bzw. in die Nacht“. Für die alltägliche Verständigung jedoch ist es nach wie vor viabel, vom Auf- und Untergang der Sonne zu sprechen. Nur wenn wir uns mit dem Planetensystem als solchem zu beschäftigen anfangen, erweist sich das geozentrische Modell als zu kompliziert und das Rechnen mit Epizyklen zu kostspielig. Im passenden Kontext verwendet, sind beide Modelle viabel; obgleich auch die Sonne ihre Viabilität als Mittelpunkt der Welt verloren hat, seitdem so viele Astronomen viel tiefer in den „realen“ Weltraum zu schauen glauben.


((97)) G.ROTH schickt voraus, daß er selbstverständlich „mit der grundsätzlich konstruktivistischen Position EvG’s“ übereinstimmt. „Dies betrifft den radikalen Verzicht auf jeden absoluten Wahrheitsanspruch ebenso wie die Erkenntnis, daß jeder von uns innerhalb seiner eigenen, individuell gewachsenen ‘Wirklichkeit’ wahrnimmt, denkt, fühlt und handelt“ ((1)).


((98)) Seine Kritik betrifft zwei Punkte. Erstens, „die Darstellung des Verhältnisses von Erlebenswelt und bewußtseinsunabhängiger Welt, von ‘Wirklichkeit’ und ‘Realität’, und zweitens die darstellende Rolle des Ich bzw. des ‘denkenden Subjekts’ bei der Konstruktion von Wirklichkeit“.


((99)) Bei dem ersten Punkt stolpere ich zunächst über der Gleichsetzung von „bewußtseinsunabhängiger Welt" und „Wirklichkeit“. Das scheint mir verfänglich. Insofern ich von der von mir konstruierten Wirklichkeit denken und reden kann, muß ich sie mir bewußt gemacht haben. Doch es gibt in ihr vieles, das meinem Bewußtsein im Augenblick nicht ohne weiteres zugänglich ist (z.B. der genaue Wert von n oder das Resultat von Multiplikationen zwei- oder mehrstelliger Zahlen). Und dann frage ich mich, ob es überhaupt möglich ist, ein Verhältnis zur „Realität“ positiv darzustellen. Wenn meine Wirklichkeit, wie ROTH ausführt, „erlebnismäßig unüber- steigbar" ist und Dinge und Prozesse „nur in ihr und durch sie“ Bedeutung haben, kann ich von der „Realität“ einzig und allein sagen, daß ich von ihr nichts weiß.


((100)) ROTH fragt dann ((2)), was den RK berechtige, „die Existenz der Realität für gesichert zu halten, alles andere an ihr aber nicht?“ Ich kann in meinem Aufsatz keine Stelle finden, die besagt, daß ich die Existenz der Realität für gesichert halte. Es ist auch unwahrscheinlich, daß ich das sagen würde, denn wie Berkeley müßte ich mich fragen, was das Wort „Existenz“ außerhalb der Erfahrungswelt bedeuten sollte (A.a. FURTH).


((101)) Die Annahme, „daß zumindest einige Teile der Realität gesetzmäßig ablaufen“ ((3)), setzt voraus, daß Dinge und Prozesse, die wir uns in der Erfahrungswelt konstruieren, im Gegensatz zu dem, was ROTH in ((1)) sagt, auch in dem jenseitigen Bereich der Realität Bedeutung haben. Das scheint mir mit dem von ROTH eingangs bestätigten „Verzicht auf jeden absoluten Wahrheitsanspnich“ unvereinbar. Wäre der postulierte, zumindest teilweise gesetzmäßige Ablauf der Realität nicht ein Attribut ihrer „Wesenheit", die dann als nicht erfaßbar bezeichnet wird?


((102)) ROTH hat freilich recht, daß meine Anschauungen sehr stark von Piaget beeinflußt wurden und auch durchwegs „kognitivistisch“ sind ((9)). Ich glaube eben, daß auch Wissenschaftler, einschließlich der Neurophysiologen, ihr Wissen mit Hilfe von allgemeinen kognitiven Prinzipien aufbauen und somit nicht darum herumkommen, daß es ihre Erfahrungswelt betrifft und nicht eine von ihnen unabhängige Realität. Deswegen nenne ich den fUC auch eine Wissenstheorie und warne so oft es geht, daß er keine ontologischen Behauptungen machen will. Für mich ist er ein Versuch, zu zeigen, daß der „Entstehungsprozeß der Wirklichkeit' (((10)), meine Hervorhebung), d.h. Konstruktion und Wissen von der Welt, mit der wir zu tun haben, auch ohne Berufung auf die Eigenschaften einer unabhängigen Realität möglich ist.


((103)) M.ROTHs „visionäre Öffnung" bildet einen Ast der Diskussion, den ich keineswegs absägen möchte, aber im begrenzten Raum, der hier zur Verfügung steht, kann ich ihn nicht verfolgen. Die sachlichen Einwände jedoch möchte ich zu entkräften versuchen. Daß die Eigenschaften oder Verhalten eines Organismus, die sich nach einer Wandlung der Umwelt als „angepaßt“ erweisen, schon vor der Wandlung zu seiner Lebensfähigkeit beitrugen ((4)), nehme ich nicht an, und ich kann das mit Hilfe einer mindestens zur Hälfte wahren Geschichte begründen. Die jungen Makaken auf der kleinen Japanischen Koshima Insel fingen an, im Wasser zu spielen, weil ihre Mütter die Süßkartoffeln, die ihnen von Zeit zu Zeit als Futter gebracht wurden, im seichten Wasser vom Sand zu säubern lernten. Die junge Generation von Makaken wurde zu ausgezeichneten Schwimmern. Nehmen wir nun an (Gott behüte), ein Erdbeben versenkt Koshima und die benachbarten Inseln, so könnten nur die Makaken von Koshima ans Festland schwimmen und überleben, während jene der anderen Inseln umkämen. Da kann man m.E. nur sagen, daß das Schwimmen vor der Katastrophe sicher ein Vergnügen war,


aber wie manche andere Vergnügen mit Anpassung oder Lebensfähigkeit nichts zu tun hatte.


((104)) Eines der Hauptprobleme alles Lehrens, so glaube auch ich, wird erst durch die Einsicht klar, daß Begriffliches weder mit den Schallwellen eines Sprechers mitfliegt, noch direkt aus geschriebenen oder gedruckten Zeichen ersichtlich ist ((5)). Es muß stets vom jeweiligen Hörer oder Leser aufgebaut werden. Der einzige mildernde Umstand ist, daß die Bedeutung der Zeichen an den beiden Enden des Kommunikationskanals gar nicht identisch sein muß - für die „Verständigung“ genügt es, wenn die Beteiligten ihre jeweilige Bedeutung in der gegebenen Situation als viabel betrachten. Ich fürchte jedoch, es wird noch geraume Zeit dauern, bis Maschinen gebaut werden können, deren mechanisches Wissen sie befähigt, dieses Viabilitätsurteil annähernd so zu fallen, wie wir es tun.


((105)) SCHANTZ schreibt, und ich gebe hier eine längere Passage wieder, weil in ihr Verwechslungen deutlich werden, die auch in der Kritik anderer eine Rolle spielen: „Es ist sicherlich richtig, daß wir die Begriffe, mit denen wir die Dinge um uns klassifizieren, selbst gemacht haben. Abo-die Konsequenz, die vG daraus zieht, ist, daß die Existenz und die Natur von Gegenständen von unserem Begriffssystem abhängig ist Betrachten wir Sterne. Ihre Existenz und Natur ist von unserer Sprache und unserem Denken kausal völlig unabhängig. Wir haben nicht die Staue gemacht, sondern lediglich den Begriff ‘Stern’. Wir sind nicht die Ursache dafür, daß es Sterne gibt Es würde Sterne auch dann geben, wenn wir nicht existierten. Und ebensowenig ist die Existenz von Sternen logisch von der Sprache abhängig, in der wir Beschreibungen von ihnen geben. Die Existenz von Sternen ist mithin weder logisch noch kausal von unserem Begriffssystem abhängig“ ((8)).


((106)) Angesichts meines erwähnten Vorbehalts in Bezug auf „Existenz“ (A.a. FURTH) verstehe ich nicht, wie SCHANTZ zu der Behauptung kommt, daß in meiner Denkweise ein Begriffssystem die Existenz von Gegenständen verursache oder daß sie von der Sprache abhinge. Die unterschiedlichen Begriffe - von Himmelskörpern, Asterisken, Filmschauspielerinnen, bis zum Christbaumschmuck - die durch das Wort „Stern“ als Vorstellungen in mir hervorgemfen werden, habe ich, wie SCHANTZ anfangs sagt, im Laufe meiner Erfahrung selber konstruiert. Doch wie ich anscheinend nicht oft genug wiederholen kann, habe ich keine Ahnung, was Wörter wie „Existenz“, „Sein“ und „existieren“ außerhalb der Erfahrungswelt bedeuten sollten. Daß es Sterne geben würde, auch wenn wir nicht „existierten", ist m.E. eine apodiktische Behauptung, die einem metaphysischen Glaubensakt entspringt und sich weder in der herkömmlichen Epistemologie (soweit ich sie verstehe) noch in meiner Wissenstheorie rechtfertigen läßt.


((107) Das ich zwischen logischer Wahrheit und Realität ((14)) keine Verbindung sehe, ist in der A.a. MITTERER ausgefuhrt.


((108)) SCHMIDT erklärt am Anfang seiner Kritik, daß es schwer ist, in einer öffentlichen Diskussion kritische Stellung gegenüber einem Freund einzunehmen, mit dem man seit vielen Jahren gemeinsame Ziele verfolgt. Seine Bemerkung, daß wir in unseren Sprachen nicht um Prädikationen herumkom- men ((1)), d.h. um den Gebrauch des Zeitwortes „sein“, das trotz aller Warnungen immer wieder als Berufung auf ontologisches Sein verstanden werden kann, beleuchtet eine der Hauptscbwierigkeiten des Konstruktivistischen Diskurses. Man kann also tatsächlich gar nicht vorsichtig genug sein.


((109)) Zu der in Klammem gesetzten Andeutung, daß ich die ontologische Realität als rational nicht erfaßbar, aber „vielleicht anders doch“ zugänglich betrachte ((3)), möchte ich aus- führen, daß ich weder die Eingebung der Mystiker noch jene der Dichter und Künstler jemals in Frage gestellt habe. Doch sie liegt für mich eben außerhalb des rationalen Bereichs und läßt sich nicht buchstäblich vermitteln oder erklären. Sie arbeitet mit subjektiv „offenen“ Symbolen, d.h., wie Vico sagte, mit Metaphern, deren eines Zielobjekt außerhalb der alltäglichen Erfahrungswelt liegt Ich habe des öfteren erklärt daß diese mystische Welt für uns vielleicht wichtiger ist als alles Rationale, und auch die Hoffnung ausgedrückt, daß die Abgrenzung der rationalen Möglichkeiten den Zugang zu ihr erleichtern möge. Das ist ein Dualismus, mit dem ich in gutem Einvernehmen lebe und dessen Verneinung mir direkt gefährlich erscheint


((110)) Daß das Erlernen der Sprache im Rahmen von „Handlungsspielen“ ä la Wittgenstein im Umgang einer Sprachgemeinschaft geschieht scheint auch mir unzweifelhaft. „Nur für einen Beobachter lernt ein Kind eine Sprache“ ((4)) • doch dieser Beobachter ist in erster Linie das Kind selbst denn bevor es Wörter erfolgreich in sozialen Unterhandlungen verwenden kann, muß es sie mit viabien Vorstellungen verbinden lernen.


((111)) Ich danke SCHMIDT für seine Bemerkungen über Ethik ((5)) und hoffe, daß es gelingen wird, den Begriff der Viabilität auch auf diesem Gebiet plausibel zu definieren.


((112)) SEILER stellt die durchaus berechtigte Frage, ob die Denkweise, die ich vertrete, „die Begriffe der Erkenntnis, der Wahrheit und der Realität obsolet macht“ ((2)). Wie im Falle von BETTONI (und einigen anderen) würde ich diese Frage viel lieber mit dem Fragesteller in einer Landschaft mit Sonne, Schatten und einem Hintergrund von Fluß, See oder Meer persönlich besprechen und hoffe darum, eine freundliche Zukunft möge dazu Gelegenheit bieten. Hier ist der Platz eng begrenzt und wenn ich die Frage nun kurz mit Ja beantworte, so wird das notgedrungen schroff wirken. Es ist keineswegs so gemeint


((113)) SEILER gibt meine „Thesen“ mit Verständnis und Umsicht wieder, stimmt weitgehend mit ihnen überein ((2,7, 8, 12)) und entwickelt seine Vorbehalte aus spezifischen Teilen. Heutige Wissenschaftler würden nur selten die Meinung vertreten, „daß menschliches und auch wissenschaftliches Erkennen“ vom Subjekt unabhängig und darum „ohne Einschränkung als ‘Objektiv’ bezeichnet werden dürfte“. Das ist sicher richtig. Doch wenn man z.B. Physiklehrer während ihres Unterrichts beobachtet, bekommt man den entgegengesetzten Eindruck.


((114)) Auch damit, daß wir Begriffe und Theorien auf unsere Weise aus der Wirklichkeit der Erfahrung ableiten, „werden wohl viele Theoretiker einig gehen“. Doch die Schlußfol

gerung, daß die Realität nicht rational erfaßbar und ihr Verhältnis zur Wirklichkeit unergründlich seien, schiene unberechtigt ((3)). Wenn man die Vernunft in Anlehnung an Kant minimal als die Methode definiert, die es erlaubt, die Begriffe, die von Erfahrungen abstrahiert werden, so zu verknüpfen, daß sie ein kohärentes System bilden, ist es nicht möglich, „rationale“ Verbindung zu „Dingen“ der Realität herzustellen, deren Verhältnis zu Begriffen unbestimmt bleibt (A.a. SCHMIDT). Nicht besser geht es, wenn wir eine neuere Definition heranziehen, demach die Vernunft die Fähigkeit ist, „Bedeutungen zu schaffen, begründend zu verbinden und zu trennen und sie in Bezug auf ihre Wahrhaftigkeit zu beurteilen“ (Sandkühler. 1988, S.42).


((115)) Mit der Wahrhaftigkeit wird die zweite Frage aufgeworfen, nämlich ob zwischen „objektiv und nicht objektiv und wahr und nicht wahr“ nicht doch auch Zwischenformen möglich seien ((4)). Im normalen Sprachgebrauch sind sie gang und gäbe, doch mein Kontext im Hauptartikel war die Wahrheit der Philosophen (in Bezug auf „logische Wahrheit“ siehe A.a. MITTERER).


((116)) In dem Punkt, daß, jede Art von Anpassung auch eine Art von Wahrheit impliziert“ ((5-7)), möchte ich SEILER widersprechen. Da ich ausschließlich von Wissen sprechen will, sehe ich die Sieb- Metapher (EvG 28) vom Gesichtspunkt des Sandkorns aus, das nichts von einem Sieb erfährt, durch das es fällt; und wenn es anstößt, kann es aus dem bloßen Widerstand nichts ersehen, als daß es eben am Fallen verhindert wird.


((117)) Daß ein Kenner wie SEILER, trotz einiger Differenzen, einige Aspekte meiner Piaget-lnterpretation doch annehmbar findet, hat mich sehr ermutigt, und darum danke ich ihm für seine durchwegs anregende Kritik.


((118)) TASCHNER. Inwieweit es berechtigt ist, den RK mit der formalen Mathematik zu vergleichen, kann ich als Nichtmathematiker nicht beurteilen. Taschners Ausführungen in ((1- 6)) scheinen mir durchaus annehmbar. Dann aber ist mir nicht klar, was unter Argumenten zu verstehen ist, die „mir unvermittelter Anschauung, Evidenz oder Intuition einhergeken" ((7)). Am Ende des Absatzes heißt es, daß .Aussagen in das Netz der bereits als viabel betrachteten Aussagen einzubinden (sind],... (dessen einzelne Knoten - angepaßt auf eben erfahrene ‘Tatsachen’, was immer man unter ‘Tatsache’ versteht, - stets ausgebessert werden dürfen).“ Das klingt so, als seien die Beziehungen, die die Vernetzung der Knoten bilden, ein für allemal gegeben. Das widerspricht meiner Vorstellung, denn auch die verbindenden Beziehungen dürfen mit Hinsicht auf Viabilität „ausgebessert“ werden. Und dies geschieht m.E. durch das, was ich als abstrakte Reflexion und ohne weiteres als intuitiv bezeichnen würde - eben weil es nicht die Tatsachen selbst sind, die die Beziehungen bestimmen, sondern die mentalen Operationen des Subjekts.


((119)) ln der von Taschner zitierten historischen Episode ((9- 10)) war „Der brillante Gedanke B almers", daß er einen allein aus Meßwerten berechneten Zahlenwert durch einen unendlichen ersetzte. So wie ich das verstehe, war das eine Intuition, aber keine Evidenz. Es ließ sich nicht irgendwie aus den Zahlen als solche ersehen, sondern beruhte auf Batmers Entschluß, alles» was „unterhalb der Meßgenauigkeit rangiert“ als unendlich im betrachten and so zu kategorisieren. Das scheint mir analog der Erfindung Galileis, die es möglich machte, Gesetze der Bewegung zu formulieren, obschon diese Gesst® ge- naugenommen nicht beobachtet werden konnten. Charles Peirce bezeichnete solches Denken als .Abduktion“ (d.h. Er- fiadang einer erklärenden Regel). Für nach sind diese aus der Rationalität selbst nicht erklärlichen Intuitionen eine Urquelle der wissenschaftlich®! Konstruktionen. Doch wenn Einstein das einen „Blick in Gottes Karten“ neun! ((14)), so macht er eine metaphysische Beteuptusig, die sieh durch den Erfolg des intuitiv erfunden« Gedankens in der Erfahrungswelt nicht belegen läßt Damm stimme ich vorbehaltlos Taschners Formulierung bei: „Die Mater entzieht sich letztlich immer de® Zugriffen des sie «steppen wollenden Forschers“ ((12)).


((120)) TOBS8CO «Hirt» da® er des KK ist der Formulierung von ltHyp®r-T©xteiäi benützen fass. Das eröffnet eiae Anwendung» der ich selbstverständlich viel Erfolg wünsche. Beets daß da angeblich von Wort- and Tertttedeuteiig abgesehen wird, verblüfft midi ((12)). Todeseo scheint mir zura- stimmetä, dafl das Kleinkind durch Reaktionen von Erwachsenen bewogsa wird» Sb manchen Situationen „Tasse“ zu sagen» in anderen ater „Tassen“ ((9)). Die Unterscheidung dieser Situationen wird wohl durch die Reaktionen der Erwachsenen notwendig, 1Ä sich ater nicht auf Grand dieser Reaktionen lernen. Dis Kind muß begreifen» daß der Singular „Tasse“ zum esamätigea Watimehmen des besamtes Objekte paßt, während der Plural die Wiederholung einer Wahrnehmung bezeichnet Dss heißt, tiaS das Kind die Unterscheidung erst dann macfees kann, wes® ©s sieh der Wledterholmsig von be- stimmten meataJea Operationen gewahr wird. Kurz, daß die Unterscheidung gemacht werden joffte, geht aus des faterak- tionen mit Anderen hervor, wie sie zu machen ist» ist Sache der eigene® mentalen Operationen (Wahmetaiung, Kategori- siening, usw.).


((121)) Tedese© schreibt: wir lernen teb Akkommoda

tion, welche Wörter wir - unabhängig vom ihrer Bedeutung - wann mit Gewisti verwenden körnten“ ((9)). Ich möchte sagen» daß Wörter ans nur das® „Gewisi#4* bringen, wenn die Bedeutungen, die wir ihnen zuschieiben eiiaig«nrf®is mit den BafeiÄtMjges fibegeinstimmen, die in ajjisej«c Spraetsgmppe geläufig sind. Wenn ich gusa Beispiel im ObstgesehlÄ zwei Bananen verlange» und der Verkäufer gibt mir sek Taschentuch, kann ich kam® von Gewinn spreche». Hingegen werde ich die sprachliche ImteraMon als erfolgreich betrachten, wenn meine Äußerung» „Zwei Bananen“, bei dem Verkäufer eine Vorstellung fesrvomift, die der meinen ähnlich genug ist» um iha hi befähigen, aas der vorliegenden Me#g® unterschiedlicher Früchte das auszuwiMes, was ich verlangt feste. Für mich sind diese mit Wörtern assoziiertem (mentalen) Vorstellungen das, was ich „Bedeutung“ nenne.


((122)) In meinem Modell» wie übrigens auch bei Fisget. sind Vorstellungen unerläßlich, und darem bin ich nicht einverstanden, daß ‘Konstruktion’ nichts anderes sein soll als engineering ((3)). In meinem Modell bauen wir ums auf der »nsomotosischea Ebene durch Abstraktion too Watandiiiiua- gen (siehe A.a. FURTH) Vorstellungen vom Gegenständen (Sessel, Apfel, Auto, usw.) auf; Bod auf der rein begrifflichen


Eteae Operatiojispragramme» die ans abstrakte Begriffe (Teil, Ganzes, Raum, Zeit, usw.) liefen. Gerade der Ingenieur, der dauernd mit Begriffen wie Druck, Drehmoment» Beschleunigung, Fliehkraft, usw. arbeiten muß, wirf nicht viel Brauchbares konstraiereB» wenn die mentalea Operationen, die diese Begriffa hervorträgem, ihm nicht geläufig sind.


((123)) TOBESCO hat selbstverständlich recht» wenn er bemerkt, da® KoasfruMvistniB keine Didaktik ist ((11)). Dis kea- struktivistische Perspektive jedoch befähigt Lehrer, den Schülern autonomes Lernau zu «mögliche» und zu erleichtern.


((124)) VOLLMER berichtet, daß schon Platon die Auffassung wo®justified true belief im Theaitetos kritisiert hat ((3)). Aach mir hat Platon Anstoß asm Nachdenken gegeben. Sokrates sagt einmal, er wisse» daß er suchte wisse, doch In manchen Dialogen zeigt er, da® er eine ganze Menge weiß. Widerspricht er sich? Ich glaube nicht. Br spricht aur von verschiedenen Sorten von „Wissen“, und Platon, der ja auch Politiker war» hat das zuweilen (absichtlich?) schlimm verwirrt. Wovon Sokrates nid® zu wissen beteuerte» das war die Realität; wovon er viel weiß, das war die menschliche Erfahrung and das, was man daraus abstrahiere® kams. Aus der Perspektive des RK ist diese Ttennasg unerläßlich. Bis erste Sorte ist nicht rational« Wissen, sondern Metaphysik und Mystik. Allels die zweite Sorte ist das Wissen, von dem der RK sich zu zeigen bemüht, daß es ohne unaachweisb» ontologische Anhaltspunkte aas der Erfahrung aufgetesst werden kann. Dieses Wissen gibt der RK keineswegs auf» obschon es nie gang sicher ist» doch er hütet sich, es „Erkenntnis“ ater „WaWseit“ zu nennen und anzunehmen» dal die ontisete Realität daraus „rekonstruiert“ werde» könnte ((4)).


((125)) „Ordsiuagslos oder chaotisch ist die Welt offenbar sticht“» schreibt VOLLMER. „Vseänsehr ist sie reich strukturiert; sie hat viele Ecke» und Kanten» ais deisea wir uns stoßen“ ((9)). Wem nasa mit Kant davon ausgeht, daß Raum und Zeit nur die Anschauungsformen uoseres Elf äi»ns sind, dmn wirf alle Vorstellung einer sttuktsmertem Realität hinfällig und die blauen Flecken» die wir uns holen, rühren von den Ecken sind Kasten, die unsere Weise des Erlebens hgrOTbrimgt


((126)) VOLLMER erwähnt Watzlawicks „Gleichnis vom Kapitän, der bei Nebel eine Meerenge durchfährt wad auf die Frage, wie die Küstenlinie verlaufe, mar antworten könne, wo sie nicht sei”. Eff schließt ganz richtig, daß auch das ein Stick Wissen ist ((13))- aber es ist Wissen über die Handlungsweise des Kapitäns (nämlich wo er unbeschadet segeln kamn), nicht Wissen über die Küste. Ebenso würde ich sagen, wenn es sich zeigest läßt, „warum die Welt, die wir kennen» nicht zweidimensional, aber auch sicht vier- oder höterdisneasioaal sein kaum“, darf man zweifellos vermuten, daB si® dreidimensional ist Doch das ist eine Aussage über die Welt» die wir kennen, das heißt über die Welt unserer Erfahrung. Es steht dem hypothetischen Realismus &eä!ieh fei, auf Hrfefeningen die Vermutung zu bauen, daß sie die Realität wabfheitsgetras widerspiegelo (A.a. HÖFFMANN); doch mich drängt es da zu fragen, inwiefern diese Vermutung ein Gewinn sein soll


((127)) WESSE setzt an den Anfang ihrer Kritik das Motto: „... di§ Geschichten der Wissenschaft sind nicht immer gleich gut“ ((0)). Das gilt auch für Diskussionsargumente und kritische Bemerkungen. In ihrem dritten Absatz zitiert WEBER einige Aussagen von mir aus dem Hauptartikel und aus einem Buch, die sich noch kürzer zusammenfassen lassen. Erstens: Realität ist eine Fiktion; zweitens: Ob unsere Vorstellungen Dinge an sich repräsentieren, können wir nicht herausfinden. - Die erste Aussage wurde im Zusammenhang mit „Rednern und Autoren" gemacht, die dem, was sie behaupten, „den Anschein absoluter Gültigkeit“ verleihen möchten. Das Wort „Fiktion“ kommt im kritisierten Artikel nicht vor und wo ich es anderwärts verwendet habe, bezieht es sich, soweit ich mich erinnere, auf „heuristische Fiktionen“ im Sinne Kants oder auf Literatur. Die zweite Aussage ist eine Variante der im Artikel öfters gemachten Behauptung, daß wir von der Realität nichts wissen können. WEBER sieht darin „sowohl eine höchst metaphysische als auch ontologische Aussage ((4)). Nun, daß Negationen nicht als Grundlage für die Zuschreibungen positiven Wissens dienen können, ist längst bekannt Darum macht mir der Vorwurf, Metaphysik und Ontologie zu betreiben, keine Angst solange er nur damit begründet wird, daß ich verleugne, etwas von diesen geheimnisvollen Gebieten zu wissen. Daß die Kritikerin mich dann angesichts eben dieser .radikalen“ Trennung von Wissen und unergründlicher Realität monistischer Ambitionen verdächtigt, ist verwunderlich, denn oft wird mir gerade deswegen Dualismus vorgeworfen.


((128» In Bezug auf die These, daß „naiv-realistische Theorien ... sich höchstens in vulgären und altbackenen Varianten des Marxismus, Behaviorismus oder Funktionalismus finden“ ((5)), siehe meine A.a. Eckes.


((129)) WEBER beklagt meine Geringschätzung der, jntersub- jektive(n) Verständigung“ ((10)), bemüht sich selber aber kaum, meinen Gedankengängen zu folgen. So unterschiebt sie mir „ein ängstliches Bemühen... Widersprüche und Konflikte zwischen der eigenen kleinen subjektiven Welt und den ‘Tatsachen’, dem Nicht-Ich zu glätten“ ((11)). Daß Tatsachen auf Deutsch und auf Lateinisch - wie Vico schon lange vor Mach bemerkte - vom Tun oder Machen kommen und von den Erlebenden in der eigenen Erfahrung gemacht werden, ist eine Auffassung die im Hauptartikel nicht besonders versteckt war. Demnach geht es mir nicht darum, Konflikte mit dem „Nicht- Ich“, sondern Widersprüche zwischen Begriffen, Theorien und Anschauungen im Denken zu vermeiden.


((130)) ZAHN erklärt, daß „zahlreiche interessante Details (meines Artikels) (s)eine Zustimmung finden“ ((1)), weist aber in mehr als der Hälfte seiner neunzehn Paragraphen auf meine Verwendung von Wörtern und Ausdrücken hin, die er für schwer verständlich, metaphorisch oder unangebracht hält Aus seinen jeweiligen Ausführungen (in Form von Fragen) entnehme ich, daß es ihm anscheinend darum ging, mein Modell in die Begriffswelt des .Methodischen Konstruktivismus“ zu übersetzen, wo es sich dann als unmethodisch erweist. Da ich das Erlanger/Marburger Programm nicht gut genug kenne, kann ich nicht beurteilen, inwieweit ich seiner Definition von „Methode“ zustimmen würde. In seinen Ausführungen sind auf jeden Fall Punkte, die mich nicht überzeugen. Etwa die Frage: „Wie ist es zJB. zu verstehen, daß auf der Netzhaut der Augen Bilder von Oberflächenteilen von Körpern entstehen?“ ((3)). Ich würde sagen, zu Bildern kommt es, wenn eine Auf

merksamkeit dank ihrer Bewegung minimale Signalkompositionen, die von den vier Neuronenschichten in der Netzhaut zusammengeschaltet werden, zu Mustern verbindet, die dem jeweiligen Bewußtsein sinnvoll erscheinen. Da ich annehme, daß dieser Vorgang bei der Versuchsperson, der als „Stimulus“ z.B. ein weißes Kreuz gezeigt wird, der gleiche ist wie bei dem Neurophysiologen, der ihre Gehirntätigkeit mißt und registriert, wundert es mich nicht, daß er in der Registration das gleiche Bild sehen kann, das er wahmimmt, wenn er auf die Stimuluskarte schaut.


((131)) Leider habe ich im Rahmen dieser Replik nur Platz, auf eine von ZAHNs weiteren sechs oder sieben Fragen einzugehen. Er stößt sich daran, daß ich den Ausdruck „ontologische Realität“ benütze ((14)). Obschon auch ich diese Wortkombination als pieonastisch betrachte, fügte ich „ontologisch“ zur Realität, weil viele Autoren eine in der deutschen Sprache mögliche Unterscheidung nicht ausnützen und die Wörter .Realität“ und „Wirklichkeit“ austauschbar verwenden, (siehe z.B. die Kritiken von ECKES (9), KÖNIG (3, 6), LAUS (5-6), LÜTTERFELDS (3,6,14 u.a.). Ich bemühe mich, „Wirklichkeit“ zu benützen, wenn ich von der Welt sprechen will, die wir auf Gnind von Erfahrung und Reflexion konstruieren und zu der die beiden Bereiche gehören, die Jakob von Uexküll (1934) .Merkwelt“ und „Wirkwelt“ genannt hat. .Realität“ hingegen reserviere ich für das, was Ontologen beschäftigt, d.h. eine Welt, die unabhängig von unserem Erleben „existieren“ soll.

Schlußbemerkung

((132)) Die Auseinandersetzung mit drei Dutzend Kritikern, die durchwegs mehrere Argumente vorbrachten, war ein erschütterndes Erlebnis sowohl im negativen als auch im positiven Sinn. Viel von dem, was mir als .Mißverständnis“ erschien, muß ich zweifellos auf Mängel in der Darstellung meiner Ideen zurückführen. Offensichtlich muß ich noch einiges Lernen, um z.B. zu verhindern, daß dem RK trotz meiner häufigen Dementis der Anspruch auf Ausschließlichkeit zuge- schrieben wird. Daß das so schwer zu vermeiden ist, beruht m.E. zuweilen auch auf der allgemeinen Voraussetzung, daß nicht nur in der Politik, sondern eben auch in der Philosophie, jeder vor allem darauf abzielt, die „Wahrheit“ seiner Anschauungen zu beweisen. Der wiederholte Hinweis, daß mein Artikel den RK nicht als veimeinüiche Wahrheit präsentieren wollte, sondern als Vorschlag, hat da wenig geholfen.


((133)) Am meisten überrascht hat mich, daß kaum einer auf die von Ceccato übernommene diagrammatische Analyse von Begriffen kritisch eingegangen ist; sie ist für mich eine wichtige Komponente des RK.


((134)) Zum Schluß möchte ich nicht nur nochmals allen Beteiligten für eine durchwegs interessante Diskussion danken, sondern auch der Zeitschrift Ethik und Sozialwissen- schäften meine Bewunderung dafür aussprechen, daß sie diesen Meinungsaustausch in die Wege geleitet und so vorbildlich organisiert haL Diese Erfahrung hat mich mit Nachdruck von der Viabilität des angeblichen Ausspruchs von Friedrich dem Großen überzeugt: .Jeder solle auf seine Fasson selig werden“.

Literatur

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Descartes, R. (ca. 1629} Reguiae ad directionem ingenii, in N. Kemp Smitb (Ed.) Descartes - Philosophical writings, New York: The Modem Library, 1958; (meine Übersetzung aus dem Englischen, weil der französische Text mir zur Zeit nicht zugänglich war).


Kebb, D.O. (1958) Alice in wonderland or psychology among the biological sdenccs, in Hartow & Woolsey (Hg.), Biological andBiochemical Bases of Behavior, Madison: University of Wisconsin Press, pp.451-467.


Humboldt, W. von (1907) Werke. Berlin.


Kant, I. (1787) Kritik der reinen Vernunft, 2. Auflage, in Kants Werke, Akademie-Ausgabe. Berlin, Bd- III.


Kant, 1. (1798) Der Streit der Facultäten, in Kants Werke, Akademie-Ausgabe, Berlin. Bd. VII, 117-333.


Peirce, C.S. (1931- 193S) CoUected papers (Bd. 1-6, Hg. Hartshome & Weiss). Cambridge, Massachusetts. Harvard U. Press.


Piaget,}. (1965) Btudes sociologiques. Genf: Libtairie Droz.


Popper, K. (1963) Conjectures and refutations. New York: Harper Torch- books.


Sandkahler, HJ. (1988) Plädoyer für Rationalität, in G.Pastetnack (Hg.), Rationalität und Wissenschaft. Bremen: Zentrum Philosophische Grundlagen der Wissenschaft, Bd. 6.


Schopenhauer A. (IS51)Parerga undParalipomena, Bd. I. Halle a.5.: Otto Hendel (ohne Datum).


Stornier, BE. (1971 )Beyondfreedom anddignitiy. New York: BantamBoolts.


Skinner, BE. (1977) Why I am not a cognitive psychologist. Behaviorism, 5


(2). 1-10.


UexküU, J. von & Kris za t, G. (1934) Streifaitge durch die Umwelten von Tieren und Menschen. Frankfurt: S.Fischer.


Anmerkungen

  1. Als ich vor fünfundzwanzig Jahren in den Vereinigten Staaten den Auftrag bekam, Seminare über Piaget's Genetische Epistemologie zu leiten, stellte ich fest, daß die einschlägige Literatur im englischen Sprachbereicb mit wenigen Ausnahmen den revolutionären Aspekt dieser Wissenstheorie verschleierte oder völlig ignorierte. Fast durchwegs wurde der Eindruck erweckt, Piaget spreche von Konstruktivismus, weil Kinder das Wissen der Erwachsenen nur schrittweise und in einer Folge von Stadien auf- zunehmen fähig sind. Die Tatsache, daß Piaget’s Ansatz das Verhältnis von Wissen zur realen, ontischen Welt grundsätzlich abändeit, wurde durchwegs verschwiegen. Da Sokrates bereits überzeugend dargelegt hatte, daß Lernen nur in kleinen Schritten vor sich geht, nannte ich den verwässerten Konstruktivismus 'trivial' und den von Piaget erfundenen ‘radikal’.
  2. Ich verwende das Wort „Modell" im Sinne der Kybernetik, d.h. es bezeichnet ein hypothetisches Konstrukt, das dem beobachtbaren Verhalten eines Gegenstandes (Black Box) entspricht, dessen interne Organisation dem Beobachter unzugänglich ist.
  3. Eine ausgezeichnete neue Bewertung and Erläuterung von Machs Werk findet man in R.Haller & F.Stadler (1988).
  4. Jerome Bruner ist der Ansicht, daß Piaget „sich trotz seiner konstruktivistischen Epistemologie, doch an Überbleibsel eines naiven Realismus klammerte" (1986, S.98). Ich halte das für unvereinbar mit den vielen Stellen in Piagets Werk, wo er das klare Verständnis an den Tage legt, daß Anpassung keineswegs die Repräsentation einer ontologischen Realität impliziert.
  5. Selbst wenn, wie einige Biologen annehmen, ungünstige Umweitbedingungen die Frequenz von Mutationen steigern, bestimmen sie nicht den Charakter der einzelnen Veränderungen.
  6. Psycholinguisten, die das im englischen Sprachbereich beobachtet haben, nennen spontane Benennungen dieser Art "labeling".
  7. Da Piaget diese Beschreibung im Zusammenhang mit den berühmten Experimenten über Objektpermanenz gibt, spricht er nicht von Verschwinden, sondern von Verdeckung durch visuelle Hindernisse.