Peter Meyer – Wissen, Wahrheit, Wirklichkeit: “Individuelle” oder “soziale” Konstruktion

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Peter Meyer – Wissen, Wahrheit, Wirklichkeit: “Individuelle” oder “soziale” Konstruktion
Title Peter Meyer – Wissen, Wahrheit, Wirklichkeit: “Individuelle” oder “soziale” Konstruktion
Author Peter Meyer
Date of Publication 1998
Published in Ethik und Sozialwissenschaften
Location Opladen
Peter Meyer – Wissen, Wahrheit, Wirklichkeit: “Individuelle” oder “soziale” Konstruktion



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Peter Meyer – Wissen, Wahrheit, Wirklichkeit: “Individuelle” oder “soziale” Konstruktion?

((1)) Die epistemologischen Konsequenzen ((58)) der radikal-konstruktivistischen Wissenstheorie von Glasersfelds beruhen teilweise auf einer problematischen Auslegung ihrer - in einer ‘harmloseren’ Lesart durchaus zutreffenden - theoretischen Prämissen, von denen im weiteren einige näher betrachtet werden sollen. Unser Ergebnis wird sein, daß Wirklichkeit nicht zwingend entweder als unzugängliche ‘Welt an sich’ oder aber als individuelles, nicht verallgemeinerbares Erfahrungskonstrukt begriffen werden muß, nämlich dann nicht, wenn man die soziale Dimension unserer Wissenskonstitution berücksichtigt.

((2)) Hier soll nicht bestritten werden, daß wir in all unserem Beobachten und Erklären nicht ‘hinter’ die impliziten Voraussetzungen unserer Wahrnehmung und unserer Begrifflichkeit zurücktreten können ((4ff.)). Wenn man daraus folgert, eine losgelöst von uns vorhandene ‘Welt an sich’ ((21)) sei für den menschlichen Beobachter nicht rational erfaßbar ((58)), weil unsere Überzeugungen nicht durch einen ‘Vergleich’ mit den Verhältnissen in ihr überprüfbar sind ((12)), dann ist dies dennoch zunächst nur eine mögliche façon de parler. Ebensogut ließe sich sagen, die Rede von dieser ontologischen Realität jenseits unserer ‘Erlebenswelt’ sei sinnlos, weil sie keinerlei Implikationen für irgendwelche unserer Argumente haben kann; denn über sie können wir ja nach Voraussetzung nichts aussagen. Das Konzept einer 'Welt an sich’ wird dann überflüssig und bedeutungslos; es kürzt sich gewissermaßen aus unseren Überlegungen heraus.

((3)) ln der von v. Glasersfeld gewählten Formulierung des “skeptischen Problems” wird jedoch suggeriert, unser Wissen und unsere Theorien seien gerade deswegen in gewisser Weise defektiv, weil ihnen der entscheidende, ‘objektive Wahrheit’ ((60)) erst ermöglichende, Vergleich mit der ‘Welt an sich’ verwehrt bleibt. Aber im gewöhnlichen Verständnis von ‘objektiver Wahrheit’ ist nur impliziert, daß man in vielen Fällen sehr wohl “Grund hat zu behaupten, man wisse wie dies oder jenes ist' ((60)), nämlich immer dann, wenn es eine von der jeweiligen Gemeinschaft akzeptierte und geteilte Praxis gibt, innerhalb derer hinreichend klar ist, was es heißt und unter welchen Umständen als wahr zu gelten hat und als ‘gewußt’ und ‘objektiv’ rechtfertigbar ist, daß dieses oder jenes so-und-so ist. Innerhalb der je geteilten Handlungs- und Sprachpraxis sind manche ‘Wahrheiten’ so objektiv, wie man es sich nur wünschen kann; außerhalb dieser Praxis sind sie nicht falsch, sondern unverständlich oder irrelevant.

((4)) Auch wenn man v. Glasersfelds nicht-repräsentationalistische Auffassung von Wissen teilt, wird man dennoch sorgfältig prüfen müssen, ob die Vorstellung von einer kognitionsinternen “Anpassung der Gedanken an die Tatsachen und an einander” ((24)) eine echte Alternative darstellt. Fraglich ist nämlich, was ‘Viabilität’ in bezug auf kognitive Strukturen ((27)) überhaupt heißen mag. Verschiedene kognitive Strukturen, als interne, z-B. ‚physische‘ Sachverhalte verstanden, können nur die Möglichkeit zum gleichzeitigen Vorliegen haben oder auch nicht; miteinander in Konflikt geraten können sie ebensowenig wie von ‘Tatsachen’ widerlegt werden ((vgl. 27)), die ja aus radikalkonstruktivistischer Sicht selber wieder nur als kognitive Strukturen vorliegen bzw. durch sie erfaßt werden müssen. Wir müssen daher von vornherein konzedieren, daß wir als Beobachter Individuen solche Strukturen oder Operationen zu bestimmten Erklärungs- oder Vorhersagezwecken lediglich zuschreiben, und können dabei die Frage nach der physikalischen oder biologischen ‘Realisierung’ dieser Eigenschaften durchaus offenlassen.

((5)) Die Verhaltenserklärungen und -vorhersagen, um deretwillen der Beobachter kognitive Strukturen zuschreibt, setzen nun aber trivialerweise voraus, daß von der vom Individuum wohlunterschiedenen Außenwelt und von den Interaktionen des Individuums mit dieser Außenwelt geredet wird. Dies läßt sich an der Rede von “unerwarteten Resultaten” ((35)) verdeutlichen: Ein System verändert seine Handlungsweise nicht etwa, weil es ein unerwartetes Resultat gibt - aus der Innenperspektive des einzelnen Systems macht die Rede von Erwartungen, wie betont, keinen wohldefinierten Sinn -, umgekehrt: weil sich das System in bestimmten neuen Situationen aus Sicht des Beobachters anders verhält als sonst, spricht der Beobachter von einem für das System unerwarteten Resultat.

((6)) Die kybernetische Redeweise von ‘festgelegten Soll- werten ’ ((37)) macht den normativen und beobachterrelevanten Charakter der Rede von einer ‘Anpassung’ kognitiver Strukturen (Erwartungen usw.) an ‘Tatsachen’ noch deutlicher. Ein Thermostat etwa ((37)) ‘hat’ keine Sollwerteinstellung als objektive, intrinsische Eigenschaft, sondern der menschliche Benutzer betrachtet den Thermostaten bereits unter dem Gesichtspunkt seiner intendierten Nutzung, wenn er gewisse Eigenschaften der Interaktion Thermostat/Umwelt mit dem Konzept des Sollwertes beschreibt. Was im Falle von höheren Organismen Verhaltens-Sollwerte (z.B. Lernziele) sind, legt entsprechend entweder eine soziale Praxis erst fest (auch die Rede von “Handlungszielen” und "Problemen” macht erst relativ zu einer sie definierenden, kontingenten Praxis überhaupt Sinn) - oder wir beschreiben damit, in einer ganz anderen Verwendung des Wortes ‘Sollwert’, das von uns unter normalen Umständen erwartete, biologisch konditionierte Resultat gewisser ontogenetischer Entwicklungen. Die Erklärung, kognitive Aktivität erhalte das “mentale Gleichgewicht” ((57; 27)) des Organismus durch Anpassung, hat demzufolge metaphorischen Charakter. Zum Problem wird die Metaphorizitat indes erst dann, wenn man die ‘Äquilibration’ fälschlich als eine wesentlich organismusinterne Eigenschaft versteht und sodann schlußfolgert, daß “der Organismus kein objektives Wissen von der Außenwelt” gewinnen könne ((37)). In Wirklichkeit können ja, wie gesehen, Zustände ‘mentalen Gleichgewichts’ immer nur charakterisiert werden, indem der Organismus und sein Verhalten zu einer bereits auf konsensfähige Weise beschriebenen Außenwelt so in Beziehung gesetzt werden, daß ein Vergleich mit einem beobachterseits festgelegten Soll Zustand möglich wird. Auch wenn man also durchaus sagen kann, der ‘intelligente’ Organismus reagiere “lediglich auf Unterschiede zwischen Wahrnehmungen und vorbestimmten Sollwerten” ((37)), folgt daraus noch nicht, daß es unzulässig ist zu sagen, da Organismus reagiere “auf Stimuli der Umwelt" ((37)) oder ‘erkenne’ die Welt ((57)). Es handelt sich hierbei um eine und dieselbe Beschreibung, einmal aus der ‘internen’ Perspektive des Organismus und einmal aus da ‘externen’ Perspektive des Beobachters formuliert. Homöostatische Mechanismen in unserer kognitiv-biologischen Ausstattung sind allenfalls das physische Substrat, das unsere Erkennensprozesse und kognitiven Konstruktionen möglich macht. Die Konstruktionen selbst sind jedoch sozial konstituiert; sie sind Eigenschaften unserer Interaktionen, nicht der diese bedingenden subjektiven Erfahrungen. Möglicherweise ist eine systemtheoretische Betrachtung von sozialen Interaktionsstrukturen (vgl. Luhtnann 1984) eine Alternative.

((7)) In gewissen unserer verbalen-plus-nichtverbalen Interaktionsmuster spielen nun aber auch sprachliche Konzepte wie “Welt” und “(objektiv) wahr” eine hinreichend etablierte und in unserer Lebenspraxis verankerte Rolle; wir müssen auf solche Konzepte ja, wie erläutert, auch zurückgreifen, wenn wir für unsere konstruktivistischen Erklärungen verschiedene mentale Operationen oder kognitive Strukturen auch nur identifizieren oder individuieren wollen. Mit dem Konzept der Viabilität wird daher nur scheinbar eine neue Methode der epistemologischen Erklärung geboten. Wir können den Begriff einer Lebens- oder Erlebenswelt bzw. unseres Wissens davon nicht aus einer Betrachtung nur-interner mentaler Konstruktionen denkender Subjekte gewinnen. Eine als in einem bestimmten Sinne ‘unabhängig’ und ‘objektiv’ konzipierte Außenwelt ist ein unverzichtbares sozial-kommunikatives Konstrukt, das wir benötigen, um ein anderes solches Konstrukt, nämlich Wissen, theoretisch erfassen zu können - und umgekehrt.

((8)) Eine auch in verwandten Ansätzen (vgl. Malurana 1985) häufige Strategie, eine Semantik kognitiver Konzepte doch noch auf eine Betrachtung interner Zustände von Individuen zu begründen, besteht in da Annahme höherstufiger, 'reflexiver‘ Weiterverarbeitung von mentalen Operationen im Organismus. Dem entsprechen bei v. Glasersfeld die Begriffe, die nicht “direkt aus Elementen der Wahrnehmung gewonnen werden können” ((43)), sondern gewissermaßen eine Wahrnehmung (Reflexion) von Wahrnehmungen voraussetzt. Hier sind zwei Fragen aufzuwerfen: (i) Gibt es überhaupt Konzepte, die unmittelbar mit bestimmten ‘Wahrnehmungen’ korrelieren, oder müssen nicht alle konzeptuellen Unterscheidungen immer schon als Weiterverarbeitungen von (fiktiven) ‘raw sense data’, als Abgleichungen mit früheren ‘Klebnissen’ beschrieben werden? Sind nicht alle organismusinternen Prozesse notwendig Weiterverarbeitungen anderer solcher Prozesse? Wie läßt sich dann ein Bereich spezifisch höherstufiger Operationen überhaupt abgrenzen? (ii) Was bedeuten in den vorgeschlagenen Begriffsanalysen ((43ff.)) Ausdrücke wie “Gewahrwerden”, “einen Bereich schaffen”, “betrachten als”, “Zuschreiben von Identität”, "Re-präsentieren”, “sich etwas vorstellen” usw.? Wittgenstein hat in seinen späteren Schriften auf überzeugende Weise darlegen können, daß es sich hier nicht um Etiketten für unzugängliche interne Prozesse handeln kann (auch wenn es solche Prozesse natürlich gibt). Kriterial dafür, daß ich z.B. überzwei ‘Wahrnehmungsinstanzen' einer anderen Person hinweg Objektpermanenz erzeuge, ist immer nur mein sozial interpretiertes nichtverbales und verbales ‘identifikatorisches’ Verhalten. Daß ich mir die betreffende Person ‘vorstellen’ kann, ist völlig irrelevant und sicher meistens nicht der Fall.

((9)) Die Radikalität fehlt der radikalkonstruktivistischen Epistemologie dort, wo sie lediglich eine Ontologie der ‘Dinge an sich' durch eine ebenso unklare Ontologie der subjektiven Vorstellungen oder internen mentalen Prozesse ersetzt; und sie ist dort zu radikal, wo sie, ihre eigenen Prämissen mißdeutend, den Bereich sinnvollen Redens verläßt.

Literatur

Luhmann, N. (1984). Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, Frankfurt * M.: Suhrkamp.
Maturana, H. (H985). Erkennen: Die Organisation und Verkörperung von Wirklichkeit. Ausgewählte Arbeiten zur biologischen Epistemologie. Braunschweig /Wiesbaden: Vieweg.

ArgumentationFremd
((5)) Die Verhaltenserklärungen und -vorhersagen, um deretwillen der Beobachter kognitive Strukturen zuschreibt, setzen nun aber trivialerweise voraus, daß von der vom Individuum wohlunterschiedenen Außenwelt und von den Interaktionen des Individuums mit dieser Außenwelt geredet wird. Dies läßt sich an der Rede von “unerwarteten Resultaten” ((35)) verdeutlichen: Ein System verändert seine Handlungsweise nicht etwa, weil es ein unerwartetes Resultat gibt - aus der Innenperspektive des einzelnen Systems macht die Rede von Erwartungen, wie betont, keinen wohldefinierten Sinn -, umgekehrt: weil sich das System in bestimmten neuen Situationen aus Sicht des Beobachters anders verhält als sonst, spricht der Beobachter von einem für das System unerwarteten Resultat.
ArgumentationFremd
((2)) Hier soll nicht bestritten werden, daß wir in all unserem Beobachten und Erklären nicht ‘hinter’ die impliziten Voraussetzungen unserer Wahrnehmung und unserer Begrifflichkeit zurücktreten können ((4ff.)). Wenn man daraus folgert, eine losgelöst von uns vorhandene ‘Welt an sich’ ((21)) sei für den menschlichen Beobachter nicht rational erfaßbar ((58)), weil unsere Überzeugungen nicht durch einen ‘Vergleich’ mit den Verhältnissen in ihr überprüfbar sind ((12)), dann ist dies dennoch zunächst nur eine mögliche façon de parler. Ebensogut ließe sich sagen, die Rede von dieser ontologischen Realität jenseits unserer ‘Erlebenswelt’ sei sinnlos, weil sie keinerlei Implikationen für irgendwelche unserer Argumente haben kann; denn über sie können wir ja nach Voraussetzung nichts aussagen. Das Konzept einer 'Welt an sich’ wird dann überflüssig und bedeutungslos; es kürzt sich gewissermaßen aus unseren Überlegungen heraus.
ArgumentationFremd
((7)) In gewissen unserer verbalen-plus-nichtverbalen Interaktionsmuster spielen nun aber auch sprachliche Konzepte wie “Welt” und “(objektiv) wahr” eine hinreichend etablierte und in unserer Lebenspraxis verankerte Rolle; wir müssen auf solche Konzepte ja, wie erläutert, auch zurückgreifen, wenn wir für unsere konstruktivistischen Erklärungen verschiedene mentale Operationen oder kognitive Strukturen auch nur identifizieren oder individuieren wollen. Mit dem Konzept der Viabilität wird daher nur scheinbar eine neue Methode der epistemologischen Erklärung geboten. Wir können den Begriff einer Lebens- oder Erlebenswelt bzw. unseres Wissens davon nicht aus einer Betrachtung nur-interner mentaler Konstruktionen denkender Subjekte gewinnen. Eine als in einem bestimmten Sinne ‘unabhängig’ und ‘objektiv’ konzipierte Außenwelt ist ein unverzichtbares sozial-kommunikatives Konstrukt, das wir benötigen, um ein anderes solches Konstrukt, nämlich Wissen, theoretisch erfassen zu können - und umgekehrt.
ArgumentationFremd
((3)) ln der von v. Glasersfeld gewählten Formulierung des “skeptischen Problems” wird jedoch suggeriert, unser Wissen und unsere Theorien seien gerade deswegen in gewisser Weise defektiv, weil ihnen der entscheidende, ‘objektive Wahrheit’ ((60)) erst ermöglichende, Vergleich mit der ‘Welt an sich’ verwehrt bleibt. Aber im gewöhnlichen Verständnis von ‘objektiver Wahrheit’ ist nur impliziert, daß man in vielen Fällen sehr wohl “Grund hat zu behaupten, man wisse wie dies oder jenes ist' ((60)), nämlich immer dann, wenn es eine von der jeweiligen Gemeinschaft akzeptierte und geteilte Praxis gibt, innerhalb derer hinreichend klar ist, was es heißt und unter welchen Umständen als wahr zu gelten hat und als ‘gewußt’ und ‘objektiv’ rechtfertigbar ist, daß dieses oder jenes so-und-so ist. Innerhalb der je geteilten Handlungs- und Sprachpraxis sind manche ‘Wahrheiten’ so objektiv, wie man es sich nur wünschen kann; außerhalb dieser Praxis sind sie nicht falsch, sondern unverständlich oder irrelevant.
ArgumentationFremd
((4)) Auch wenn man v. Glasersfelds nicht-repräsentationalistische Auffassung von Wissen teilt, wird man dennoch sorgfältig prüfen müssen, ob die Vorstellung von einer kognitionsinternen “Anpassung der Gedanken an die Tatsachen und an einander” ((24)) eine echte Alternative darstellt. Fraglich ist nämlich, was ‘Viabilität’ in bezug auf kognitive Strukturen ((27)) überhaupt heißen mag. Verschiedene kognitive Strukturen, als interne, z-B. ‚physische‘ Sachverhalte verstanden, können nur die Möglichkeit zum gleichzeitigen Vorliegen haben oder auch nicht; miteinander in Konflikt geraten können sie ebensowenig wie von ‘Tatsachen’ widerlegt werden ((vgl. 27)), die ja aus radikalkonstruktivistischer Sicht selber wieder nur als kognitive Strukturen vorliegen bzw. durch sie erfaßt werden müssen. Wir müssen daher von vornherein konzedieren, daß wir als Beobachter Individuen solche Strukturen oder Operationen zu bestimmten Erklärungs- oder Vorhersagezwecken lediglich zuschreiben, und können dabei die Frage nach der physikalischen oder biologischen ‘Realisierung’ dieser Eigenschaften durchaus offenlassen.
ArgumentationFremd
((8)) Eine auch in verwandten Ansätzen (vgl. Malurana 1985) häufige Strategie, eine Semantik kognitiver Konzepte doch noch auf eine Betrachtung interner Zustände von Individuen zu begründen, besteht in da Annahme höherstufiger, 'reflexiver‘ Weiterverarbeitung von mentalen Operationen im Organismus. Dem entsprechen bei v. Glasersfeld die Begriffe, die nicht “direkt aus Elementen der Wahrnehmung gewonnen werden können” ((43)), sondern gewissermaßen eine Wahrnehmung (Reflexion) von Wahrnehmungen voraussetzt. Hier sind zwei Fragen aufzuwerfen: (i) Gibt es überhaupt Konzepte, die unmittelbar mit bestimmten ‘Wahrnehmungen’ korrelieren, oder müssen nicht alle konzeptuellen Unterscheidungen immer schon als Weiterverarbeitungen von (fiktiven) ‘raw sense data’, als Abgleichungen mit früheren ‘Klebnissen’ beschrieben werden? Sind nicht alle organismusinternen Prozesse notwendig Weiterverarbeitungen anderer solcher Prozesse? Wie läßt sich dann ein Bereich spezifisch höherstufiger Operationen überhaupt abgrenzen? (ii) Was bedeuten in den vorgeschlagenen Begriffsanalysen ((43ff.)) Ausdrücke wie “Gewahrwerden”, “einen Bereich schaffen”, “betrachten als”, “Zuschreiben von Identität”, "Re-präsentieren”, “sich etwas vorstellen” usw.? Wittgenstein hat in seinen späteren Schriften auf überzeugende Weise darlegen können, daß es sich hier nicht um Etiketten für unzugängliche interne Prozesse handeln kann (auch wenn es solche Prozesse natürlich gibt). Kriterial dafür, daß ich z.B. überzwei ‘Wahrnehmungsinstanzen' einer anderen Person hinweg Objektpermanenz erzeuge, ist immer nur mein sozial interpretiertes nichtverbales und verbales ‘identifikatorisches’ Verhalten. Daß ich mir die betreffende Person ‘vorstellen’ kann, ist völlig irrelevant und sicher meistens nicht der Fall.
ArgumentationFremd
((6)) Die kybernetische Redeweise von ‘festgelegten Soll- werten ’ ((37)) macht den normativen und beobachterrelevanten Charakter der Rede von einer ‘Anpassung’ kognitiver Strukturen (Erwartungen usw.) an ‘Tatsachen’ noch deutlicher. Ein Thermostat etwa ((37)) ‘hat’ keine Sollwerteinstellung als objektive, intrinsische Eigenschaft, sondern der menschliche Benutzer betrachtet den Thermostaten bereits unter dem Gesichtspunkt seiner intendierten Nutzung, wenn er gewisse Eigenschaften der Interaktion Thermostat/Umwelt mit dem Konzept des Sollwertes beschreibt. Was im Falle von höheren Organismen Verhaltens-Sollwerte (z.B. Lernziele) sind, legt entsprechend entweder eine soziale Praxis erst fest (auch die Rede von “Handlungszielen” und "Problemen” macht erst relativ zu einer sie definierenden, kontingenten Praxis überhaupt Sinn) - oder wir beschreiben damit, in einer ganz anderen Verwendung des Wortes ‘Sollwert’, das von uns unter normalen Umständen erwartete, biologisch konditionierte Resultat gewisser ontogenetischer Entwicklungen. Die Erklärung, kognitive Aktivität erhalte das “mentale Gleichgewicht” ((57; 27)) des Organismus durch Anpassung, hat demzufolge metaphorischen Charakter. Zum Problem wird die Metaphorizitat indes erst dann, wenn man die ‘Äquilibration’ fälschlich als eine wesentlich organismusinterne Eigenschaft versteht und sodann schlußfolgert, daß “der Organismus kein objektives Wissen von der Außenwelt” gewinnen könne ((37)). In Wirklichkeit können ja, wie gesehen, Zustände ‘mentalen Gleichgewichts’ immer nur charakterisiert werden, indem der Organismus und sein Verhalten zu einer bereits auf konsensfähige Weise beschriebenen Außenwelt so in Beziehung gesetzt werden, daß ein Vergleich mit einem beobachterseits festgelegten Soll Zustand möglich wird. Auch wenn man also durchaus sagen kann, der ‘intelligente’ Organismus reagiere “lediglich auf Unterschiede zwischen Wahrnehmungen und vorbestimmten Sollwerten” ((37)), folgt daraus noch nicht, daß es unzulässig ist zu sagen, da Organismus reagiere “auf Stimuli der Umwelt" ((37)) oder ‘erkenne’ die Welt ((57)). Es handelt sich hierbei um eine und dieselbe Beschreibung, einmal aus der ‘internen’ Perspektive des Organismus und einmal aus da ‘externen’ Perspektive des Beobachters formuliert. Homöostatische Mechanismen in unserer kognitiv-biologischen Ausstattung sind allenfalls das physische Substrat, das unsere Erkennensprozesse und kognitiven Konstruktionen möglich macht. Die Konstruktionen selbst sind jedoch sozial konstituiert; sie sind Eigenschaften unserer Interaktionen, nicht der diese bedingenden subjektiven Erfahrungen. Möglicherweise ist eine systemtheoretische Betrachtung von sozialen Interaktionsstrukturen (vgl. Luhtnann 1984) eine Alternative.