Text:Theodor Leiber – Bemerkungen zum Radikalen Konstruktivismus von Ernst von Glasersfeld

From DigiVis
Jump to: navigation, search

Theodor Leiber – Bemerkungen zum Radikalen Konstruktivismus von Ernst von Glasersfeld

((1)) Ernst von Glasersfeld (EvG) gibt in seinem - notwendigerweise straffenden - EuS-Artikel “Die Radikal-Konstruktivistische Wissenstheorie” einen zusammenfassenden Überblick seiner Erkenntnislehre und erläutert deren Herkunft aus den vier Quellen des Skeptizismus, der Genetischen Epistemologie Piagets, den Ideen der Kybernetik und der operationalen Analyse der sprachlichen Kommunikation. Im folgenden werde ich mich auf einige kritische Bemerkungen aus meiner Perspektive beschränken, möchte jedoch zugleich feststellen, daß ich grundsätzlich und auf weiten Strecken auch in Details (z.B. ((23))-((44)), ((46))-((56))) mit den Auffassungen von EvG übereinstimme (vgl. auch Leiber 1996a; Leiber 1996b; Leiber 1997; Leiber 1998).

((2)) Mit den ersten drei Sätzen charakterisiert EvG diejenigen philosophischen und erkenntnistheoretischen Grundhaltungen, die er zurecht als Gegenpositionen seiner Auffassung betrachtet, wenn er bei dieser Charakterisierung - man verzeihe die Spitzfindigkeit - manchmal vielleicht auch etwas pauschalisierend formuliert. Denn ob die Bedeutung (d.h. eine Interpretationspraxis, und welche genau?) von “Erkenntnis” gemeinhin darauf hindeutet, “daß etwas, das bereits vorhanden ist, wahrgenommen wurde und von nun an als bekannt, gewußt und darum als unabänderlich betrachtet wird” (Glasersfeld ((1))), erscheint mir zumindest fraglich. Mit seinem zweiten Satz macht EvG seine Gegenpartei, die von obigem Erkenntnisbegriff geprägt und dominiert sein soll, noch deutlicher aus und zieht einen drastischen Schnitt zwischen der “herkömmlichen Erkenntnistheorie der abendländischen Welt”, der es “immer um die Erkenntnis einer Welt an sich” ging (Glasersfeld ((1))), und dem in die Gemeinschaft der Konstruktivisten aufgenommenen Rest. Unter die “herkömmliche Erkenntnistheorie” werden wohl all diejenigen subsumiert, die einen naiven oder dogmatischen Realismus, einen starken metaphysischen oder wissenschaftlichen Realismus vertreten haben. Dazu zählen nach EvGs eigenen Ausführungen z.B. nicht Xenophanes, Protagoras, Johannes Scotus Eriugena, John Locke, Giovanni Battista Vico, George Berkeley, David Hume, Immanuel Kant1, Ernst Mach, Georg Simmel, William James, Hans Vaihinger, Albert Einstein (Glasersfeld 1996)[1]; Aristoteles, der z.B. in seiner “Physik” deutliche Kritik am Begriffsrealismus übt, William von Ockham und Thomas Hobbes, die Gruppe der (Neu-) Kantianer oder Bas van Fraassen, um nur einige weitere Autoren zu nennen, können ebenfalls nicht dem Lager der “herkömmlichen Erkenntnistheorie” zugeschlagen werden; bleiben vermutlich nur noch Denker und Begriffsrealisten des Platonismus, des Neuplatonismus und der (Hoch-) Scholastik, René Descartes sowie die aussterbende Art klassischer logischer Empiristen und natürlich alle Arten hartgesottener Szientisten, kurz: die Klasse der Erkenntnisobjektivisten. Gegen diese vielleicht nicht gerade kleine, aber doch nicht die Tradition der (kritischen) philosophischen Erkenntnistheorie des Abendlandes dominierende Gruppe setzt EvG[2] zurecht eine (Er-) Kenntnislehre, die sich vom realistischen WIierspiegelungs-Repräsentationalismus der “Dinge, wie sie an sich sind”, verabschiedet und Wissen “unter allen Umständen als interne Konstruktion eines aktiven, denkenden Subjekts” betrachtet (Glasersfeld ((1))).

((3)) Diesen Konstruktivismus nennt EvG nun “radikal” aufgrund folgender zwei Aspekte: “(a) Wissen wird vom denkenden Subjekt nicht passiv aufgenommen, sondern aktiv aufgebaut; (b) die Funktion der Kognition ist adaptiv und dient der Organisation der Erfahrungswelt [Viabilität], nicht der Entdeckung der ontologischen Realität” (Glasersfeld 1996, 48,96). Der alltagsweltlichen Bedeutung von “radikal” haftet ein pejorativer Beigeschmack des Extremen und kompromißlos Rücksichtslosen an und erkenntnistheoretische (oder wissenschaftstheoretische) Radikalität scheint prima facie vielleicht auch in der Gefahr zu stehen, mit dogmatischen, monistischen und antj-pluralistischen Auffassungen in Beziehung gebracht zu werden. Die ethymologische Wurzel von “radikal” liegt jedoch bei eben dieser (radix) bzw. beim Schlagen von eben solchen (radicare). Somit steht “radikal” also für “entwicklungsgenetisch von Anfang an”. Laut Duden ist außerdem ein “Radikaler” jemand, der u.a. die bestehende Ordnung bekämpft, eine radikale Einstellung entspricht einer rigorosen Denk- und Handlungsweise und eine “Radikalkur” meint die Behandlung einer Krankheit mit sehr starken, allerdings den Organismus belastenden Mitteln, eine “Radikaloperation” schließlich beseitigt ein krankes Organ oder einen Krankheitsherd vollständig. In diesem Sinne verstanden ist EvGs Namensgebung plausibel und akzeptabel, wenngleich sie sicher oft auch in anderen und nicht verteidigbaren Bedeutungen verwendet wird.

((4)) Die Behauptung, “erst in unserem Jahrhundert ... haben Wissenschaftler einzusehen begonnen, daß ihre Erklärungen der Welt stets auf Begriffen beruhen, die der menschliche Beobachter formt und seinen Erlebnissen aufprägt” (Glasersfeld ((7))), scheint mir auch für Wissenschaftler nicht zuzutreffen. Explizite Gegenbeispiele sind für mich Hermann von Helmholtz (1821 -1894) und Ludwig Boltzmann (1844-1906), aber auch James Clerk Maxwell (1831-1879). So entwickelte Helmholtz im Rahmen seiner Form von (Neu-) Kantianismus z.B. Grundideen zu einem sinnesphysiologisch und sensomotorisch basierten experimentalistischen Empirismus[3], und mit klaren Hypothetisierungstendenzen ihres Wissenschafts- und Theorienbegriffs bauen Helmholtz und Boltzmann (wenn auch auf je unterschiedliche Weise) einem grundsätzlich (wenn auch noch nicht ausgereiften) modelltheoretischen Theorienverständnis und einem wissenschaftlich hoffähigen Hypothesenbegriff vor (Leiber 1998). Und gerade Einstein hat in dieser Beziehung viel von Boltzmann (und Helmholtz) gelernt, wovon Karl Popper wiederum mehr profitiert haben dürfte, als manchmal deutlich wird.

((5)) In der Konsequenz des Radikalen Konstruktivismus wird Erkenntnistheorie zu einer Theorie der Genese von Wissen als Erfahrungmachen (Glasersfeld 1996, 22), wobei ein “Minimalrealismus”[4] damit ebenso kompatibel ist wie die Berücksichtigung der Rolle sozialer Interaktion (wobei ich jedoch betonen möchte, daß ich die Auffassungen, vor allem das Naturwissenschaftsverständnis, vieler extremer und monistischer Sozialkonstruktivisten für dominant fehlerhaft halte). Wissen und Erkenntnis dienen der strukturierenden und orientierenden Organisierung der Erfahrungswelt des Subjekts (Konstruktion viabler Erwartungen, Handlungsschemata und begrifflicher Strukturen) und jedenfalls nicht der Entdeckung einer subjektunabhängigen “Realität an sich” oder der schrittweisen Approximation an eine absolut objektive Wahrheit (eines “gods eye point of view”). Damit vertritt EvG auch die Auffassung der Begriffsbedeutung als Interpretationspraxis im Sinne konstruktiv-diskursiver und viabilitätssteigender Kommunikationsprozesse (z.B. Glasersfeld 1996, 99). ln der Pädagogik und Didaktik führt die Arbeitshypothese der unhintergehbaren Subjektivität allen Wissens dazu, die Aufgabe des Lehrens vor allem darin zu sehen, die Kunst des Lernens auszubilden, um den Lernenden den Selbstaufbau von Wissen zu ermöglichen. Da EvGs Radikaler Konstruktivismus Ausschließlichkeitsansprüche auf Wahrheit und Gewißheit in selbstkonsistenter Weise aufgibt, sind seine Voraussetzungen in letzter Konsequenz immer nur pragmatisch plausibilisierbar, d.h. “sie werden als Annahmen gedacht, um Modelle zu bauen, die sich in der Welt des Erlebens bewähren sollen" (Glasersfeld ((58))). Deshalb gilt - und dies ist zu unterstreichen -, daß der Radikale Konstruktivismus “keine Weltanschauung ist, die beansprucht, das endgültige Bild der Welt zu enthüllen. Er beansprucht nicht mehr zu sein als eine kohärente Denkweise [oder ein “Modell des rationalen Wissens” in der Tradition der Aufklärung], die helfen soll, mit der prinzipiell unbegreifbaren Welt unserer Erfahrung fertig zu werden, und die ... die Verantwortung für alles Tun und Denken dorthin verlegt, wo sie hingehört: in das Individuum nämlich” (Glasersfeld 1996, 50-51, 57). Zurecht betont EvG deswegen, “daß es verfehlt wäre, die Frage zu stellen, ob der Radikale Konstruktivismus wahr oder falsch ist: er ist keine metaphysische Hypothese, sondern ein begriffliches Werkzeug, dessen Wert sich nur nach seinem Erfolg bemißt” (Glasersfeld 1996, 55).

((6)) Den Begriff der Evolution möchte ich allerdings für die biologische Entwicklungstheorie im Sinne der modernen synthetischen Evolutionstheorie reservieren. Der größte Teil menschlichen Wissens und menschlicher Erkenntnisse wird wohl nicht genetisch kodiert und ist damit nicht vererbbar und somit nicht (oder allenfalls sehr indirekt) der differentiellen Selektion der Bioevolution ausgesetzt. EvG vertritt diese Auffassung ebenfalls und differenziert klar die Begriffe der differentiellen Selektion, der Anpassung und der Passung (z.B. Glasersfeld ((23))-((28)); Glasersfeld 1996, 85, 87, 92), wenn er auch manchmal die Bezeichnung “Evolution” statt “begrifflicher Äquilibration” zu benutzen scheint.

((7)) Insgesamt schließe ich mich gerne der werbenden Empfehlung von S.J. Schmidt an, der EvG viele interessierte Leser wünscht, “die seine Klarheit des Denkens und Schreibens zu schätzen wissen und seine Argumente zum Anlaß nehmen, sich in ihren Kognitionen in eine ähnliche Richtung zu orientieren, wie Ernst von Glasersfeld sie vorgelebt und vorgedacht hat” (Glasersfeld 1996, 15).

Anmerkungen 1 Zu den Möglichkeiten einer - allerdings allenfalls partialen - “Versöhnung” von Kants Konstruktivismus (auf der Basis der unumschränkten Anerkenntnis der formalen Urteilslogik als Struktur der apriorisch-apodiktischen Verstandesfunktionen) und einem Konstruktivismus der Handlungs- und Erkenntnisschemata vgl. auch (Leiber 1996a). EvGs Interpretation der Transzendentalphilosophie Kants (Glasersfeld 1996,78-82) halte ich für fragwürdig und stellenweise unrichtig. In der Darstellung von EvG fehlen: die Differenzierung von erkenntniskonstitutiven Verstandeskategorien und regulativen Vernunftideen; die Bedeutung der Tafel der logischen Urteilsformen; die Rolle des Empirischen bei Kant. Und sicher hat Kant selbst synthetische apriorische Kategorien (wie z.B. die Kausalitätskategorie) nicht als “heuristische Fiktionen" verstanden, wie EvG suggeriert (Glasersfeld 1996, 83). Dies wäre eher die spätere Kantinterpretation Vaihingers und entspricht auch in gewissem Maße den Umdeutungen der logischen Empiristen, die synthetisch-apriorische Verstandeskategorien negieren, indem sie sie zu bloß forschungsregulativen Hypothesen herabstufen. Andererseits möchte ich bezweifeln, ob Vaihingers Konzeption der “nützlichen Fiktionen“ den “Erklärungsprinzipien” [konventionalistische Wissenschaftsaxiome] Gregory Batesons entspricht (Glasersfeld 1996, 88-89). Treffender wäre hier vermutlich der Hinweis auf zumindest die Verwandtschaft von Vaihingens “Fiktionen” mit Kants “regulativen Ideen”. Für zumindest erläuterungsbedürftig halte ich auch EvGs Feststellung, daß Kant "nicht bereit [war], die Suche nach ontologischer Wahrheit aufzugeben” (Glasersfeld 1996, 96). 2 Als dem Radikalen Konstruktivismus grundsätzlich (irgendwie) zustimmend werden von EvG außerdem erwähnt(Glasersfeld 1996): Werner Heisenberg, Hermann von Helmholtz, Niels Bohr, Paul Adrian Maurice Dirac, Max Bons, Erwin Schrödinger. 3 EvG stellt ja auch mehrfach fest, daß an seiner Position - außer der Form ihrer Zusammenfügung und ihrer Befreiung von metaphysischer Verbrämung - eigentlich nichts grundsätzlich Neues sei (Glasersfeld 1996, 19, 56). 4 Helmholtz versteht das wissenschaftliche Experiment als konsequente Weiterentwicklung handlungspraktischer Wissensgenerierung und kognitiver Orientierungsleistung. Demnach konstituiert sich ein Erkenntnissubjekt in einem je bestimmten Entwicklungszustand durch seine Vorerfahrungen und Erwartungshaltungen, aufgrund derer es Handlungseingriffe in den nur hypothetisch als “real" angenommenen Ablauf der “äußeren Natur” vornimmt (hypothetisch-konstruktionistischer Realismus). Werden die Erwartungen bestätigt, - wobei “Bestätigung" ein quasi-induktiver, langwieriger Etkenntnisgenerierungsprozeß ist, der nie von seinen deduktivistischen Bestandteilen abgetrennt wird -, kommt es zu einer allmählichen Stabilisierung der entsprechenden Vorerfahrungen und Erwartungshaltungen und sie werden in die Menge praktisch erfolgreicher Handlungsweisen und empirisch adäquater Theorien integriert. Vollständige Bestätigungen oder absolute Wahrheit gibt es dabei nicht mehr. Unsere Handlungsschemata, in noch stärkerem Ausmaß aber unsere wissenschaftlichen Theorien und theorieimprägnierten Experimentalkonzeptionen bleiben in letzter Konsequenz stets hypothetisch und fallibel (ohne daß man Helmhoitz deswegen den FaJsifi- kationisten zurechnen könnte). Helmholtz’ Konzeption eines experimentalistischen (bzw. konstruktivistischen) Empirismus korrespondiert dabei grundsätzlich dem dreigliedrigen Reflexschema (Glasersfeld ((29))) und damit den Begriffen der Assimilation und der Akkomodation von Piaget (Leiber 1998, Kap. 11). 5 Auf jeder Entwicklungsstufe des Wissenssystems wird etwas als “gegeben” oder "real” vorausgesetzt; die Voraussetzung der Existenz solcher Entitäten bleibt jedoch stets hypothetisch und steht insbesondere unter der Möglichkeit eingehenderer Analyse seiner Struktur und Genese; inbesondere muß natürlich ab initio angenommen werden, daß es überhaupt “irgendetwas" zu wissen gibt. EvG lehnt letztlich nur einen “Realismus" im Sinne des Glaubens an die Erlangbarkeit eines (apriorischen und letztbegründbaren) Wissens von der “Welt an sich“ (als einer vollständig erkenntnissubjektunabhängigen Entität) ab; er gesteht jedoch zu, daß es ontische Beschränkungen unserer Erkenntnis gibt, die festlegen, was uns unmöglich ist (d.h. die bestimmte Hypothesen als bloße Fiktionen und als nichtviabel erweisen). Vielleicht wird der (Typ des) Minimalrealismus bei EvG manchem Kritiker des Radikalen Konstruktivismus nicht immer deutlich genug, wobei letztere ihrerseits in aller Regel deutlich mehr als einen Minimalrealismus (und damit zu viel) postulieren (wie sich z.B. an den neuerdings bei einigen ehemaligen funktionalistischen Instrumentalisten wieder in Mode gekommenen “Realdispositionen” der “Natur* oder des “Geistes” zeigt).

Literatur

Glasersfeld, E. von: 1996, Radikaler Konstruktivismus. Ideen, Ergebnisse, Probleme, Suhrkamp, Frankfurt am Main.

Leiber. T.: 1996a, Kategorien, Schemata und empirische Begriffe: Kants Beitrag zur kognitiven Psychologie, Kant-Studien 87, 1-41.

  1. Als dem Radikalen Konstruktivismus grundsätzlich (irgendwie) zustimmend werden von EvG außerdem erwähnt(Glasersfeld 1996): Werner Heisenberg, Hermann von Helmholtz, Niels Bohr, Paul Adrian Maurice Dirac, Max Bons, Erwin Schrödinger.
  2. EvG stellt ja auch mehrfach fest, daß an seiner Position - außer der Form ihrer Zusammenfügung und ihrer Befreiung von metaphysischer Verbrämung - eigentlich nichts grundsätzlich Neues sei (Glasersfeld 1996, 19, 56).
  3. Helmholtz versteht das wissenschaftliche Experiment als konsequente Weiterentwicklung handlungspraktischer Wissensgenerierung und kognitiver Orientierungsleistung. Demnach konstituiert sich ein Erkenntnissubjekt in einem je bestimmten Entwicklungszustand durch seine Vorerfahrungen und Erwartungshaltungen, aufgrund derer es Handlungseingriffe in den nur hypothetisch als “real" angenommenen Ablauf der “äußeren Natur” vornimmt (hypothetisch-konstruktionistischer Realismus). Werden die Erwartungen bestätigt, - wobei “Bestätigung" ein quasi-induktiver, langwieriger Etkenntnisgenerierungsprozeß ist, der nie von seinen deduktivistischen Bestandteilen abgetrennt wird -, kommt es zu einer allmählichen Stabilisierung der entsprechenden Vorerfahrungen und Erwartungshaltungen und sie werden in die Menge praktisch erfolgreicher Handlungsweisen und empirisch adäquater Theorien integriert. Vollständige Bestätigungen oder absolute Wahrheit gibt es dabei nicht mehr. Unsere Handlungsschemata, in noch stärkerem Ausmaß aber unsere wissenschaftlichen Theorien und theorieimprägnierten Experimentalkonzeptionen bleiben in letzter Konsequenz stets hypothetisch und fallibel (ohne daß man Helmhoitz deswegen den FaJsifi- kationisten zurechnen könnte). Helmholtz’ Konzeption eines experimentalistischen (bzw. konstruktivistischen) Empirismus korrespondiert dabei grundsätzlich dem dreigliedrigen Reflexschema (Glasersfeld ((29))) und damit den Begriffen der Assimilation und der Akkomodation von Piaget (Leiber 1998, Kap. 11).
  4. Auf jeder Entwicklungsstufe des Wissenssystems wird etwas als “gegeben” oder "real” vorausgesetzt; die Voraussetzung der Existenz solcher Entitäten bleibt jedoch stets hypothetisch und steht insbesondere unter der Möglichkeit eingehenderer Analyse seiner Struktur und Genese; inbesondere muß natürlich ab initio angenommen werden, daß es überhaupt “irgendetwas" zu wissen gibt. EvG lehnt letztlich nur einen “Realismus" im Sinne des Glaubens an die Erlangbarkeit eines (apriorischen und letztbegründbaren) Wissens von der “Welt an sich“ (als einer vollständig erkenntnissubjektunabhängigen Entität) ab; er gesteht jedoch zu, daß es ontische Beschränkungen unserer Erkenntnis gibt, die festlegen, was uns unmöglich ist (d.h. die bestimmte Hypothesen als bloße Fiktionen und als nichtviabel erweisen). Vielleicht wird der (Typ des) Minimalrealismus bei EvG manchem Kritiker des Radikalen Konstruktivismus nicht immer deutlich genug, wobei letztere ihrerseits in aller Regel deutlich mehr als einen Minimalrealismus (und damit zu viel) postulieren (wie sich z.B. an den neuerdings bei einigen ehemaligen funktionalistischen Instrumentalisten wieder in Mode gekommenen “Realdispositionen” der “Natur* oder des “Geistes” zeigt).