Text:Willhelm Lütterfelds – Für eine Realismus-vertragliche Variante des Konstruktivismus
Willhelm Lütterfelds – Für eine Realismus-vertragliche Variante des Konstruktivismus
((1) Selbstwidersprüche und Aporien gehören essentiell zur Theorie des menschlichen Wissens. Deswegen haben sie auch keine widerlegende Kraft. Umgekehrt ist auch die Kritik nicht frei von derartigen Defiziten. Und es ergibt sich das “Theorie-Spiel” von These, Widerlegung und Antithese - ohne daß dieser “dialektische Schein” in einer Theorie des Wissens vermieden oder gar aufgelöst werden könnte. Die Konzeption eines “radikal-konstruktivistischen Wissens” ist ein schönes Beispiel dafür, daß sich Theorien gerade wegen ihrer immanenten Widersprüche und Selbstwiderlegungen bestens am Leben erhalten.
((2)) Wissen sei nicht wie in der Tradition “als Widerspiegelung oder ‘Repräsentation’ einer vom Erlebenden unabhängigen, bereits rational strukturierten Welt” zu betrachten, “sondern unter allen Umständen als interne Konstruktion eines aktiven, denkenden Subjekts” ((1)). Diese zentrale These des Konstruktivismus ist in der Tat “keineswegs neu” ((9)). Sie findet sich nicht nur in der sophistischen und skeptischen Tradition, sondern liegt natürlich auch allen Spielarten eines Idealismus zugrunde. Entsprechend lassen sich traditionelle antisophistische, antiskeptische und antiidealistische Argumentationen auch gegen den Konstruktivismus geltend machen.
((3)) Selbstwidersprüchlich ist bereits das philosophische Fundament desselben, nämlich die Überzeugung, es sei ein “logisch unanfechtbare[s] Prinzip der Skeptiker,... daß wir eine Welt jenseits unserer Sinne und Begriffe nicht ‘erkennen’ können” ((14)). Mit Hegel formuliert lautet dieselbe skeptische These: Menschliches Wissen scheint “nicht dahinter kommen zu können”, wie ein Gegenstand “an sich ist”, denn alle Gegenstände sind nur “für dasselbe”. Und Hegels Entkräftung dieses skeptischen Einwandes lautet: ‘‘Gerade darin”, daß menschliches Wissen “überhaupt von einem Gegenstände weiß”, unterscheidet es den Gegenstand, wie er unabhängig von ihm existiert, vom Gegenstand, wie es ihn weiß. Dadurch wird die skeptische Behauptung, man könne nicht wissen, ob es eine Welt an sich gebe und ob die Welt wirklich so sei, wie wir sie vorstellen, in sich selbst widersprüchlich. Denn der Skeptiker setzt ja gerade in seiner These den Begriff einer vernunftunabhängigen Welt ebenso voraus wie den eines “Vergleich[es]” des menschlichen Wissens “mit der Welt an sich”, indem er behauptet, daß "dieser Vergleich für uns ausgeschlossen ist” ((12)). Zudem weiß er, “daß wir eine Welt jenseits unserer Sinne und Begriffe nicht ‘erkennen’ können” ((14)). Wenn demnach der Konstruktivismus eine “ontologische Realität” annimmt und gleichzeitig behauptet, “daß wir sie nicht rational erfassen können” ((58)) oder zumindest diese Frage offenläßt und damit auch die Frage eines Zusammenhanges von Begriff und Welt sowie eines Wahrheitsvergleiches unseres Weltbildes mit der Wirklichkeit, dann widerspricht der Konstruktivismus sich selber. Denn in der Angabe dessen, was wir nicht rational erfassen können, liegt eine rationale Wirklichkeitserfassung bereits vor. Diesem Selbstwiderspruch könnte der Konstruktivismus nur dadurch entgehen, daß er auf jede begriffliche Bestimmung dessen verzichtet, worauf menschliches Wissen bezogen ist. Doch dann würde er keine Theorie des menschlichen Wissens mehr darstellen.
((4)) Wenn der Konstruktivismus mit einem Begriff des Wissens operiert, worin dieses als eine Art kognitive Anpassung gilt, und wenn diese Anpassung wiederum eine doppelte ist, nämlich eine solche der “Gedanken an die Tatsachen und an einander" ((24)), dann kann in der Tat die Funktion des Wissens für einen Organismus darin bestehen, “daß er mit der Lebenswelt nicht in Konflikt kommt” ((25)). Höchst fragwürdig ist jedoch dieser Begriff von “Tatsachen”. Er darf keine ontologische Bedeutung haben, in dem Sinne, daß Tatsachen etwas vom menschlichen Wissen unabhängig Existierendes in der Welt bedeuten, das bereits rational strukturiert ist ((1)). Denn dann verfügte kognitive Anpassung doch über ein repräsentierendes Wissen um eine “vom Wissenden unabhängige Welt” ((25)). Sind umgekehrt Tatsachen ihrerseits nur interne Konstruktionen des Wissens und bloße Gedanken, dann hat die Anpassung keine doppelte Struktur. Denn dann würde die Anpassung von Gedanken an Tatsachen auf die Anpassung der Gedanken untereinander reduziert.
((5)) Insofern setzt der Anpassungsbegriff des Konstruktivismus ein realistisches Wahrheits- und Wissensverständnis voraus. Dies liegt auch dem Gedanken zugrunde, daß der Zweck des Wissens für den Organismus die Konfliktvermeidung mit der Lebenswelt bedeutet ((25)). Denn die fraglichen Konflikte sind gleichfalls zweierlei. Sie betreffen in der Tat einmal die interne Widersprüchlichkeit von Gedanken, Hypothesen und Begriffen untereinander und damit das “inneren Gleichgewicht” der Kognitionen eines Organismus ((27)). Dies ist natürlich kein Lebensweltkonflikt. Umgekehrt, handelt es sich um einen letzteren, dann besteht der Konflikt zwischen “kognitive[n]” Strukturen und “Tatsachen” (ebd.). Das diesem entsprechende “Gleichgewicht” betrifft dann jedoch das Verhältnis des kognitiven Organismus zu seiner externen Welt Auch in diesem Konzept der kognitiven Anpassung kann demnach der Konstruktivismus auf ein realistisches Wahrheits- und Wirklichkeitsverständnis nicht verzichten. Würde ein Organismus durch “sein internes Gleichgewicht” nicht zugleich ein “objektives Wissen von der Außenwelt” erhalten ((37)), dann wäre bereits dieses “interne Gleichgewicht” die hinreichende Bedingung dafür, daß ein Organismus “viabel” ist (ebd.). Dies ist jedoch nicht der Fall. Konfliktfreie, d. h. intern widerspruchsfreie Systeme von Gedanken, Begriffen und Theorien sagen allein noch nichts darüber aus, ob sie der Wirklichkeit angepaßt sind oder mit der Lebenswelt in Konflikt stehen.
((6)) In ähnliche Schwierigkeiten führt die konstruktivistische These, daß Wissen keine Repräsentation einer unabhängig existierenden rationalen Welt sei, sondern “unter allen Umständen als interne Konstruktion eines aktiven, denkenden Subjekts” aufzufassen sei ((1)). Von welchem Subjekt ist hier die Rede? Ist es das psychophysische Subjekt, das über leibliche Sinneswahmehmungen verfügt und diese (wie auch immer) durch “aktive Reflexion”, und d. h. durch “tatsächliche Mechanismen der mentalen Operationen” bearbeitet, in Beziehung zueinander setzt, miteinander vergleicht, in Klassen zusammenfaßt und auf Muster bezieht usw. ((16ff, 32,40)), dann ist es absurd anzunehmen, dieses Subjekt existiere in einer Wirklichkeit, von der es schlicht und einfach nichts wissen könne. Denn es weiß um sich als leibliches Subjekt, und es existiert in einer Raum-Zeit-Welt physischer Körper und Leiber - wenn man nicht zu der außerordentlich merkwürdigen Annahme Zuflucht suchen möchte, daß man zwar von sich als einem leiblich und rational operierenden Subjekt wüßte, jedoch von sonst nichts.
((7)) Was bedeutet darüber hinaus die Kennzeichnung des Wissens als “interne” Konstruktion? Soll dies nicht bedeuten, daß es für das menschliche Subjekt überhaupt kein Außenweltwissen geben kann, dann kann umgekehrt dieses Wissen doch nicht derart intern sein, daß es - wie im Falle der “Gehirne im Tank” (Putnam) - nur eine subjektimmanente Konstruktion der Welt darstellt. Denn menschliches Wissen könnte dann auch nicht über diesen Gedanken der Internalität verfügen, weil es keinen Begriff von der Außenwelt hätte, also auch nicht einen bloß internen.
((8)) Entsprechend ist es eine unhaltbare Radikalisierung der Aktivität des denkenden Subjekts, daß dessen Begriffe und Theorien subjektive Erfindungen und “freie Schöpfungen des Geistes” sind ((8,9)). Denn dann würden seine Begriffe und Theorien ebensowenig einem Kriterium wie dem der Tatsachenanpassung unterliegen können, noch gäbe es Konflikte mit der Lebens weit, die nicht ihrerseits als freie Produktionen des menschlichen Geistes gelten dürften, so daß dieser sich bei der Konfliktbewältigung keineswegs auch (!) an den Tatsachen der Lebenswelt zu orientieren hätte und nicht nur an einer internen Stimmigkeit seiner Gedanken und Begriffe untereinander. Andernfalls könnte man auch den Ursprung der “ersten, unerläßlichen Wortbedeutungen” im Falle des kindlichen Spracherlernens nicht in der “Erfahrungswelt des Kindes” sehen ((40)), oder erst recht die “Wahrnehmung” nicht als den “Schlüssel zur begrifflichen Verallgemeinerung und zur Klassenbildung” auffassen ((32)), wenn derartige Empirie samt Informationen nicht allen rationalen Konstruktionen voraus läge. Alle aktive Produktivität des menschlichen Geistes im Bilden und Erfinden von Begriffen - und dies gilt selbst für die sogenannten apriorischen Kategorien etwa der idealistischen Philosophie eines Kant oder Hegel - bleibt an diesen empirischen Erfahrungsgehalt zurückgebunden und von ihm abhängig. Deswegen ist der interne Konstruktionscharakter des menschlichen Wissens nur eine Seite seiner Struktur - freilich auch eine unaufgebbare, wie vor allem aus der idealistischen Tradition bekannt ist.
((9)) Soll der “Begriff der Viabilität... jenen der ontischen Wahrheit” ersetzen, so daß Wissensbestätigung nicht im Realitätsvergleich gesucht wird, sondern in der Brauchbarkeit des Wissens “angesichts der Hindernisse, denen wir beim Verfolgen unserer Ziele begegnen” (( 58)), so ist die Realität dieser “Hindernisse” wie auch der gesamten Lebenspraxis gerade nicht bloß intern, schöpferisch und frei konstruiert, sondern durchaus von “ontischer Wahrheit”. Andernfalls gäbe es nur eine subjektiv konstruierte Form von “Brauchbarkeit” des Wissens, das sich selber “Hindernisse” konstruiert. Allerdings - und darin ist dem Konstruktivismus wiederum Recht zu geben - lassen sich derartige “Hindernisse” nur in “unseren Formen des Erlebens und Denkens” begrifflich fassen ((12)). Doch derartige “Formen” müssen dann einen anderen Status haben als den von lediglich bewußtseinsintemen Faktoren eines leiblichen Subjekts und seiner inneren begrifflichen Konstruktionen. Denn sie müssen gleichermaßen geistig wie realistischs ein.
((10)) Derartige Schwierigkeiten werden auch nicht dadurch behoben, daß Anpassung “nicht eine Tätigkeit der Organismen, sondern eine Beschreibung ihres Zustandes” ist ((26)). Denn dann verlagert sich die geschilderte Aporie nicht nur auf eine solche des Zustands, sondern es fragt sich auch, was die Ursachen dieses Zustandes sind und wie seine Genese zu erklären ist. Und dies wird kaum möglich sein, ohne die Anpassung auch (!) als ‘Tätigkeit des Organismus” aufzufassen.
((11)) Dies gilt auch für die berechtigte Feststellung, daß wir nicht davon ausgehen können, daß unser Weltbild und unsere wissenschaftliche Beschreibung und Erklärung der Wirklichkeit die “einzige (und somit “wahre”) Erklärung" ist ((21)). Denn aus der Tatsache, daß es noch andere wissenschaftliche Beschreibungen und Erklärungen der Wirklichkeit als die unseres Weltbildes gibt, folgt nicht, daß unsere Erklärung kein “getreues Bild geben könnte, wie eine von uns unabhängige Welt tatsächlich funktioniert” (ebd.), vorausgesetzt, wir gehen davon aus, daß unser Weltbild nicht das einzige “getreue Bild” der Wirklichkeit ist und daß es in einem komplementären Ergänzungsverhältnis zu anderen Wirklichkeitsbeschreibungen und Welterklärungen stehen kann. Die These des Konstruktivismus, ein möglicher Pluralismus der Welterklärung und Weltbeschreibung schließe eine Objektivität und Wahrheit derartiger Modelle aus, ist nicht haltbar.
((12)) Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob konstruktivistisches Wissen im Sinne einer “internen Konstruktion” mit der Überzeugung verträglich ist, daß es so etwas wie “tatsächlichst] Mechanismen der menschlichen Operationen ”des Geistes gebe ((20)) und daß es darum gehe, “die unerläßliche Rolle der mentalen Operationen” bei der Konstruktion des menschlichen Wissens zu eruieren (ebd.). Denn konstruktivistische Theorien müssen derartige “mentale Operationen” bereits benützen, um diese wiederum ihrerseits zu rekonstruieren. Diesem Paradox und seiner zirkulären Struktur entkommen sie so wenig wie alle Erkenntnistheorien, samt ihrer Kritik; erst recht nicht jene, in der das “Gehirn” das Wissen um die Außenwelt konstruiert - denn das Wissen um dieses Gehirn und seine Funktionen muß natürlich die Qualität eines “tatsächlichen Mechanismus” besitzen und kann zugleich doch nur eine Art von “interner Rekonstruktion” der tatsächlichen Operationen sein. Dieses Paradox kennzeichnet alle Begriffe, die von menschlicher Wahrnehmung und reflexiven Operationen ausgebildet werden, und auch der Konstruktivismus muß ihm Rechnung tragen, wenn er nicht den scheinbar Paradox-auflösenden Ausweg in die “Metaphysik” gehen möchte, wie es in der Tradition häufig der Fall war ((22)). Nimmt man dieses Paradox im Konstruktivismus nicht einmal zur Kenntnis, kann man die “metaphysische Zuflucht” der Erkenntnistheorie um so eher kritisieren.
((13)) Die selbstkritische Einsicht, auch der Konstruktivismus beruhe auf “Voraussetzungen”, ohne daß er freilich diese als “ontologische Gegebenheiten” betrachte ((58)), stellt zwar eine radikale Relativierung des Theorieanspruches des Konstruktivismus im Rahmen eines Pluralismus anderer, entgegengesetzter Erkenntnistheorien dar. Doch wenn der Konstruktivismus zugleich davon ausgeht, daß es eine Art Bewährung von unterschiedlichen Erkenntnistheorien “in der Welt des Erlebens” gibt (ebd.), dann unterstellt er eben diese “ontologischen Gegebenheiten” als theorieexterne Kriterien, die wiederum über die Qualität einer Erkenntnistheorie entscheiden. Diese Voraussetzung ist jedoch konstruktivistisch nicht zu rechtfertigen, sondern nur in einer realistischen Erkenntniskonzeption.
((14)) Daß der radikale Konstruktivismus - selbstwidersprüchlich - auf Voraussetzungen eines realistischen Konzeptes von Wissen, Wahrheit und Wirklichkeit beruht, geht nicht zuletzt auch aus der These hervor, daß es die “Praxis” sei, die über die Viabilität und den Wert konkurrierender konstruktivistischer Weltbilder und ihrer Wirklichkeitsinterpretationen entscheide ((60)). Denn entweder gehört auch diese “Praxis” des gemeinsamen Lebens zum Konstruktionsgehalt eines jeweils subjektiven Wissens. Doch dann läge keine echte Bewährung der Weltbildkonstruktionen durch die “Praxis” vor, sondern nur eine zirkulär selbstimmunisierende und selbstbestätigende. Oder aber die “Praxis” ist ein der Weltbildkonstruktion externes und vorausliegendes Wirklichkeitselement. Dann kann jedoch das Wissen um diese “Praxis” eben nicht konstruktivistisch interpretiert werden, sondern es muß als Wissen um eine subjektunabhängige, vorgegebene, an sich existierende Realität des gemeinsamen Handelns verstanden werden. “Praxis” als Bewährungsinstanz für konkurrierende Weltbildkonstruktionen und Wirklichkeitsverständnisse besteht dann in der Tat aus nicht konstruierten ‘Tatsachen”, die nur in einer (zumindest auch (!)) realistischen Konzeption von Wissen und Wahrheit zugänglich sind.
((15)) Dies gilt nicht zuletzt auch für ein konstruktivistisches Verständnis von Moral. Wenn nämlich selbst das “Zusammenleben mit anderen” “letzten Endes eine Frage der subjektiven Interpretation ist” ((61)), dann läßt sich der Vorwurf, ein konstruktivistisches Wirklichkeitsverständnis mit seinem Pluralismus gleichwertiger Wirklichkeitsinterpretationen und Handlungsverständnisse könne unmoralische und barbarische Selbstverständnisse wie z, B. den “Nazismus” ((62)) nicht ausschließen, sondern müsse sie vielmehr akzeptieren, nicht entkräften. Der Gegeneinwand, “daß es im Laufe der Menschheitsgeschichte” keine rationale Konzeption und Begründung von ethischen Grundsätzen gegeben habe und schon gar keine durch derartige Grundsätze ermöglichte Verhinderung von Verbrechen (ebd.), dieser Gegeneinwand weist lediglich überzogene Anforderungen an einen ethischen Konstruktivismus zurück. Der Relativismuseinwand wird dadurch nicht widerlegt. Und wenn es auch hier letztlich nur die “Praxis” ist, die darüber entscheidet, welche konstruktivistische “Handlungs- oder Denkweise voraussichtlich zu dem gemeinsam erwünschten Ziel führen wird oder nicht” ((60)), dann handelt es sich dabei nicht nur um eine außer- und vormoralische Instanz, die über den Wert unterschiedlicher Moralkonzeptionen entscheidet. Sondern die Instanz dieser “Praxis” mit der “Tatsache” ihrer Entscheidung (ebd.) muß den Status einer ontologischen und rational erfaßbaren Realität haben, wenn es sich dabei um eine außertheoretische Entscheidung zwischen unterschiedlichen Wirklichkeitskonstruktionen und Weltinterpretationen handeln soll. Andernfalls wäre diese Entscheidung wiederum eine subjektive Konstruktion - und damit genau das, was es zu bewähren und zu überprüfen gilt. Auf diese Weise wird jene “objektive Wahrheit” mit ihrem Anspruch auf das “Rechthaberische” ((60)) durch die Tatsache der Praxis wieder eingeführt. Auch damit gerät der Konstruktivismus in eine Situation, die seinem Theoriegehalt widerspricht. Nur auf dem Boden eines Realismus-verträglichen Konstruktivismus läßt sich die “Viabilität von Gesetzen und Beschränkungen der individuellen Freiheit in der Gesellschaft” aushandeln ((63)) - und nicht auf dem Boden eines vielfältigen, subjektiv konstruktivistischen Für-Real-Haltens. Und darin liegen zugleich auch die Grenzen einer konstruktivistischen Toleranz. Für die “Praxis denkender Individuen” ((64)) ist demnach der radikale (!) Konstruktivismus kein angemessenes “Denkmodell".
((16)) All diese kritischen Argumente legen es nahe, eine Variante des Konstruktivismus zu entwickeln, die Realismusverträglich ist. Zweifellos liegt die Unverzichtbarkeit und Starke einer konstruktivistischen Theorie des Wissens darin, daß sie gegenüber allen Konzeptionen eines ontologischen Realismus von Wissen, Wahrheit und Handlung - zusammen mit der idealistischen Tradition - die apriorische Rückbindung dieser Phänomene an das individuelle, je eigene Subjekt und seinen leiblich-geistigen Kognitionsmechanismus geltend machen kann. Die Vereinbarkeit beider Konzeptionen, nicht deren Alternität und nicht eine Entscheidung für oder gegen eine dieser Theorievarianten, die realistische oder die konstruktivistische, ist das eigentliche epistemologische Problem.