Werner Meinefeld - Gegen eine Halbierung des Piagetschen Konstruktivismus

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Werner Meinefeld - Gegen eine Halbierung des Piagetschen Konstruktivismus
Title Werner Meinefeld - Gegen eine Halbierung des Piagetschen Konstruktivismus
Author Werner Meinefeld
Date of Publication 1998
Published in Ethik und Sozialwissenschaften
Location Opladen/Deutschland
File:Werner Meinefeld - Gegen eine Halbierung des Piagetschen Konstruktivismus.pdf
Werner Meinefeld - Gegen eine Halbierung des Piagetschen Konstruktivismus



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Werner Meinefeld - Gegen eine Halbierung des Piagetschen Konstruktivismus

((1)) In zahlreichen Schriften hat Ernst von Glasersfeld dazu beigetragen, die Idee eines Radikalen Konstruktivismus zu entwickeln und weiterzutreiben. Als ein Kernpunkt seiner Argumentation erweist sich dabei das Postulat einer erkenntnistheoretischen Wende: “Wissen soll nicht als Widerspiegelung oder ,Repräsentation‘ einer vom Erlebenden unabhängigen, bereits rational strukturierten Welt betrachtet werden, sondern unter allen Umständen als interne Konstruktion eines aktiven, denkenden Subjekts.” ((1))

((2)) Da ein direkter Vergleich von Aussagen mit der “Welt an sich” nicht möglich ist, tritt für von Glasersfeld an die Stelle des Ziels, Erkenntnisse an die Beschaffenheit der realen Welt anzunähern und zu “wahren” Aussagen zu kommen, die Gewinnung von Wissen, das “viabel” ist. Darunter versteht er ein Wissen, das menschliches Wahrnehmen und Handeln anleiten kann, das ein problemlösendes Handeln in der Realität ermöglicht und nicht in ihr scheitert. Aussagen über “die” Struktur “der” Realität sind mit diesem Wissen nicht möglich, da es für die Viabilität genügt, wenn die Aussagen “passen” - es gibt für ihn keine Möglichkeit, aus der Passung auf die reale Struktur zu schließen, da auch alternative Lösungen passen könnten. ((21)), ((23)) - ((28)), ((57f)) (von Glasersfeld 1986, 37; 1988, 405, 409f, 427ff, 439f)

((3)) Die erkenntnistheoretische Einsicht, auf der diese Position basiert, ist auch innerhalb der klassischen Wissenschaftstheorie nicht neu: daß jede Wahrnehmung "theoriegeladen” ist, daß wir immer nur Aussagen mit Aussagen (bzw. Theorien mit alternativen Theorien) und nicht mit der Realität “an sich” vergleichen können, daß unser Wissen das Produkt eines kollektiven Konstruktionsprozesses ist, findet sich auch in den Arbeiten von Karl R. Popper, Imre Lakatos und Thomas S. Kuhn. Neu am Radikalen Konstruktivismus ist dagegen die Schlußfolgerung, daß wir aus diesen Gründen nichts über die Struktur der Realität aussagen könnten. Während Popper u.a. aufgrund dieser Einsicht zwar die Vorläufigkeit allen Wissens betonen, dennoch aber - auch in der Kuhnschen Version - daran festhalten, daß wir Aspekte der Realität angemessen erfassen können, radikalisieren von Glasersfeld u.a. diese Einsicht, indem sie prinzipiell von mehreren möglichen viabien Realitätsdeutungen ausgehen, so daß die Passung einer Aussage (d.h. ihr Nicht-Scheitern) kein Kriterium für die Erfassung realer Strukturen sein kann.

((4)) Die Position des Radikalen Konstruktivismus besticht auf den ersten Blick durch die radikale Konsequenz ihrer Argumentation, doch werden bei genauerer Prüfung grundlegende Mängel erkennbar, die sich an der Prämisse der Strukturlosigkeit der Welt, an der selektiven Rezeption des Piagetschen Konstruktivismus und an der unvollständigen Analyse des Erkenntnisprozesses festmachen lassen und die seinen Nutzen als eine wissenschaftliches Handeln anleitende Theorie in Frage stellen.

((5)) Eine die Grundlagen des Radikalen Konstruktivismus betreffende Unstimmigkeit zeigt sich in seiner ontologischen Prämisse einer Unstrukturiertheit der Welt vorab einer jeden Konstruktionsleistung eines denkenden Subjektes: “es gibt auch keinen guten Grund zu der Annahme, daß die ontologische Realität etwas besitzt, das wir ,Struktur‘ nennen könnten”. (Richards/von Glasersfeld 1988,221) - Einerseits ist diese Prämisse notwendige Voraussetzung für das Postulat der Möglichkeit “zahlloser anderer Arten”, diese Welt wahrzunehmen und zu deuten (von Glasersfeld 1987, 109) - andererseits steht sie im Widerspruch zu der ebenfalls zentralen Annahme, daß Deutungen, die nicht “passen”, an der Welt scheitern ((26f)): “Scheitern” kann man nur “an” etwas, und “Passung” setzt eine Form voraus - ein “an und für sich formloser Fluß des Erlebens” (von Glasersfeld 1986, 37) läßt sich in jede Form einpassen, an ihm kann man nicht scheitern. - Zum zweiten gibt es Indizien dafür, daß diese Prämisse nicht zu halten ist. So belegen kulturvergleichende Studien, daß basale Wahrnehmungen unabhängig von kulturellen Variationen erfolgen.[1] Die Annahme einer Existenz von Strukturen, an denen sich Wahrnehmung festmachen kann, gewinnt damit eine größere Überzeugungskraft als die gegenteilige These von der Unstrukturiertheit der Welt - die im übrigen von von Glasersfeld u.a. nur postuliert, nicht aber begründet wird. - Schließlich enthält die von von Glasersfeld in dem eingangs zitierten Kernsatz gewählte Formulierung “einer vom Erlebenden unabhängigen, bereits rational strukturierten Welt” eine Vermengung zweier unterschiedlicher Bedeutungsgehalte, die es gerade zu trennen gilt. Die Unterstellung einer “rational strukturierten Welt” impliziert bereits die Aktivität eines erkennenden Subjektes, das die Strukturierung unter Bezug auf eine spezifische, von ihm selbst mitgebrachte Rationalität vomimmt, während es doch zunächst nur darum gehen kann festzustellen, daß die dem Erkennen präexistente Welt über dauerhafte Charakteristika verfügen kann, die sich dem Subjekt als Widerstandigkeit gegenüber beliebigen Handlungs- und Deutungsversuchen darstellen.[2] Die Gleichsetzung von “vorgängiger Strukturiertheit” mit “rationaler Strukturierung im Erkennen” verhindert im Radikalen Konstruktivismus die Konstruktivismus als Handlungsanleitung für die Forschung Auseinandersetzung mit solchen realen Ankerpunkten der menschlichen Konstruktionsleistung.

((6)) Ein zweiter zentraler Kritikpunkt betrifft die Rezeption des Piagetschen Konstruktivismus, dessen grundlegende realistische Komponente keineswegs - wie von Glasersfeld nahelegt (1987, 99, 221f) - auf sprachliche Ungenauigkeiten und Unzulänglichkeiten zurückzuführen ist: sie ist für Piagets Position viel mehr konstitutiv. Während im Radikalen Konstruktivismus der Prozeß des Erkennens weitgehend als eine Einbahnstraße vom erkennenden Subjekt zur Realität entworfen wird, ist für Piaget ein Wechselwirkungsverhältnis zwischen dem erkennenden Subjekt und der Widerständigkett des Objektes grundlegend (wie er es im Begriffspaar von Assimilation und Akkomodation zum Ausdruck gebracht hat).

((7)) Piaget gewinnt diese breitere Perspektive auf den Erkenntnisprozeß, indem er nicht das Erkennen selbst, sondern das Handeln zum Ausgangspunkt des Erkenntnis(!)prozesses macht: die Erfahrung der Welt im Handeln geht ihrer kognitiven Kategorisierung voraus. ((44)) (siehe auch Piaget 1972, 38ff; 1975, 343ff) Im Handeln aber kann das Kind nicht umhin, bestimmte Erfahrungen mit bestimmten Objekten zu machen - und indem das Objekt, innerhalb bestimmter Grenzen, andere Handlungsmöglichkeiten nicht zuläßt, wirkt es auf die Ausbildung der kognitiven Konzepte ein.[3] Das Ergebnis des Erkenntnisprozesses ist daher für Piaget nicht ein Konstrukt, das nur der Logik des erkennenden Systems folgt, sondern in ihm sind sowohl konstruktive als auch realistische Elemente enthalten. Indem die Kategorien an der Welt entwickelt werden, enthalten sie auch Informationen über die Welt - Wahrnehmungsstrukturen existieren nicht vor der Wahrnehmung, sondern sie werden erst in der Auseinandersetzung mit der Realität aufgebaut.[4] Für Piaget besteht daher eine “unauflösliche Wechselwirkung” zwischen Subjekt und Objekt, die es völlig illusorisch macht, realistische und konstruktivistische Elemente der Erkenntnis voneinander trennen zu wollen (Fatke 1981,38) – die es aber auch verbietet, die realistische Komponente zu ignorieren, wie es der Radikale Konstruktivismus tut.

((8)) Schließlich bleibt die Analyse des Erkenntnisprozesses im Radikalen Konstruktivismus rudimentär und vage. Das Konzept des “epistemologischen Solipsismus”[5] erweist sich als ein Gefängnis, das weder der Objektadäquanz unseres Wissens (wie sie sich in dem bekannten Grad der Naturbeherrschung durch den Menschen darstellt) noch der Qualität zwischenmenschlicher Kommunikation gerecht wird. Insbesondere vermag dieses rein atomistische Konzept von Erkennen die zentrale Rolle der sozialen Umwelt, in der jeder Erkenntnisprozeß verankert ist, nicht zu integrieren. Als überzeugender erweisen sich dagegen alternative Modelle des Erkenntnisprozesses, die erklärungskräftiger und anschlußfähiger (wenn auch weniger spektakulär) sind als der Radikale Konstruktivismus. Verwiesen sei nur auf Arbeiten von Günter Dux, Karl Mannheim, George H. Mead und eben auch Piaget, denen ein konstruktives Grundverständnis des Erkenntnisprozesses gemeinsam ist, die dieses aber alle mit einer realistischen Fundierung des Wissens verbinden.[6]

Aufgrund dieser Mängel ist der Nutzen des Radikalen Konstruktivismus als Handlungsanleitung für die Forschung nicht nur eng begrenzt, sondern teilweise auch dysfunktional. Positiv zu vermerken ist, daß durch die Verabsolutierung des Konstruktionsaspektes eine Un-Aufmerksamkeitsschwelle gegenüber erkenntnistheoretischer Reflexion durchbrochen wurde, die die Idee des prinzipiell konstruktiven Charakters aller Erkenntnis populärer gemacht hat, als dies frühere, “abgewogenere" Entwürfe vermochten. Dem steht allerdings der Nachteil gegenüber, daß eine radikal-konstruktivistische Position den Schwerpunkt ihrer Aufmerksamkeit nicht auf die Beziehung zwischen den Erkenntniskategorien und “der" Realität richtet, sondern auf den Konstruktionsprozeß selbst. An die Stelle des kollektiven Bemühens um Kontrolle des Realitätsbezuges tritt - nicht als logische, aber als faktische Alternative - die Konzentration auf Fragen der Produktion und Durchsetzung von Deutungsansprüchen im sozialen System “Wissenschaft”. Für den konstruktiven Aspekt im Erkennen lassen sich gute Gründe anführen - eine radikal-konstruktivistische erkenntnis- und wissenschaftstheoretische Wende läßt sich damit aber nicht legitimieren.

Literatur

Falke, Reinhard (Hrsg.), 1981. Jean Piaget über Jean Piaget Sein Werk aus seiner Sicht, München: Kindler (1970)
Glasersfeld, Ernst von, 1986, Einführung in den radikalen Konstruktivismus, in: Paul Watzlawick (Hrsg.), Die erfundene Wirklichkeit. Wie wissen wir, was wir zu wissen glauben? Beiträge zum Konstruktivismus. München/Zürich: Piper (1981), 16-38
Glasersfeld, Ernst von, 1987, Wissen. Sprache und Wirklichkeit: Arbeiten zum radikalen Konstruktivismus. Braunschweig: Vieweg
Glasersfeld, Ernst von, 1988, Siegener Gespräche über Radikalen Konstruktivismus, in: Siegfried J. Schmidt (Hrsg.), Der Diskurs des Radikalen Konstruktivismus, Frankfurt: Suhrkamp (1987), 401-440
Meinefeld, Werner, 1995, Realität und Konstruktion, Erkenntnistheoretische Grundlagen einer Methodologie der empirischen Sozialforschung. Opladen: Leske + Budrich
Piaget, Jean, 1972, Die Entwicklung des Erkennens I: Das mathematische Denken, Stuttgart, Klett (1950)
Piaget, Jean, 1975, Der Aufbau der Wirklichkeit beim Kinde, Stuttgart: Klett (1937)
Richards, John/Emst von Glasersfeld, 1988, Die Kontrolle von Wahrnehmung und die Konstruktion von Realität. Erkenntnistheoretische Aspekte des Rückkoppelungs-Kontroll-Systems, in Siegfried J. Schaidt (Hrsg.), Der Diskurs des Radikalen Konstruktivismus, Frankfurt: Suhrkamp (1987), 192-228
Rösch, Eleanor, 1987, Linguistic Relativity, in: ETC. et cetera, 44,254-279
Werten, Iwar. 1989, Sprache, Mensch und Welt. Geschichte und Bedeutung des Prinzips der sprachlichen Relativität, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.

ArgumentationFremd
((8)) Schließlich bleibt die Analyse des Erkenntnisprozesses im Radikalen Konstruktivismus rudimentär und vage. Das Konzept des “epistemologischen Solipsismus”[5] erweist sich als ein Gefängnis, das weder der Objektadäquanz unseres Wissens (wie sie sich in dem bekannten Grad der Naturbeherrschung durch den Menschen darstellt) noch der Qualität zwischenmenschlicher Kommunikation gerecht wird. Insbesondere vermag dieses rein atomistische Konzept von Erkennen die zentrale Rolle der sozialen Umwelt, in der jeder Erkenntnisprozeß verankert ist, nicht zu integrieren. Als überzeugender erweisen sich dagegen alternative Modelle des Erkenntnisprozesses, die erklärungskräftiger und anschlußfähiger (wenn auch weniger spektakulär) sind als der Radikale Konstruktivismus. Verwiesen sei nur auf Arbeiten von Günter Dux, Karl Mannheim, George H. Mead und eben auch Piaget, denen ein konstruktives Grundverständnis des Erkenntnisprozesses gemeinsam ist, die dieses aber alle mit einer realistischen Fundierung des Wissens verbinden.[6]
ArgumentationFremd
((6)) Ein zweiter zentraler Kritikpunkt betrifft die Rezeption des Piagetschen Konstruktivismus, dessen grundlegende realistische Komponente keineswegs - wie von Glasersfeld nahelegt (1987, 99, 221f) - auf sprachliche Ungenauigkeiten und Unzulänglichkeiten zurückzuführen ist: sie ist für Piagets Position viel mehr konstitutiv. Während im Radikalen Konstruktivismus der Prozeß des Erkennens weitgehend als eine Einbahnstraße vom erkennenden Subjekt zur Realität entworfen wird, ist für Piaget ein Wechselwirkungsverhältnis zwischen dem erkennenden Subjekt und der Widerständigkett des Objektes grundlegend (wie er es im Begriffspaar von Assimilation und Akkomodation zum Ausdruck gebracht hat). ((7)) Piaget gewinnt diese breitere Perspektive auf den Erkenntnisprozeß, indem er nicht das Erkennen selbst, sondern das Handeln zum Ausgangspunkt des Erkenntnis(!)prozesses macht: die Erfahrung der Welt im Handeln geht ihrer kognitiven Kategorisierung voraus. ((44)) (siehe auch Piaget 1972, 38ff; 1975, 343ff) Im Handeln aber kann das Kind nicht umhin, bestimmte Erfahrungen mit bestimmten Objekten zu machen - und indem das Objekt, innerhalb bestimmter Grenzen, andere Handlungsmöglichkeiten nicht zuläßt, wirkt es auf die Ausbildung der kognitiven Konzepte ein.[3] Das Ergebnis des Erkenntnisprozesses ist daher für Piaget nicht ein Konstrukt, das nur der Logik des erkennenden Systems folgt, sondern in ihm sind sowohl konstruktive als auch realistische Elemente enthalten. Indem die Kategorien an der Welt entwickelt werden, enthalten sie auch Informationen über die Welt - Wahrnehmungsstrukturen existieren nicht vor der Wahrnehmung, sondern sie werden erst in der Auseinandersetzung mit der Realität aufgebaut.[4] Für Piaget besteht daher eine “unauflösliche Wechselwirkung” zwischen Subjekt und Objekt, die es völlig illusorisch macht, realistische und konstruktivistische Elemente der Erkenntnis voneinander trennen zu wollen (Fatke 1981,38) – die es aber auch verbietet, die realistische Komponente zu ignorieren, wie es der Radikale Konstruktivismus tut.
ArgumentationFremd
((5)) Eine die Grundlagen des Radikalen Konstruktivismus betreffende Unstimmigkeit zeigt sich in seiner ontologischen Prämisse einer Unstrukturiertheit der Welt vorab einer jeden Konstruktionsleistung eines denkenden Subjektes: “es gibt auch keinen guten Grund zu der Annahme, daß die ontologische Realität etwas besitzt, das wir ,Struktur‘ nennen könnten”. (Richards/von Glasersfeld 1988,221)

- Einerseits ist diese Prämisse notwendige Voraussetzung für das Postulat der Möglichkeit “zahlloser anderer Arten”, diese Welt wahrzunehmen und zu deuten (von Glasersfeld 1987, 109) - andererseits steht sie im Widerspruch zu der ebenfalls zentralen Annahme, daß Deutungen, die nicht “passen”, an der Welt scheitern ((26f)): “Scheitern” kann man nur “an” etwas, und “Passung” setzt eine Form voraus - ein “an und für sich formloser Fluß des Erlebens” (von Glasersfeld 1986, 37) läßt sich in jede Form einpassen, an ihm kann man nicht scheitern. - Zum zweiten gibt es Indizien dafür, daß diese Prämisse nicht zu halten ist. So belegen kulturvergleichende Studien, daß basale Wahrnehmungen unabhängig von kulturellen Variationen erfolgen.[1] Die Annahme einer Existenz von Strukturen, an denen sich Wahrnehmung festmachen kann, gewinnt damit eine größere Überzeugungskraft als die gegenteilige These von der Unstrukturiertheit der Welt - die im übrigen von von Glasersfeld u.a. nur postuliert, nicht aber begründet wird.

- Schließlich enthält die von von Glasersfeld in dem eingangs zitierten Kernsatz gewählte Formulierung “einer vom Erlebenden unabhängigen, bereits rational strukturierten Welt” eine Vermengung zweier unterschiedlicher Bedeutungsgehalte, die es gerade zu trennen gilt. Die Unterstellung einer “rational strukturierten Welt” impliziert bereits die Aktivität eines erkennenden Subjektes, das die Strukturierung unter Bezug auf eine spezifische, von ihm selbst mitgebrachte Rationalität vomimmt, während es doch zunächst nur darum gehen kann festzustellen, daß die dem Erkennen präexistente Welt über dauerhafte Charakteristika verfügen kann, die sich dem Subjekt als Widerstandigkeit gegenüber beliebigen Handlungs- und Deutungsversuchen darstellen.[2] Die Gleichsetzung von “vorgängiger Strukturiertheit” mit “rationaler Strukturierung im Erkennen” verhindert im Radikalen Konstruktivismus die Konstruktivismus als Handlungsanleitung für die Forschung Auseinandersetzung mit solchen realen Ankerpunkten der menschlichen Konstruktionsleistung.
  1. Siehe z.B. die Bestimmung identischer Foci für Farbbezeichnungen und die Forschung über Prototypen: Werlen, 1989, 168ff; Rosch, 1987, 274ff.
  2. Ernst Machs “Stabilität der Tatsachen" behält in dieser Perspektive ihre realistische Konnotation, auf die von Glasersfeld in seiner Interpretation gar nicht eingeht. ((32)), ((24)). ((27))
  3. Dieser genetische Aspekt wild von von Glasersfeld völlig ignoriert, wie er auch den Beitrag der Gehirnforschung zur Begründung des Radikalen Konstruktivismus nicht einbezieht.
  4. An dieser Stelle bietet sich die Verbindung der Piagetschen Handlungsanalyse mit der neurophysiologischen Gehirnforschung an, die die Parallelität von “Objektkontak“ im Handeln", “Bedeutungsaufbau” und "Aufbau des Nervensystems” aufweist, und in der plausibel werden kann, in welcher Weise “Objektbeschaffenheit” die Ausbildung neuronaler Muster (und damit den Bedeutungsgehalt von Kognitionen) beeinflussen kann: vgl. Meinefeld 1995, 139-141.
  5. Demnach konstruiert das isolierte Subjekt nach den Kriterien seines Erkenntnissystems - korrigiert nur durch sein Scheitern in der Welt - eine Wirklichkeitsvorstellung; aufgrund der Parallelität dieses Prozesses bei verschiedenen Individuen gelingt die Kommunikation in Form des wechselseitigen “Unterschiebens” von Bedeutungen, das - im Falle des Scheiterns in der Interaktion - ebenfalls modifiziert wird. (Von Glasersfeld 1988, 405f, 411ff, 416f, 421)
  6. Für eine Diskussion dieser Ansätze und für einen umfassenderen Entwurf des Erkenntnisprozesses siehe Meinefeld 1995, 145ff, 244-254